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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der große Leibnitz war in jeder Beziehung der geeignete Mann für ein solches Unternehmen, dessen eigentliche Seele er bald werden sollte. Mit einem riesigen, universellen Wissen verband er eine große, weltmännische Gewandtheit und einen bei Gelehrten so selten gefundenen praktischen Blick für das Leben und seine Anforderungen. Am Hofe zu Hannover bereits angestellt, mit der Mutter Sophie Charlottens ebenso befreundet wie mit dieser selbst, bildete er gleichsam das geistige Band zwischen den beiden größten protestantischen Fürsten Deutschlands. Frühzeitig würdigte er die Bedeutung und Wichtigkeit Brandenburgs, dessen Größe er nicht nur in seinem durch den großen Kurfürsten begründeten Kriegsruhm, sondern in dem freien Geiste religiöser Duldung, in der Förderung von Kunst und Wissenschaft richtig erkannte. Andererseits hatte auch der Berliner Hof schon vielfach den Wunsch geäußert, den berühmten Leibnitz für sich zu gewinnen und seine immensen Kenntnisse zum Wohle des Staates zu nutzen. Der Kurfürst selbst, der Alles beförderte, was seinen Ruhm und den Glanz seiner Regierung vermehren konnte, zeigte sich sogleich geneigt, auf die von seiner hohen Gemahlin angeregte Idee einzugehen. Bereits am 18. März 1700 faßte er den Entschluß, „eine Académie de sciences und ein Observatorium“ in Berlin zu gründen. Diese Nachricht, welche Sophie Charlotte selbst nach Hannover brachte, bewog Leibnitz, sich in zwei einander ergänzenden Denkschriften über die neue Stiftung auszusprechen und dieselben dem Kurfürsten einzusenden. Hierauf erfolgte eine Einladung nach Berlin, wo Leibnitz in der Mitte des Monats Mai 1700 eintraf, zu derselben Zeit, als die Vermählung der einzigen Tochter des Kurfürsten aus erster Ehe diesem die Gelegenheit gab, seine Prachtliebe im höchsten Grade zu entfalten. Er konnte sich dem Rausche der Feste nicht entziehen, obgleich ihm vor allen Dingen die Gründung der Akademie am Herzen lag. Hierüber schreibt er einem vertrauten Freunde: „Die Sache fesselt mich mehr an diesen Ort, als der festliche Hochzeitspomp, welcher jetzt vorbereitet wird, da der Bräutigam hier gestern mit großem und glänzendem Gefolge von Wagen, Pferden, Menschen seinen Einzug hielt und eine Aufnahme fand, welcher zu einer königlichen Pracht nichts fehlte.“ In einem Briefe an die Kurfürstin Sophie, seine Gönnerin in Hannover, läßt er sich folgendermaßen aus: „Gestern kam ich um drei Uhr von Lützenburg (Charlottenburg) zurück. Ich führe hier ein Leben, welches die Frau Kurfürstin mit mir „ein lüderlich Leben“ nennt. Me voilà donc bien dérangé et bien hors mon élement.

Endlich kam der längst ersehnte Tag, welcher den Grund zu der geistigen Entwicklung und Bedeutung Preußens legte. Am 11. Juni 1700 wurde die „Societät der Wissenschaften“ von dem Kurfürsten förmlich begründet. Der Name rührte von Leibnitz her, der sie dadurch von den Universitäten unterscheiden wollte, welche damals noch häufig Akademien genannt wurden. In dem Stiftungsbriefe, in welchem man leicht die Feder und den Geist des berühmten Philosophen erkennen wird, ist der Nachdruck hauptsächlich auf die „teutsche Gesinnung“ der Societät gelegt, was um so mehr zu bewundern ist, da in jener Zeit gerade der französische Einfluß nicht nur in den Trachten und Moden, sondern auch in Kunst und Wissenschaft vorherrschte. „Solchemgestalt,“ heißt es in der betreffenden Urkunde, „soll bei dieser Societät unter andern nützlichen Studien, was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen Reinigkeit, auch zur Ehre und Zierde der teutschen Nation gereichet, absonderlich mit gesorget werden, also daß es eine „teutschgesinnte“ Societät der Scienzien sei, dabei auch die ganze teutsche und sonderlich Unserer Landen Weltliche und Kirchenhistorie nicht versäumet werden soll.“ – Eine eben so große Wichtigkeit wird auch darauf gelegt, daß die Wissenschaft mit dem Leben sich in Einklang setzen und durch ihre praktische Anwendung auf das Leben das materielle und geistige Wohl der bürgerlichen Gesellschaft fördern soll. Schon in seinen dem Kurfürsten vorgelegten Denkschriften hatte Leibnitz die Ansicht ausgesprochen: „Solche Societät müßte nicht auf bloße Curiosität und Wißbegierde und unfruchtbare Experimente gerichtet sein, oder bei der bloßen Erfindung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, sondern man müßte gleich anfangs das Werk sammt der Wissenschaft auf Nutzen richten, und auf solche Specimina denken, davon der hohe Urheber Ehre und das gemeine Wesen ein Mehreres davon zu erwarten Ursache haben. Wäre demnach der Zweck, die Theorie mit der Praxis zu vereinigen, und nicht allein Künste und Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commercien und mit einem Worte die Nahrungsmittel zu verbessern.“ In dem Stiftungsbriefe heißt es: „Und wollen, daß dieselbe sich angelegen sein lassen und dahin trachten solle, daß vermittelst der Betrachtung der Werke und Wunder Gottes in der Natur, auch Anmerkungen, Beschreib- und Ausübung derer Erfindungen, Kunstwerke, Geschäfte und Lehren, nützliche Studia, Wissenschaften und Künste, auch dienliche Nachrichtungen, wie die Namen haben können excoliret, gebessert, wohl gefasset, und recht gebrauchet, und dadurch der Schatz der bisher vorhandenen, aber zerstreuten menschlichen Erkenntnisse nicht allein mehr und mehr in Ordnung und in die Enge gebracht, sondern auch vermehrt und wohl angewendet werden möge. Und wollen Männiglich in Unsern Landen, sonderlich aber die in Unsern Bedienungen stehn, auch die sonst Dependenz von uns haben, zumal aber alle, die denen Studien ergeben, nach jeder Gelegenheit, der Societät zu ihrem gemeinnützigen Zwecke die Hand möglichst zu bieten, anweisen, auch dieselbe bereits insgemein hiermit und in Kraft dieses dazu nachdrücklich angewiesen haben.“

