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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

daß, wenn Moses keine Balken über die Ostsee legt, Du ein Konigreich hingeben wirst, um ihnen ein Schiff zu verschaffen.“

Aus seinen Augen leuchtete die Freude und der Triumph, daß seine Mission so gut gelungen war. Als er schon eine Strecke fort war, lehnte er sich aus dem Wagenschlage, und ich sah ihn noch strahlend im Glück mir Kußhände zuwerfen. Ich selbst kehrte in die Stadt zurück mit dem vollen Bewußtsein meiner Verantwortlichkeit und nicht ohne Sorge über den endlichen Ausgang dieser Sache, aber fest entschlossen, Alles einzusetzen, um die theuren Flüchtlinge glücklich aus dem Bereiche ihrer Feinde zu bringen.


2.

Am Abend kehrte Bluhme zurück und unterrichtete mich von der glücklichen Ankunft meiner Freunde in Warnemünde, wo sie im Wöhlert’schen Gasthause abgestiegen waren. Die Aussichten für ihr Weiterkommen lauteten indeß nicht sehr ermuthigend. Der Sturm aus Nordost gestattete keinem Fahrzeuge das Auslaufen aus dem Hafen. Die Hauptschifffahrt war vorbei. Nur ein einziges Schiff tanzte auf der Rhede. Es war eine große mecklenburgische Brigg, die unter der Correspondentrhederschaft eines Rostocker Kaufmanns stand und nach London bestimmt war. Insofern schien sie unseren Zwecken zu entsprechen. Aber wenn das Wetter ungünstig blieb, so konnte die Befrachtung noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Wegen des großen Tiefganges der Brigg hatte sie nämlich im Hafen nur einen Theil ihrer Ladung einnehmen können, und sie sollte erst auf der Rhede vermittelst sogenannter Leichterschiffe ihre volle Fracht empfangen. Ueberdies war es mißlich, sich dem Correspondentrheder und dem Schiffer anzuvertrauen. Denn wenn wir sie auch als Ehrenmänner kannten, welche unsere Flüchtlinge nicht verrathen haben würden, so wußten wir doch nicht, ob sie nicht in dieser delicaten Angelegenheit den Landesgesetzen und ihren Rhedern gegenüber Bedenklichkeiten hätten. Die Vorsicht erheischte, daß wir uns keinem Abschlage aussetzten.

Unter diesen Umständen beschloß ich, mich einem Manne anzuvertrauen, der die Mittel und, ich wußte es im Voraus, den Willen hatte, das anvertraute Gut baldmöglichst über See zu spediren. Dieser Mann war Ernst Brockelmann, einer der bedeutendsten Kaufleute und Schiffseigner in Rostock. Sein kaufmännischer Name hatte einen guten Klang, nicht blos in Mecklenburg, sondern auch in deutschen und außerdeutschen Handelsplätzen. Als warmer Vertreter und Fürsprecher der ärmeren Classe war er seit 1848 in ganz Mecklenburg bekannt. Die Hunderte von Arbeitern, welche er in seinem großen Fabriketablissement beschäftigte, verehrten und liebten ihn wie ihren Vater. Das Jahr 1848 hatte uns zusammengeführt und näher gebracht; wir gehörten Beide zu der Linken der mecklenburgischen constituirenden Kammer. Er war seitdem mein werther Freund und Gönner gewesen. Dies war der Mann, den ich mir als Retter in der Noth erkor.

Am anderen Morgen in der Frühe ging ich zu ihm nach seinem Fabriketablissement in der Mühlenthor-Vorstadt, welches zugleich ein prächtiges Wohnhaus enthält. Ich fand ihn in seinem geräumigen Zimmer, gemüthlich seine eben angezündete Morgenpfeife rauchend und mit einer Hand vorweg haltend, die andere Hand nach seiner Gewohnheit in der Seitentasche seines grauen Flausrocks, und mit seiner hohen imponirenden Gestalt an den Ofen gelehnt. Wenn er gleich schon über die Funfzig hinaus und sein Haar bereits grau war, so hatte er doch eine Gewandtheit in seinen Körperbewegungen und eine Lebhaftigkeit in seiner Sprache und seinem ganzen Wesen, daß mancher Vierziger sich dazu hätte Glück wünschen können.

„Herzlich willkommen, lieber Wiggers,“ rief er mir bei meinem Eintreten zu. „Was bringt Dich so zeitig hierher? Setz’ Dich nieder! Steck’ Dir ’ne Cigarre an und erzähle mir, was Du auf dem Herzen hast! Hoffentlich führt nichts Schlimmes Dich um diese ungewöhnliche Zeit zu mir.“

„O nein, ich bringe gute, recht gute Neuigkeiten mit. Doch es ist noch ein Aber dabei. Man darf den Anfang nicht vor dem Ende loben.“

„Das klingt ja ganz geheimnißvoll, und Du machst dazu ein so ernsthaftes Gesicht, daß man vermuthen muß, die Polizei hat Dich wieder einmal gehaussucht.“

„Mit der Polizei hat die Angelegenheit, derenthalben ich zu Dir komme, allerdings auch zu thun. Diesmal aber betrifft sie nicht mich, sondern zwei arme Unglückliche, die von der preußischen Polizei verfolgt werden.“

„Die sollen sie nicht haben, wenn ich’s hindern kann!“ rief Ernst Brockelmann lebhaft und hüllte sich in eine Rauchsäule.

