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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Der damals eben ausbrechende spanische Erbfolgekrieg übte natürlich einen traurigen Einfluß auf die junge Schöpfung aus, da der Kurfürst vielfach anderweitig in Anspruch genommen wurde und sein Geld zur Anwerbung und Bezahlung seines Heeres brauchte. Indeß war Leibnitz unablässig bemüht, diesem empfindlichen Mangel durch verschiedene Mittel und Auswege, die er vorschlug, abzuhelfen. Besonders wies er auf die populäre Seite der Anstalt hin, indem er auf Vermehrung und Verbesserung des Kalenders, „dieser Bibliothek des gemeinen Mannes“, bedacht war. Er forderte für die Akademie verschiedene Monopole, den Buchhandel und das Erziehungswesen betreffend. Die Societät sollte die oberste Censurbehörde des Landes sein und – so komisch es klingen mag – eine Abgabe von jedem schlechten Buche erheben, „wodurch schädliche Schriften abgehalten, hingegen nützliche Werke und rechtschaffene Bücher von den Buchhändlern mehr, als bisher zu geschehen pflegt, angeschaffet und die künftigen Unternehmungen gelehrter und erfahrener Leute, die etwas Löbliches thun wollen und können, befördert, auch wohl nach Gelegenheit der Autoren, mit Nachweiß und sonst in Zeiten unter die Arme gegriffen würde.“ – Ein anderer Vorschlag von Leibnitz war, der Akademie das Privilegium zur Anpflanzung und Zucht der weißen Maulbeerbäume zu geben, indem er sich einen außerordentlichen Erfolg davon versprach und bis zu seinem Lebensende ein eifriger Beförderer der heimischen Seidenwürmer-Cultur blieb.

So sorgte und wirkte Leibnitz für sein Lieblingskind, das mit der Zeit einen europäischen Ruf erwarb und den Grund zu der Bildung und geistigen Entwicklung des preußischen Volkes legte. Männer wie Humboldt, Ritter, Leopold von Buch waren Mitglieder der Akademie und krönten das Werk, zu dem der berühmte Philosoph den ersten Grundstein gelegt hat in der richtigen Erkenntniß, daß der Geist der freien protestantischen Wissenschaft allein Preußens Macht und Größe in Deutschland bedingt.

Max Ring.


Blätter und Blüthen.


Städteverschönerungen und Kinderwohl. Trotz der in der neuerer Zeit immer mehr hervortretenden schönen und zweckmäßigen Geschmacksrichtung, vor den Thoren der Städte parkartige Anlagen zu errichten, welche die alte Stadt mit den Vorstädten verbinden, hat man doch nicht überall die Bedürfnisse der Bevölkerung dabei berücksichtigt. Eines namentlich ist bisher fast überall im Plane der Städteverschönerung vergessen worden: die Sorge für das Wohl und Glück des heranwachsenden Geschlechts durch Einrichtung von Spiel-, Turn- und Tummelplätzen. Höchstens hat man in den letzten Jahren hie und da in einem Winkel eine Turnanstalt eingerichtet. Die armen Kinder! Der Schulweg, den wohl manche in großen Städten im Omnibus zurücklegen, ist oft der einzige Gang in’s Freie, wenn man die volkreiche Straße so nennen kann. Vielleicht dürfen manche die Mama an einem freien Nachmittag auf einer Promenade durch die Stadtanlagen begleiten, wobei sie sich nicht die geringste Abweichung von der allgemein beobachteten und durch die Mitbesucher gebotenen Ordnung erlauben dürfen und beständig daran gemahnt werden, sich gerade zu halten, nicht auf den Rasen zu treten, nicht mit dem Stock an die Bäume zu schlagen u. s. w. Diese Beaufsichtigung ist nun allerdings an diesem Platze ganz in der Ordnung; aber ist denn ein solcher Spaziergang auch eine wahre Erholung für die Kinder? Viele Eltern haben nicht einmal Zeit, mit ihren Kindern solche steife Promenaden zu machen, andere gehen lieber allein, da ihnen der Spaziergang keine Erholung ist, wenn sie das Erziehungs- und Verweisgeschäft auch hier fortsetzen müssen. Glücklich sind die Kinder, welche eine längere Ferienreise machen oder die Ferien auf dem Lande zubringen können, glücklicher solche, welche mit ihren Eltern reisen und an Sonn- und Festtagen, vielleicht gar einmal in der Woche eine Fahrt oder einen Gang über Land machen dürfen. Zu bedauern sind aber jene armen Kinder, deren Eltern vorziehen, den Sonntag-Nachmittag in den Wirthschaftsgärten der Vorstädte zuzubringen mit oder ohne ihre Kinder, denn entweder müssen diese mit dem Dienstmädchen zu Hause bleiben oder mit diesem einen jener langweiligen Kindermädchenplätze besuchenen, oder sie treiben sich zwischen Erwachsenen im Gedränge der Vorstadtwirthschaft herum. Aber zu beklagen sind die armen Kinder, welche auch nicht eine dieser immerhin noch schätzbaren Wohlthaten genießen, weil ihre Eltern zu arm sind, um ihnen Zeit zu widmen. In kleineren Städten sind es dann Straßenkinder, die sich ihres Lebens im Freien ziemlich freuen, obschon die Sitte dabei nicht gewinnt, aber in größeren bleibt ihnen als Spiel- und Tummelplatz nichts als ein dunkler, stinkender Hof oder die abgelegenen Gartengassen der Vorstadt. Ich sage nochmals: die armen Kinder – wie werden sie um die schöne Jugend, um die schönste Zeit ihres Lebens gebracht! Wer es mit der Jugend ernstlich gut meint und die Wohlfahrt des folgenden Geschlechts im Auge hat, muß mir beistimmen, daß es durchaus nöthig ist, daß sich die Jugend austobe, daß sie ihre Kräfte gebrauchen lerne und die Glieder durch Spiel und Leibesübung kräftige und fügsam mache. Wer gut beobachtet, kann es oft noch dem jungen Manne ansehen, ob er als Kind freien Spielen ergeben oder ein Stubenhocker gewesen ist. Letzterer wird seine Glieder nie so geschickt gebrauchen, sich viel weniger leicht in neuen Dingen zu helfen wissen. Der Jugend muß Freiheit gewährt, Gelegenheit sich auszutoben gegeben werden. Im Stall wird kein edles Roß erzogen. Eine heitere, glückliche Jugend ist oft das Einzige, was im Menschenleben ungetrübt dasteht. Sie ist unschätzbar, denn sie ist der größte Hebel geistiger Frische für das ganze Leben. Wenige große Männer aller Nationen sind aus dem Gewühl großer Städte hervorgegangen. Die Luft ist dort nicht günstig für Bildung solchen Stoffes, es fehlt der Jugendd die Gelegenheit freier Entwickelung.

