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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Zu der Reise, oder vielmehr für die Rückkehr, hatte er sich mit zwei geladenen Pistolen versehen; die beiden schnell hinter einander gefallenen Schüsse ließen keinen Zweifel darüber. Seine frühere Rückkehr von H., seine Ankunft auf der Eisenbahnstation, die Wegnahme des Pferdes aus dem Stalle, sein Abreiten, alles das hatte er auf eine Weise zu verbergen und zu verheimlichen gewußt, die das unwiderlegliche Zeugniß von der Festigkeit und von der wohldurchdachten Ausführung seines Mordgedankens und Mordplans ablegte. Daß der Entschluß zum Tödten erst nach seiner Rückkehr zum Schlosse, als er im Garten des Grafen ansichtig wurde, entstanden und gefaßt sei, daran konnte, gegenüber jenen Thatsachen, ein vernünftiger Mensch gar nicht mehr denken. Und dazu nun die Aussage des Nachtwächters! Der Angeklagte hatte diesen in das Schloß zu dem Zimmer seiner Gattin geschickt, um sie von seiner Rückkehr zu benachrichtigen. Durch die Thür des Zimmers, durch den Corridor, in dem der Wächter stand, konnte der Graf nicht mehr entkommen. Es blieb ihm nur das Fenster, das Spalier, der Garten. Und im Garten, unter dem Fenster, an dem Spalier, stand, mit seiner doppelten Mordwaffe, ruhig, lauernd der Angeklagte, ließ gemächlich den nichts ahnenden jungen Officier bis auf vier Schritte an sich herankommen und schoß ihn meuchlerisch nieder. Er hatte damit noch nicht genug. Dem tödtlich in die Brust Getroffenen, dem Sterbenden, zerschmetterte er noch mit einer zweiten Kugel das Gehirn. Und das muß in unmittelbarer Nähe geschehen sein; die Zeugen sahen Hände und Mantel blutig. Zu dem meuchlerischen Morde fügte er die rohe Mißhandlung hinzu. „Oder,“ schloß der Staatsanwalt, „will etwa auch der Herr Vertheidiger wagen, zu leugnen, daß der Mörder und der Angeklagte eine und dieselbe Person gewesen sei? Will auch er alle diese Zeugen, die treuen, aber auch eidestreuen Diener ihres Herrn, als Lügner hinstellen und allein jenem blöden Kretin Glauben beimessen? Mag er es, aber verlange er es von den Herren Geschworenen nicht.“

Die kurze, ruhige, aber desto klarere Rede hatte einen überwältigenden Eindruck im Saale hervorgebracht. An der Schuld des Angeklagten und an dem Morde zweifelte Niemand mehr, konnte Keiner mehr zweifeln. Es war nur noch die Spannung der Neugierde, was der berühmte Advocat aus der Residenz gegen solche schlagende Argumente werde vorzubringen vermögen, die Aller Augen auf den Vertheidiger richtete, als der Präsident diesem das Wort zur Erwiderung ertheilte.

Der Vertheidiger hatte seine volle Ruhe wieder gewonnen. Ich hatte ihn fortwährend beobachtet. Er war für mich vielleicht mehr, als für alle Andere, ein Gegenstand der Neugierde geworden, freilich wohl aus einem ganz verschiedenen Grunde. Da hatte ich denn gesehen, wie sein unruhig im Saale herumsuchender Blick auf einmal ein anderer geworden war. Er mußte plötzlich etwas gesehen haben, das ihm alle Unruhe, allen Zweifel, alle Sorge nahm. Es war während der Rede des Staatsanwalts. Was es war, konnte ich nicht ermitteln, nicht errathen. Seine Augen waren bis dahin nach allen Seiten hin und her geschweift. Es schien mir, als wenn er wieder hinten in dem Zuschauerraum irgend eine Entdeckung gemacht habe. Aber welche? Die Thüre dort war mehrere Male auf- und zugemacht worden, aber leise, ohne Geräusch, damit der Redner nicht gestört werde. Daher hatte ich auch um so weniger meinen Platz verlassen dürfen, um nach dem zu suchen, was den Vertheidiger so ruhig, so sicher, so sorglos gemacht haben könne. So war er und so begann er seine Vertheidigungsrede.