„Zwei politische Flüchtlinge sind es, von denen der eine dem Zuchthause entsprungen ist und der andere ihn befreiet hat.“

„Dem Zuchthause entsprungen?“

„Ja, dem Zuchthause zu Spandau.“

„Sein Name?“

„Kinkel,“ flüsterte ich.

„Kinkel?“ rief er erstaunt. „Und der Andere hat ihn befreit?“

„Ja, mit Gefahr seines Lebens. Wird er gefaßt, so wird man ihn zu Pulver und Blei begnadigen.“

„Das ist ja ein Prachtkerl!“ sagte Ernst Brockelmann in tiefer Bewegung, ließ seine Pfeife an einen Stuhl hinuntergleiten, steckte die freigewordene Hand in die andere Seitentasche und ging mit großen Schritten in der Stube auf und nieder, wie er zu thun pflegte, wenn er in Aufregung war.

„Wo sind die Beiden?“ fuhr er fort.

„In Warnemünde.“

„Sie sollen zu mir in’s Haus kommen.“

„Das ist es, warum ich Dich bitten wollte.“

„Wann werden sie kommen?“

„Der Wagen, welcher mich zu ihnen bringen soll, steht bereit. Darf ich heute Nachmittag vier Uhr in Krummendorf, dem Dorfe am rechten Warnowufer, Dich mit Deinem Fuhrwerk erwarten? Ich werde dann mit den beiden Flüchtlingen dort sein!“

„Ich werde mich pünktlich dort einfinden und die Beiden mit mir nehmen. Und das sage ich Dir, Wiggers, wenn ich sie erst in meinem Hause habe, bei Gott, dann möchte ich den sehen, der es wagen wollte, sie wider meinen Willen abzuholen. Nun, leb’ wohl, sage ihnen, daß ich ihnen mein Haus als Asyl anböte, und daß ich weiter für sie sorgen und sie baldmöglichst über See spediren würde!“

Wir schieden händeschüttelnd von einander. Bald darauf war ich auf dem Wege nach Warnemünde.

Dieser Ort, dessen hauptsächlich aus Lootsen, Fischern, Sandfahrern und Matrosen bestehende Bevölkerung etwa 1800 Seelen zählt, ist rücksichtlich seiner staatsrechtlichen Stellung, wenn man der Definition des Rostocker Magistrats folgt, „nach den bisherigen Vorgängen und nach anderen historischen Anhaltspunkten eine zum Vortheile der Stadt Rostock, weil dieser unterthänige, in Unterordnung gehaltene Commune, welche mehr als ein Dorf ist“. Ausländern wird diese Definition, wie so vieles Andere in unserem Patrimonialstaate, ziemlich unverständlich sein. Ich will daher hinzufügen, daß Warnemünde eine von Rostock abhängige Colonie ist, welche nicht ihrer selbst wegen, sondern blos zum Vortheile und zur Ausbeutung der Stadt existirt. Um einen Begriff von dem Grade der Abhängigkeit zu geben, will ich nur hervorheben, daß weder ein Schlächter noch ein Bäcker sich dort niederlassen darf, daß vielmehr dieser Ort von 1800 Einwohnern gezwungen ist, das nöthige Fleisch und Brod von dem zwei Meilen entfernten Rostock zu kaufen. Die politische Abhängigkeit entspricht der materiellen. Der Rostocker Magistrat übt über den Ort sein rein patriarchalisches Regiment durch eins seiner Mitglieder, Gewettsherr genannt, welcher in Rostock residirt und nur von Zeit zu Zeit, um Gerichtstage abzuhalten, Steuern beizutreiben oder Acte der höheren Polizei oder Administration auszuüben, seine Pflegebefohlenen besucht. Der Vogt ist mit dem unter ihm stehenden Hegediener die einzige am Ort beständig anwesende Obrigkeit, welche der Autorität des Gewettsherrn unterworfen ist. Die allenthalben vordringende Cultur hat die gemüthliche Seite, welche diese patriarchalischen Zustände damals hatten, auch in Warnemünde verdrängt. Das Amt des Vogtes und Hegedieners ist später durch jüngere Kräfte besetzt, welche unter dem Krummstabe eines strenggläubigen Predigers leben, der eifrig bestrebt ist, ein strafferes Regiment herbeizuführen und zur Erreichung seines Zweckes sich selbst vor Conflicten mit der städtischen Obrigkeit nicht scheut.

Im Jahre 1850 aber existirte noch das alte patriarchalische Regiment, der friedliche Ort wußte von einem Kampfe der weltlichen und geistlichen Macht noch nichts. Der damalige Prediger, aus der altrationalistischen Schule stammend, kanzelte wohl seine Gemeindeglieder in seinen Predigten recht tüchtig ab, aber außerhalb derselben ließ er sie in Ruhe und mischte sich niemals in Dinge, welche zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)