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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Gottfried Kinkel?“ fragte ich in größter Aufregung. „Unmöglich, wie sollte der hieher kommen? Bist Du gewiß, daß man Dich nicht getäuscht hat, Petermann?“

„Es ist der wirkliche und wahrhaftige Professor Gottfried Kinkel. Du wirst Dich bald selbst überzeugen können.“

Wir eilten hinaus. Petermann trennte sich von mir, um noch einen Freund herbei zu holen. Ich ging zuerst zu einem Bekannten, dem Kaufmann Bluhme, um ihn zu ersuchen, mit einer Droschke mir nachzukommen, und begab mich dann auf den Weg nach dem in der Mühlenvorstadt belegenen „Weißen Kreuz“. Die brausenden Wassermühlen am Mühlendamm lagen bald hinter mir, und ich durcheilte hierauf die Allee von hohen rauschenden Pappeln, welche vom stürmischen Nordostwinde gewaltsam hin und her bewegt wurden.

Die Mittheilung von der Anwesenheit Kinkel’s geschah so plötzlich und traf mich so unvorbereitet, daß ich kaum an die Wahrheit zu glauben vermochte, daß dieser aus dem Zuchthause entsprungen und hier angekommen sei, um Schutz und Rettung zu suchen. Noch vor Kurzem hatte ich ihn im Bilde mit tiefer Rührung betrachtet, wie er in seiner Züchtlingsjacke im Kerker spulte. Das war der Lohn des Vaterlandes für einen seiner besten Söhne, den reichbegabtesten Dichter, den Mann, der für alles Gute, Edle und Schöne schwärmte und glühte!

Ich hatte mittlerweile meinen Bestimmungsort erreicht. Dort lag das „Weiße Kreuz“ und lugte freundlich und einladend mit seiner Fronte nach der Neubrandenburger Chaussee, auf welcher Petermann mit seinen beiden Flüchtlingen angelangt war. Ich eilte in das mir bekannte Haus, wandte mich in das „Honoratiorenzimmer“ linker Hand, stürzte hindurch und öffnete die der Eingangsthür desselben gegenüberliegende Thür, welche zu einer zweiten freundlichen Stube führte. Zwei Männer traten mir erwartungsvoll entgegen, beide von hoher Gestalt und schlanker Statur, der eine indeß den anderen an Größe um einige Zoll überragend. Der Größere war, dem Ansehen nach, den Vierzigern nahe. Er trug einen schwarzen Oberrock und schwarze Pantalons, und ebenso wie der Jüngere eine Brille. Sein mit Grau melirtes schwarzes Haar war kurz geschoren. Er hatte eine hohe und kahle Stirn. Das unrasirte Gesicht zeigte die Keime zu einem schwarzen Vollbart, die gelb-grünliche Farbe des Gesichts deutete auf lange Kerkerleiden. Auf den ersten Blick erkannte ich das Original zu dem von mir gesehenen Bilde. Es konnte Niemand anders sein als Gottfried Kinkel. Mit einem ungezwungenen gentlemanlike Benehmen schritt er auf mich zu und drückte mir mit sichtbarer Rührung die Hand, indem er zu mir sagte: „O, ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Sie schon im Bilde bei unserem Freunde Petermann gesehen.“ Ich erwiderte stumm und in tiefer Erregung den Druck seiner Hand.

Der Begleiter Kinkel’s, ein junger Mann von einigen zwanzig Jahren, begrüßte mich als einen alten Bekannten. Ich erkannte ihn sofort als meinen Freund aus Braunschweig, den ich unter dem Namen „Hesse“ kennen gelernt hatte. Doch dieser Name war ebenso wie der Name Hensel, den er jetzt adoptirt hatte, ein fingirter. Sein wirklicher Name war – Carl Schurz. Seine Persönlichkeit war weniger imponirend, als die Kinkel’s. Aber dem aufmerksamen Beobachter entging nicht der feste Charakter und die männliche Entschlossenheit, welche sich in seinen markirten jugendlichen Zügen und seinem sicheren Auftreten ausprägten. Die braunen Augen blitzten klug und ironisch aus den etwas tief liegenden Augenhöhlen hervor. Sein langes Haar war dunkelblond.

„Ihr kennt Euch schon,“ sagte Petermann, der inzwischen mit seinem Freunde, dem Herrn N., eingetreten war, zu Schurz und mir, „ich brauche Euch daher einander nicht vorzustellen.“

„Ja wohl,“ sagte Schurz, „wir kennen uns von Braunschweig her, und ich habe schon damals auf Sie gerechnet.“

„Haben wir denn Ihnen zu danken, daß unser Freund hier ist?“ fragte ich.

„Er ist mein Retter und hat sich meinetwegen den größten Gefahren ausgesetzt!“ sagte Kinkel mit einem dankbaren, liebevollen Blick auf seinen Freund. „Der Adjutant im Tiedemann’schen Stabe, welcher mit genauer Noth seinen Verfolgern aus Rastadt entkam, wäre ein leckerer Bissen für die preußische Polizei gewesen,“ fügte er scherzhaft hinzu.