Die Stiftung der Akademie war besonders für Sophie Charlotte ein freudiges Ereigniß, das sie durch ein Fest in ihrem geliebten Charlottenburg feierte, woran natürlich auch Leibnitz Theil nehmen mußte. Er selbst macht folgende Schilderung an seine hohe Gönnerin in Hannover von dem Leben und Treiben an dem Hofe ihrer geistreichen Tochter: „Um Ihnen eine Probe von der guten Laune der Frau Kurfürstin zu geben, werde ich das gestrige Fest beschreiben, das die hohe Frau mit Hülfe des Fräulein von Pöllnitz und ihres Capellmeisters Ariosti erdacht und in Scene gesetzt hat. Man stellte einen Dorf-Jahrmarkt vor, wo viele Buden mit ihren lustigen Artikeln aufgerichtet waren, und man für Nichts Würstchen, Schinken und allerhand Eßbares einkaufen und sogleich verzehren konnte. Diese Buden hielten der Markgraf Christian Ludwig (Bruder des Kurfürsten), Herr von Obdam, der holländische Gesandte, Herr von Hamel etc. Herr von Osten spielte den marktschreierischen Charlatan, umgeben von Arlequins und Seiltänzern, unter denen sich der Markgraf Albert (Bruder des Kurfürsten) auszeichnete. Aber nichts war artiger als der Kurprinz (der damals noch nicht ganz zwölfjährige Friedrich Wilhelm I.), welcher wirklich Hocus Pocus zu spielen gelernt hatte. – Die Frau Kurfürstin war die Doctorin, welche die Bude des Marktschreiers hielt. Der französische Gesandte, Monsieur Désaleurs, spielte sehr gut die Rolle des Zahnarztes. Beim Beginn des Schauspiels sah man den feierlichen Einzug des Doctors, der auf einer Art von Elephanten ritt, während die Frau Doctorin sich in einer Sänfte von ihren Türken tragen ließ. Der Taschenspieler, die Possenreißer, die Springer und der Zahnarzt folgten hintennach, und als der ganze Zug des Doctors vorüber war, wurde ein kleines Ballet von Zigeunerinnen aufgeführt, lauter Hofdamen, an deren Spitze die Frau Prinzessin von Hohenzollern stand; Andere mischten sich in den Tanz. Man sah auch einen Astrologen mit einem Teleskop vortreten. Die Rolle war eigentlich meiner Person zugedacht, aber der Graf von Wittgenstein war so barmherzig, mich abzulösen. Er richtete glückliche Prophezeiungen an den Kurfürsten, welcher aus der nächsten Loge zusah. Die Fürstin von Hohenzollern als erste Zigeunerin wahrsagte der Frau Kurfürstin in reizenden deutschen Versen, welche Herr von Besser (der bekannte Oberceremonienmeister und Hofpoet) gedichtet hatte. Herr von Quirini war Kammerdiener der Doctorin; und ich, ich stellte mich vortheilhaft mit meinem kleinen Augenglase, um Alles recht genau zu sehen und Ihrer kurfürstlichen Hohheit darüber Bericht zu erstatten.“

Am nächsten Tage, den 12. Juli 1700, wurde Leibnitz zum lebenslänglichen Präsident der Akademie, mit der Verpflichtung, so weit seine Stellung in Hannover es zuließ, von Zeit zu Zeit nach Berlin zu kommen. Anfänglich zeichnete sich die neu gestiftete Akademie durch den Mangel an Mitgliedern aus; dieselbe bestand zunächst nur aus dem verdienstvollen Prediger Jablonski, dessen jüngerem Bruder, der zum immerwährenden Secretair ernannt wurde, aus dem von Helmstädt berufenen Professor Fabricius und dem tüchtigen Astronomen Gottfried Kirch aus Guben, der fleißige Beobachtungen anstellte und das Kalenderwesen mit besorgen mußte. Aber Leibnitz selbst stellte, wie Friedrich der Große von ihm sagte, für sich allein eine Akademie vor. Allmählich stieg die Zahl der Mitglieder auf achtzig, darunter viele ausgezeichnete Gelehrte nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, Holland und Italien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_111.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)