Seite:Die Gartenlaube (1863) 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Schleußig, einem als Ziel bei Spazierfahrten auf dem Wasser sehr beliebten Orte. Von hier aus begaben sie sich, scheinbar wie harmlose Spaziergänger, in den Wald und trafen auch an der bezeichneten Stelle Körner in seiner Verkleidung. Es war eine Scene traurigen und zugleich erhabenen Wiedersehens, doch durften sich die drei Männer den Ausbrüchen ihrer Gefühle nicht rückhaltlos hingeben, denn noch immer streiften feindliche Truppen in der nächsten Umgebung, um nach flüchtigen Lützowern zu suchen. So rasch, als es Körner’s Zustand gestattete, eilte man zu dem harrenden Kahne, und diesen führte der treue Fischer auf den kleinen Gewässern zwischen der Pleiße und Elster, welche das Holz durchkreuzen, bis an die Wiese hinter dem ehemaligen Rudolph’schen Garten. Bei Dr. Wendler, der dort ein Besitzthum hatte, wurde Körner in einer Dachkammer versteckt und vor Allem in chirurgische Behandlung gegeben. Der größte Theil der edelmüthigen Rettung war gelungen, doch schwebten die Retter und der Gerettete noch immer in großer Sorge wegen nachträglicher Entdeckung.

„An selbigem Tage“ – erzählt Kunze weiter – „wurden noch viele von Lützow’s Schaar gefangen (in Leipzig) eingebracht, welche in dem Garten auf der Bastei an dem Schlosse Pleißenburg bivonakirten. Mit Württemberger Officieren, die bei mir im Quartier lagen, ging ich auf die Bastei und bat die Officiere, Körner unter den Gefangenen aufzusuchen. Ich ergriff diese Finte, um die Officiere sicher zu machen, weil ich Furcht hatte, sie möchten mir Unruhe anmerken, die wohl denkbar war. Als es nach wenig Tagen mit Körner so weit war, daß er transportirt werden konnte, so fuhr Dr. Wendler mit ihm in Begleitung zweier Damen, als gälte es eine Spazierfahrt, zum Thore hinaus auf sein Gut Kahnsdorf. Dort pflegte sich Körner noch einige Zeit, fuhr von da nach Frohburg zu dem Freiherrn von Blümner, dann nach Chemnitz und so durch den Beistand treuer Freunde wurde er glücklich über die böhmische Grenze nach Karlsbad gebracht. Wir schöpften jetzt freier Athem. – Viele von Körner’s Cameraden wurden damals noch in dem Walde von Groß-Zschocher versteckt aufgefunden und gefangen genommen. Er selbst wurde nicht entdeckt und rettete so eine nicht unbedeutende Feldcasse, die er bei sich hatte und welche er später mir zur Verwahrung gab.“

Des Dichterhelden fernere Schicksale auf seiner kurzen, aber ruhmvollen Laufbahn sind allgemein bekannt. Er war der gefeierte Liebling des Lützower Freicorps, seiner für Deutschlands Befreiung kämpfenden Waffenbrüder. Dieses herrliche Ziel aber sollte für Körner unerreichbar bleiben, denn schon am 26. August 1813 fand er in dem Kampfe bei Gadebusch den Heldentod. Sein Schwanengesang war das Schwertlied gewesen, das er kaum beendet hatte, als die Angriffssignale ertönten. Die Trauer der Lützower um ihren gefallenen geliebten Cameraden war eine wahrhaft ergreifende, und eine Menge rührender Züge hat uns die Geschichte des Corps davon bewahrt.

Es währte lange Zeit, ehe die Todesbotschaft an Körner’s Angehörige und Freunde gelangte. Monate lang waren sie in Ungewißheit über die Schicksale des Helden geblieben. Kunze erfuhr erst nach der Schlacht von Leipzig, am 23. October, seines gefallenen Freundes Heldentod durch Körner’s Waffenbruder, den Grafen Dohna. Welche Trauer diese unerwartete Nachricht bei der großen Menge seiner Leipziger Freunde hervorrief, ist kaum zu beschreiben.

Erst jetzt konnte Kunze die Herausgabe der ihm von Körner übergebenen zwölf freien deutschen Lieder ohne Gefahr wagen, und er ließ dieser Sammlung den Bericht über des Dichters Tod, wie ihn Graf Dohna als Augenzeuge gegeben, vordrucken.

Körner’s Vater kam erst im Frühjahre 1814 nach Leipzig und ward von Kunze an jene Stelle im Walde geführt, wo man seinen Sohn damals verwundet aufgefunden hatte. Auch der alte Gärtner in Groß-Zschocher, der ungeachtet der ihm drohenden strengen Bestrafung den schwer verwundeten Helden aufnahm und pflegte, ward aufgesucht, und Körner’s Vater setzte dem Braven für den Rest seines Lebens ein Jahrgehalt aus.

