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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

medicinische Wissenschaft) ebensowenig mit der homöopathischen Heilkunst abgeben, wie die Astronomie mit der Astrologie (Sterndeuterei) und die Chemie mit der Alchemie (dem Auffinden des Steins der Weisen und des Lebenselixirs). So ist’s auch gar nicht denkbar, daß ein wissenschaftlich gebildeter Mensch im Ernste darüber Nachforschungen anstellen wird, ob wirklich von 13 Personen, die an einem Tische saßen, eine (besonders die am Spiegel saß) im nächsten Jahre starb, oder ob’s wirklich möglich ist, daß Eier, die von einem weiblichen Wesen gesotten werden, nicht hart zu kochen sind, auch wenn sie noch so lange am Feuer stehen, sobald ein männliches Wesen in der Nähe während dieser Zeit seine Nase umfaßt hält. – Nur ein im tiefsten Aberglauben auferzogener Mensch kann an die Möglichkeit von Curen glauben, wie sie der zum Sanitätsrathe entpuppte Postsecretär Dr. Lutze in Köthen bekannt gemacht hat, der z. B. einem Geistlichen, welcher an Taubheit litt, bei 40 Meilen Entfernung in derselben Stunde das Gehör wieder verschaffte, als er die Kraft seines Willens dahin sandte, und der einen Mann, welcher sich auf der Straße eben den Fuß verrenkt hatte, durch bloßen Zuruf heilte. Daß die Königliche Polizei-Direction in Potsdam in einem Berichte an den Magistrat zu Köthen (vom 18. August 1846) und an die Herzoglich Anhaltische Medicinal-Commission (vom 8. Juli 1850) über diesen Heilkünstler geschrieben hat: „daß, wo derselbe in einzelnen Fällen sich der Heilung bedeutender Uebel öffentlich gerühmt habe und in seinen Schriften noch rühme, das Gegentheil davon bekannt worden sei,“ das thut bei der abergläubischen Menschheit diesem Wunderdoctor freilich keinen Abbruch.

Es gehört ferner ein fast an Wahnsinn grenzender Aberglaube dazu, um die Heilung der verschiedenartigsten Krankheiten aus einem und demselben Topfe voll purgirenden Geheimmittels (z. B. der Frau Müllerin Graf in Schleiz und des Herrn Schuster Lampe in Goslar) für möglich zu halten, und doch giebt es zur Schande des Menschenverstandes noch viele solche Abergläubige. – Kurz, aus der großen Menge zur Zeit und zwar zum Hohne des gesunden Menschenverstandes noch existirender und gesuchter Charlatanerien und Charlatane läßt sich recht deutlich ersehen, auf welch niedriger Stufe von wahrer Bildung das Menschengeschlecht noch steht.

Auch ein Drechsler, Herr Carl Baunscheidt in Endenich bei Bonn, hat, trotzdem derselbe vom menschlichen Körper und von Krankheit ganz und gar nichts versteht, eine neue Heilmethode erfunden, die er nach seinem Namen „Baunscheidtismus“ genannt hat. Sie besteht wesentlich in örtlicher Hautreizung und zwar mittels Anwendung eines von ihm erfundenen Instrumentes, dem er den Namen „Lebenswecker“ gab und in der nachfolgenden, einen Hautausschlag erzeugenden Einreibung eines von ihm präparirten, geheim gehaltenen, reizenden Oeles (Oleum Baunscheidtii, Lebensweckeröl) in die vom Lebenswecker gemachten Nadelstiche. Neuerlich hat dann noch ein Herr Fr. Neumann, der sich Verfertiger und Miterfinder des Instrumentes nennt, den Lebenswecker, wie er sagt, nicht nur wesentlich verbessert, sondern auch ein unentbehrliches Handbuch dazu kurz und verständlich abgefaßt, damit sich Jedermann mit leichter Mühe ohne Arzt selbst belehren und des Instrumentes bedienen kann. Natürlich gewährt, den Erfindern nach, dieses Heilverfahren bei vorkommenden Krankheiten die beste und schnellste Hülfe ohne Gefahr und Schmerz, und „daher sollte auch in jeder Familie, in jedem Hause dieser Heilapparat eben so wenig fehlen, wie eines der unentbehrlichsten Hausgeräthe.“ Selbst da noch, wo bei Krankheiten die angesehensten Aerzte und die gewöhntesten Heilmethoden sich als unwirksam erwiesen hatten, soll das Baunscheidt’sche Heilverfahren noch Heilung bewirkt haben.

Was nun zuvörderst das „ohne Gefahr und Schmerz“ betrifft, so ist dies durchaus nicht immer der Fall, denn die heftige Hautreizung durch die Lebensweckerei hat schon manchmal eine bis zum Brande gesteigerte, also gefährliche Hautentzündung veranlaßt. Auch sind Fälle bekannt worden, wo reizbare Personen in Folge der starken Erregung der Hautnerven (ob durch die Nadelstiche oder die Oeleinreibung, lassen wir dahin gestellt sein) von Krampfzufällen heimgesucht wurden. Also mit der Behauptung: „daß durch die Anwendung des Baunscheidt’schen Heilverfahrens weder gesunden noch kranken Individuen irgend ein Nachtheil zugefügt werden kann,“ damit ist es nichts.