Wir brauchen in den größeren Städten Spiel- und Tummelplätze für die Kinder, große Plätze, welche der Jugend ausschließlich gehören, wo sie sich einmal frei fühlen von den unaufhörlichen Verboten, ohne die Erwachsenen zu belästigen. Wohl findet man in allen Stadtanlagen größere Kiesplätze, welche, wenn auch nicht gerade dazu bestimmt, Versammlung- und Klatschplätze der Kindermädchen geworden sind, jedoch von jedem andern Erwachsenen als den Verehrern der Kindermädchen gemieden werden. Aber diese sind nicht, was Noth thut, selbst wenn von der Anlagenpolizei Kinderspiele geduldet werden, denn sie genügen nicht und belästigen die Erwachsenen. Wir brauchen größere freie Rasenplätze zu Ball- und Laufspielen, im günstigen Falle groß genug, um einen Drachen steigen zu lassen, gefahrlose Teiche, um im Winter Schlittschuh laufen zu können, Plätze, wo das Schlittenfahren die Erwachsenen nicht belästigt und verboten ist. Der Lärm und Jubel wird vielleicht einige Griesgrämige ärgern, aber noch mehr Erwachsene werden sich der Jungendlust freuen und mit Vergnügen dem frischen Treiben zusehen.

Ueber die Einrichtung solcher Plätze läßt sich nichts Allgemeines sagen. Nothwendig ist, daß jeder Spielplatz auch Schatten hat, wünschenswerth, daß er durch Gebäude oder dichte Pflanzungen gegen Nord und Ost geschützt ist, damit er auch in rauher Jahreszeit benutzt werden kann. Nöthig ist, daß ganz bestimmte Grenzen gezogen sind, damit der Freiheitstrieb der Jugend nicht der ganzen Bevölkerung lästig wird und die schönen Anlagen verdirbt. Nothwendig erscheint ferner, daß eine Beaufsichtigung stattfinde, wenn auch so schwach, daß sie nur bei wirklichem Unfug und Rohheiten einschreitet. Dieses weiter zu erörtern ist nicht meine Sache, sondern der Schule, deren Beaufsichtigung und Enmischungg bei solchen Einrichtungen nicht wohl zu entbehren ist. Am meisten würden sich Spiel- und Uebungsplätze für jede Schule besonders empfehlen, auf welchen die verschiedenen Classen zu bestimmten Tagen und Stunden das Recht des Alleinbesitzes haben müßten. Eine freie Vermischung aller Kinder hat seine Bedenklichkeiten und würde auch die Kinder nicht befriedigen. Diese Jugendplätze dürften nicht zu weit von den betreffenden Schulen, aber auch nicht dicht dabei liegen, damit die Schulen nicht gestört werden.

Es müßte aber nicht blos für die Schulkinder, sondern auch für die kleineren gesorgt werden. Wo es nicht an Raum mangelt, sollten die so nützlichen Kinderbewahranstalten in den öffentlichen Anlagen liegen, und jede Stadtbehörde sollte den Kindergärten, nach Fröbel’s Muster, Begünstigungen durch unentgeltliche oder billige Ueberlassung von passenden Plätzen zu Theil werden lassen. Es ist nicht genug, daß man von der Lächerlichkeit, die Fröbel’schen Kindergärten als staatsgefährlich zu verbieten, zurückgekommen ist, man sollte sie auch begünstigen und den Besuch auch weniger Bemittelten zugänglich machen Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß auch die Turner gleiche Ansprüche auf städtischen Grund und Boden haben. Diese sind aber in neuerer Zeit bereits so begünstigt worden, daß es nicht nöthig ist, etwas zu ihren Gunsten zu sagen.

Welche Wohlthat und Beruhigung für die Eltern, ihre Kinder in voller Sicherheit unter Aufsicht im Freien an einem gesunden Platze spielend und kräftigen Bewegungen sich hingebend zu wissen! und wie athmet mancher Vater, manche Mutter froh auf, wenn die kleinen lieben Lärmer und Schreier zum Hause hinaus sind! Das kleine Opfer an Geld, welches ihnen für Aufsicht zugemuthet werden könnte, wird größeren Gewinn bringen, als manche andere Abgabe.

Es giebt ja überall und zu allen Zeiten edle Menschenfreunde, welche nützlichen Anstalten Geschenke und Legate überweisen, vielleicht finden sich auch deren zu dem angedeuteten Zwecke.

H. J.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_112.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)