Seinen Bericht schließt Kunze folgendermaßen:

„Körner’s Vater gab hierauf eine kleine Sammlung meist noch ungedruckter Gedichte seines Sohnes unter dem Titel „Leier und Schwert“ heraus, was mich veranlaßte, mir von dem Vater als ein Andenken Körner’s Laute zu erbitten, mit welcher er früher stets als Troubadour umherstreifte. Beide, Leier und Schwert Körner’s, sind in unverändertem Zustande, so wie sie 1813 waren, in meinem Besitz.“

Wie wir schon oben bemerkten, ist im vergangenen Jahre dieser treue Freund Körner’s gestorben, aber des unsterblichen Dichters Nachlaß, Leier und Schwert, wird von der Familie als ein unschätzbares Vermächtniß bewahrt und geehrt.

Körner’s nicht minder treuer Freund, Professor Dr. Wendler, ist ebenfalls unlängst vom Leben geschieden. Er erhielt nach Körner’s Tode von dessen Familie ein nicht minder herzliches Andenken, das Bild des Dichterhelden, das von dessen einziger geliebter Schwester Emma gemalt worden war.

A. B.


Gottfried Kinkel’s Befreiung.
Von Moritz Wiggers.
(Fortsetzung.)


Am 9. November war natürlich die Badesaison längst vorüber. Mit dieser hatten auch die Dampfschiffsfahrten zwischen Rostock und Warnemünde aufgehört; nur ausnahmsweise noch wurden Segelschiffe durch die Dampfschiffe von einem Orte zum andern bugsirt. Der Warnemünder lebte wieder in stiller Einsamkeit und tröstete sich in derselben mit dem Gedanken, daß sieben Monate später die heißersehnten geldbeladenen Badegäste wieder einzurücken beginnen würden. Dann und wann fuhr wohl noch eine mit Sand oder Steinen beladene Jölle nach Rostock, aber auch dies mußte wegen der vorgerückten Jahreszeit bald aufhören. Der Verkehr mit der Mutterstadt beschränkte sich im Wesentlichen auf die Herbeiholung der nothwendigen Lebensbedürfnisse.

Aus der gegebenen Schilderung ersieht man, wie vortrefflich sich der Hafenplatz zum ersten Zufluchtsorte für die beiden Flüchtlinge eignete.

Gegen Mittag erreichte ich den Weg, der sich dicht an die Dünen bei Warnemünde hinanzog. Der Sturm brauste noch immer aus Nordost, und die Brigg tanzte wie ein Korkstöpsel auf der Rhede. Kinkel, Schurz und meinen Freund N. sah ich mir vom Strande aus entgegenkommen und gegen die Kraft des Sturmes ankämpfen. Ich verabschiedete meine Droschke und ging auf die Freunde zu.

„Willkommen, willkommen,“ tönte es mir entgegen. „Wie stehen die Actien in Rostock?“

„Herzlich willkommen,“ erwiderte ich. „Wir können dreist à la hausse speculiren. Aber, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, wer heißt Sie denn am hellen Tage an der Seeküste promeniren und sich der unnöthigen Gefahr des Verraths aussetzen?“

„O,“ entgegnete Schurz, „diese biederen Seemannsnaturen mit ihren wettergebräunten Gesichtern und ihren „Südwesters“ auf den Köpfen wissen wohl mit den Elementen zu kämpfen und den Tücken des Meeres Trotz zu bieten, aber die Tücken der Menschen ahnen sie nicht einmal, viel weniger noch sind sie fähig, Leuten wie wir, die Schutz in ihrem Heimathsort gesucht haben, die Gastfreundschaft zu brechen und sie zu verrathen.“

„Wir konnten der Schönheit und Großartigkeit der Natur nicht widerstehen,“ rief Kinkel. „Wir hörten das Brausen des Meeres und den Sturm durch die Takelagen der Schiffe heulen und pfeifen, und sahen in der Ferne die Myriaden von weißglänzenden Häuptern riesiger Wellen. Mit unwiderstehlicher Kraft zog es uns fort an’s Meeresufer. Und wie reich sind wir belohnt! Wie majestätisch rollen die Wogen daher, und wie erhaben ist die ruhige Gleichförmigkeit ihrer Bewegung in dem anscheinenden Chaos des Ganzen, wie überwältigend der Anblick, wenn die Wogen sich brechen und ihren Schaum gen Himmel spritzen und wie ein Heer von Furien und Dämonen brausend und zischend auf das Ufer zustürzen! Jetzt erst empfinde ich die Grausamkeit der Menschen, die mich so lange im Kerker schmachten ließen und so lange mir Deine Schönheit entzogen, o göttliche Natur!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_120.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)