„Ich habe keine so leichte Mühe, wie der Herr Staatsanwalt.“ sagte er. „Ich glaube im Gegentheile, daß ein Vertheidiger, der Gewissen und Einsicht hat, selten in einer schwierigeren Lage sich befand. Ich muß den klarsten, den übereinstimmendsten und überzeugendsten Beweisen gegenüber dennoch die Unschuld des Angeklagten behaupten. Aber ich muß es, meine Herren Geschworenen; ich muß es, nach meiner, nach meiner innersten, heiligsten Ueberzeugung von der Unschuld des Angeklagten; ich muß es auf die Gefahr hin, daß Sie mich, den Fremden, den Ihnen völlig Unbekannten, für einen jener gewöhnlichen Advocaten halten, die durch Wort-, Satz- und Rechtsverdrehungen, durch Verkehren von Schwarz in Weiß und von Weiß in Schwarz, den klarsten Thatsachen gegenüber die Unschuld ihres Clienten nachzuweisen suchen und ihn dadurch erst recht als schuldig hinstellen. Ja, meine Herren Geschworenen, der Angeklagte ist unschuldig; er ist kein Mörder und hat den Mord nicht begangen, dessen Thatbestand hier vor Ihnen entrollt ist. Denn das gebe ich der Anklage vollkommen zu, wenn wirklich der Angeklagte der Thäter war, dann liegt hier ein Mord vor, wie er kaum vorbedachter und planmäßiger ersonnen und meuchlerischer, selbst mit jenen Mißhandlungen, die der Herr Staatsanwalt hervorgehoben hat, ausgeführt werden konnte. Aber der Angeklagte war nicht der Thäter; ein Anderer war es, ein Anderer muß es gewesen sein. Die Zeugen haben sich geirrt. Nur Einer ist frei von dem entsetzlichen Irrthume geblieben, jener arme schwachsinnige Bursche, den der Herr Staatsanwalt Ihnen als einen Kretin bezeichnet hat. Der Herr Staatsanwalt hatte Recht hierin. Der Mensch ist ein Kretin, und gerade weil er es ist, sah er richtig; gerade weil er allein unter allen den anderen Dienstboten des Schlosses des klaren Lichtes der Vernunft beraubt war, war er unter ihnen allen der einzige, der nur mit seinen leiblichen Augen und nicht mit seiner Phantasie sah, und der daher die Wirklichkeit erkannte und das Falsche von dem Wahren schied, wo die Anderen das, was sie sahen, mit dem, was sie zu sehen sich einbildeten, vermengten und vermischten. Der Graf Hochhausen war oft zum Schlosse gekommen; man hatte ihn viel in der Gesellschaft der Freifrau gesehen, auch mit ihr allein; da waren die Leute schnell fertig mit einem Urtheile gewesen, das der Mensch um so schneller und fertiger bei der Hand hat, je mehr es ihm selbst an geistiger und sittlicher Bildung fehlt. Sie hatten wohl unter sich davon gesprochen; um desto fester war das Urtheil, die Ueberzeugung in ihnen geworden. An diese Ueberzeugung knüpfte ihre Phantasie weiter an: sie sahen geheime Zusammenkünfte zwischen dem Grafen und der Freifrau, den Grafen betrogen; sie sahen den betrogenen Gatten seine Schande entdecken, seine beleidigte Ehre rächen. Das mußte nach ihrer Meinung einmal kommen.

Da hörten sie in jener Nacht zwei Schüsse; die Schüsse sind unter den Fenstern der Freifrau gefallen. Der Freiherr unvermuthet zurückgekehrt! Der Graf von ihm überrascht! Das waren ihre ersten, ihre einzigen Gedanken. Mit diesen Gedanken eilen sie in den Garten, sehen sie einen Mann fliehen, der Aehnlichkeit mit dem Freiherrn hat, vielleicht sie nicht einmal hat. Das kann ihnen nur der Freiherr sein; die Nacht, das zweifelhafte Mondlicht kommt ihrer Phantasie zu Hülfe; sie sehen den Grafen in seinem Blute unter den Fenstern der Freifrau liegen. Sie haben gar keinen Zweifel mehr und sterben darauf, daß sie nur den Freiherrn gesehen, daß sie ihn auf das Allerbestimmteste erkannt haben. Nur Einer unter ihnen sah anders. Der Blödsinnige hatte von allen jenen Thatsachen, Gerüchten und Gereden nichts erfahren, er war ihnen unzugänglich gewesen, und so hatte er sich auch jenes Urtheil nicht bilden können; sein schwacher Verstand hätte es ohnehin wohl nicht vermocht. So sah er auch nicht mit seiner Phantasie, sondern nur mit seinen leiblichen Augen, und sie sahen klar und scharf, und sie erkannten wohl einen Mann, der dem Freiherrn ähnlich sah, sie erkannten aber auch wohl, daß es der Freiherr nicht war. Der Mensch war größer, als der Herr, und er hatte andere Augen, hat er Ihnen gesagt, und dabei ist er verblieben, und darin hat er sich durch nichts beirren lassen, und wollen Sie noch zweifeln, daß er Ihnen auch die thatsächliche, objective Wahrheit gesagt hat? Nur zwei der anderen Zeugenaussagen könnten Sie irre machen, die des Nachtwächters und des alten Kammerdieners. Und sodann hätten Sie die wichtigste Frage an mich zu stellen, wer denn der Mörder gewesen sei. Allein wenn ich Ihnen in Beziehung auf die letztere Frage schon jetzt erkläre, daß alle Nachforschungen über die eigentliche Person des Thäters ohne jegliches Ergebniß geblieben sind, und daß ich Ihnen nachher kaum einige entfernte Vermuthungen darüber werde aufstellen können, so vertraue ich doch zu Ihrer Gewissenhaftigkeit, meine Herren Geschworenen, daß dieser Umstand Sie nicht hindern wird, den übrigen, wirklich ermittelten Umständen ferner Ihre volle Aufmerksamkeit und gerechte Würdigung zu Theil werden zu lassen. Ich wende mich zuerst zu der Aussage des Nachtwächters des Schlosses. Er war der Einzige, der in der Nacht des Verbrechens mit dem Mörder gesprochen hatte. Er hatte sich wohl auch schon vorher sein Urtheil gebildet, wie die Anderen. Dennoch –“

Der Redner wurde unterbrochen. Ein Gerichtsbeamter war während seines Vortrags in den Saal getreten. Der Mann schien eilig zu sein, war aufgeregt und nahete sich dem Stuhle des Präsidenten. Im Gehen warf er einen verwunderten, forschenden Blick auf den Angeklagten. Dann sprach er einige rasche, leise Worte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)