Komisch, aber auch ärgerlich ist ferner das Gebahren des Herrn Drechsler Baunscheidt insofern, als er nicht nur mit den Thalern nicht zufrieden ist, welche ihm sein Instrument, sein Oel und sein in 8 Auflagen erschienenes Buch über den Baunscheidtismus eingebracht haben und noch einbringen, sondern daß er auch sogar noch den frechen Wunsch laut werden ließ, es möge sein Heilverfahren in der Wissenschaft aufgenommen werden. Dieses Unmögliche hoffte er dadurch zu ermöglichen, daß er „im Interesse sowohl der Wissenschaft als seiner Entdeckung“ zu Anfange des Jahres 1861 einen Preis von 200 Ducaten für die beste wissenschaftliche Abhandlung über den Baunscheidtismus aussetzte, und daß in einer im Jahre 1860 projectirten wissenschaftlichen Zeitschrift (für welche man auch merkwürdiger Weise den Unterzeichneten, der doch bis jetzt der Charlatanerie noch nirgends das Wort gesprochen hat, zum Mitarbeiter auserlesen hatte) der Lebensweckerei „das wissenschaftliche Bürgerrecht erworben und somit der wissenschaftlichen Medicin ein wirklicher Dienst erwiesen werden sollte.“ – Die Wissenschaft hat nun aber, wie sich das wohl von selbst verstand, von dem Baunscheidtismus ebenso wenig, wie von der Homöopathie, der Rademacherei u. s. w. bis jetzt Notiz genommen. Nicht wahr? Das ärgert Euch, Ihr Baunscheidtisten, Homöopathen und Rademacherianer?

Wie ärgerlich übrigens dem Herrn Baunscheidt dieses Ignoriren, sowie die Bemerkungen einiger Heilkünstler über die Lebensweckerei sind, läßt sich recht deutlich aus der knotigen Art und Weise erkennen, mit welcher er, der Drechsler, in seinem von Unsinn strotzenden Buche in Sachen der Heilkunst gegen wissenschaftlich gebildete Aerzte auftritt. Ja er bricht in seinem Dünkel sogar in die Worte aus: „Diejenigen Aerzte, welche sich noch als Widersacher dieser Lehre geriren, wünschte ich kennen zu lernen, um Sorge treffen zu können, daß ihr Name der Nachwelt nicht verloren gehe.“ Jedenfalls sind übrigens diese Aerzte besser daran, als diejenigen, welche Herr Baunscheidt in seinem Buche als Anhänger seiner Heilmethode namentlich aufführt und die dadurch bei ihren Collegen recht tüchtig blamirt worden sind. – Auch gegen Aerzte, die sich ein nachgemachtes Instrument anschaffen, wüthet Herr Baunscheidt, und „am allergemeinsten“ sollen sich nach ihm diejenigen Aerzte benehmen, „die sich durch seine Heillehre persönlich sowohl, als ihre Familie in körperlichem Wohlsein zu erhalten befleißigen, während sie ihre Patienten nach wie vor für schweres Geld nach der alten Medicinalia sterben lassen.“

Wie sich Baunscheidt die Wirkung seines Lebensweckers denkt, geht aus folgenden Worten hervor: „Dieses verwegene Instrument ist weiter nichts als eine Zusammenstellung feingespitzter Nadeln, welche dazu bestimmt sind, durch ihre Stiche in die Haut (eine fast schmerzlose Operation) künstliche Poren zu erzeugen, durch welche allen in Folge einer gestörten Hautthätigkeit an den leidenden Stellen des Körpers augehäuften, die Gesundheit tödtenden Krankheitsstoffen ein einfacher und natürlicher Weg zum allmählichen Abzuge (Verflüchtigung) geöffnet wird.“ – Bei dieser mehr als kindischen Ansicht über Krankheit (s. Gartenl. 1859. Nr. 18) wäre es ja am besten, es würden dem Kranken gleich Löcher in die Haut geschnitten, damit die Krankheitsstoffe recht bequem aus dem Körper herausfahren könnten. – Was für Krankheitsstoffe aber schon durch jene feinen Nadelstiche von Herrn Baunscheidt aus kranken Körpern herausgelockt worden sind, geht aus dem Verzeichnisse der Krankheiten (von denen übrigens viele, was Herr Baunscheidt nicht zu wissen scheint, nur Symptome der verschiedenartigsten Krankheiten sind) hervor, bei denen der Baunscheidtismus geholfen haben soll. Es sind unter andern: Akatalepsie, eine Krankheit, die den Menschen unfähig macht, eine Sache zu begreifen oder richtig zu denken; das Instrument wird hier 80 bis 90 Mal an die Rückgratswirbel gesetzt, und am folgenden Tage, Nachmittags gegen 4 Uhr, befreit sich das Nervenleben, es tritt eine erhebliche Stärkung der Verstandeskräfte ein. – Kahlköpfigkeit, wobei der Lebenswecker in zehntägigen Zwischenräumen am Rücken und hinter den Ohren angesetzt wird; der Krankheitsstoff macht dann dem Lebensstoffe Platz. – Finnen im Gesichte werden durch Baunscheidtiren am Rücken und Bauche bald beseitigt. – Gelbsucht wird in der Regel schon mit der ersten Anwendung des Instrumentes am Rücken und in der Lebergegend gehoben. – Gelbes Fieber, diese pestartige Seuche, wird mittel des Lebensweckers ebenfalls schnell und radical geheilt.

Es werden durch den Baunscheidtismus ferner geheilt: Krämpfe aller Art (der Lebenswecker ist „Herr aller Krämpfe“), Schlaflosigkeit, Würmer, Brandmale, Hypochondrie, zurückgetretene Krätze, Husten, Erschlaffung der Leber und Eingeweide, Darmgicht, Wechselfieber,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_151.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2020)