„Wie, Sie waren Officier in der badischen Revolutionsarmee und wagten sich nach Spandau?“ fragte ich. „Die Kugel war Ihnen gewiß, wenn man Sie gefaßt hätte.“

„Die Nürnberger hängen den Verbrecher erst, wenn sie ihn haben,“ sagte Schurz lächelnd. „Uebrigens bin ich, so viel ich weiß, der preußischen Polizei von Person nicht bekannt. Die Gefahr war also nicht gar groß.“

„Die Polizei hat nicht blos ihre schwarzen Bücher, sondern auch die Bilder der demokratischen Führer,“ erwiderte Petermann. „Herr v. Hinkeldey und Consorten werden sicher im Besitze Ihres Portraits sein. Ohnehin werden Sie steckbrieflich verfolgt.“

„Die preußische Polizei disponirt auch über sehr bedeute geheime Fonds,“ setzte ich hinzu.

„Mag sein. Aber wer an meiner Stelle hätte gezaudert, wenn es galt, den Patrioten und Dichter der deutschen Nation und den Gatten und Vater der Familie zu erhalten und dem Lehrer und Freunde, welchem ich so Vieles schulde, durch die That zu danken?“

„Wir werden später weiter mit Ihnen rechten,“ erwiderte ich. „Jetzt handelt es sich vor Allem darum, Sie schleunigst in Sicherheit zu bringen. Werden Sie etwas dagegen haben, wenn ich die weitere Leitung dieser Angelegenheit übernehme und Ihnen meine Ansicht auseinandersetze?“

„Wir verlassen uns ganz auf Ihre Besonnenheit und Klugheit,“ antwortete Kinkel. „Wird es schwer halten, uns schleunigst über See zu schaffen?“

„Ich bedaure allerdings, daß wir in Rostock nicht im Voraus von der bevorstehenden Flucht in Kenntniß gesetzt sind. Es wäre dann Alles zu Ihrem schleunigen Entkommen von hier bereit gewesen, während wir nun erst die zu demselben nöthigen Vorbereitungen zu treffen haben. Sie werden daher noch einige Zeit bei uns verweilen müssen. Aber verlassen Sie sich ganz auf uns. Niemand soll Sie hier unseren Händen entreißen. Später erst sind wir in der Lage, einen bestimmten Plan für Ihre Weiterbeförderung zu entwerfen. Für jetzt kommt es nur darauf an, Ihnen ein vorläufiges sicheres Asyl zu verschaffen und zugleich die Spur, auf welcher Ihnen die Polizei folgen kann, zu verwischen. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, daß diese Ihnen gerade auf dem von Ihnen eingeschlagenen Wege nachsetzt. Die Vermuthung, daß Sie die Eisenbahnen wegen der verrätherischen Telegraphen vermeiden und schleunigst den Seeweg zu gewinnen suchen werden, liegt sehr nahe. Da nun der Weg nach Mecklenburg zugleich den Vortheil bietet, daß man auf demselben sehr rasch dem preußischen Gebiet entrinnen kann, so blieb Ihnen kaum ein anderer Weg, als die Benutzung der Chaussée, welche von Berlin aus über Neustrelitz und Neubrandenburg hierher führt. Deshalb schlage ich Ihnen vor, daß Sie, nach genommenem Labetrunk, sofort an der Stadt vorbei nach Warnemünde, dem zwei Meilen von hier entfernten Hafenort Rostocks, fahren. Dort sind Sie einstweilen außerhalb der Schußweite der Polizei. Mein Freund, der Kaufmann Bluhme, wird bald mit einer Droschke hier sein und gewiß die Güte haben, Sie zu begleiten und dort das Nöthige auszukundschaften. Vielleicht leistet Ihnen auch mein Freund N. Gesellschaft. Morgen komme ich nach, und Sie werden dann mehr erfahren.“

Der Kaufmann Bluhme war inzwischen mit der Droschke angelangt. Alle stimmten mit meinem Vorschlage überein. Der freundliche Wirth zum „Weißen Kreuz“ erschien und präsentirte Jedem von uns ein Glas dampfenden Eiergrogs. Wir stießen auf unsere Flüchtlinge und eine glückliche Reise an. Wir waren so heiter, als wären schon alle Schwierigkeiten beseitigt. Namentlich gerieth Kinkel in die liebenswürdigste Laune. Als ich ihm seinen eleganten Pelz anhalf, bemerke er scherzend:

„Wie rasch ist doch der Wechsel der Zeiten! Ehegestern steckte ich noch in der Züchtlingsjacke und mußte mir mein Waschwasser selbst holen. Heute bedient mich der Herr Präsident der mecklenburgischen Abgeordnetenkammer beim Anziehen meines Pelzrockes.“

Ich gewahrte bei dieser Gelegenheit, daß seine Hand mit einem weißen blutbefleckten Taschentuch umwunden war.

„Haben Sie sich verletzt?“

„Beim Abbrechen der Stäbe meiner Gefängnißthür habe ich mir die Hand verwundet.“

Die beiden Flüchtlinge stiegen mit Bluhme und Freund T. in die Droschke und eilten ihrem Bestimmungsort zu. Petermann setzte sich, nachdem wir uns herzlich umarmt hatten, in seinen Wiener Wagen, um allein nach seiner Heimath zurückzufahren.

„Nun!“ rief er, „sind das nicht ein Paar liebe, prächtige Kerls? Deiner Obhut habe ich sie anvertrauet, und ich bin sicher,

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