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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

von Göttern und Thieren belacht,“ – sein Schmerz war ihm ein heilig ernster, geschrieben mit dem Herzblute! Sein Leben hätte anders sein können – so aber „war’s Entsagen nur und Trauern“ – „das grause Dunkel“, das in seiner Seele wohnte, war kein leeres Phantom – es war eine Vorahnung von dem, was später schrecklich in Erfüllung gehen sollte.

Im „weiten“ Ungarlande, im Dorfe Csatad, vier Meilen von Temesvar, wurde Nicolaus Franz Lenau am 13. August 1802 geboren. Sein Vater, Franz von Niembsch, königlicher Amtsschreiber in Csatad, fiel als ein Opfer ungezügelter Leidenschaften – seine Mutter Therese, das Bild rührendster, aufopferndster Liebe, war fortan der gute Engel des früh verwaisten Knaben, dessen jugendlicher Frohsinn durch das Elend des Vaters schon im Keime erstickt wurde. Als ob sie den Werth des von ihr vergötterten einzigen Sohnes früher als jeder Andere erkannt hätte, mochte sich die zärtliche Mutter nicht entschließen, ihren „Niki“ den Großeltern zu überlassen, welche den Knaben adoptiren wollten. Lieber arbeitete sie Tag und Nacht mit der Nadel, um ihrem Liebling, wenn auch nur annähernd, die Sorgfalt angedeihen zu lassen, die er in dem Hause der vermögenden Großeltern gefunden haben würde. – Im Guitarre- und Geigenspiel erhielt er seinen ersten Unterricht, nebenher dem Vogelfang leidenschaftlich anhängend. Damals konnte er sich stundenlang auf den Rasen hinstrecken, umweht von Binsen und dem schönen „Waisenmädchenhaar“, und mit seiner ihm angeborenen Listigkeit die Vögel locken, indem er ihr Pfeifen und Gezwitscher auf’s Täuschendste nachahmte. „Bemerkenswerth ist auch aus jener Zeit, daß er überaus fromm war. Er betete tagtäglich sein Morgen- und Abendgebet mit tiefster Inbrunst. Ein Hauptvergnügen für ihn war, vor einem zum Altar hergerichteten Stuhle die Messe zu lesen, wobei ihm seine Schwester „Resi“ dienen mußte. Letzteres that er späterhin auch selbst gerne dem Priester in der Kirche, wobei ihm aber schon sehr hoffärtige Gedanken durch den Kopf schossen, wie in seinem „Faust“ (Faust’s Tod) zu lesen steht. Er predigte auch manchmal so ergreifend, daß seiner Mutter und noch mehr seiner alten Wärterin, der Schwäbin Walburga, die hellen Thränen über die Wangen rollten. Auch noch als Mann sprach Lenau mit Entzücken von der wahrhaft himmlischen Seligkeit, die ihn durchströmte, als er das erste Mal, rein wie ein Engel, von der Beichte gegangen war. Die Frömmigkeit des Knaben erklärt uns, wie der Mann Lenau vornehmlich auf die Glaubenslehre bezügliche Stoffe zu großen Gedichten (Savonarola, die Albigenser) wählen mochte.“[1]

Gewiß mehr dem Drange, ihren Kindern einen Ernährer zu schaffen, als einer tieferen Neigung folgend, entschloß sich Lenau’s Mutter zu einer zweiten Verbindung. Der neue Gatte, ein Arzt, zog mit der Familie nach Pesth, und hier genoß der junge Lenau des ersten geregelten Unterrichts auf dem Gymnasium, das er von 1812–1815 besuchte. Doch eine zweite Uebersiedelung des Pflegevaters von Pesth nach dem weinreichen, aber arztarmen Tokai unterbrach diesen Unterricht auf’s Neue, wodurch der künftige Gelehrte vielleicht einbüßte – der künftige Dichter aber offenbar gewann. „Wie mußte den naturseligen Lenau, damals selbst noch im Lenze seines Lebens, dieser sein erster freier Lenz in ausgezeichnet schöner Gegend wonnig ergreifen!“

Dieser Frühling und Sommer in Tokai waren vielleicht die glücklichsten Tage in Lenau’s Leben. Zudem wurden sie verschönt durch die Erscheinung eines Mädchens, der Freundin seiner Schwester, welches sein Gemüth noch mehr ergriff, als der Anblick des Tokaier Landes und seiner krystallhellen Wasser. Doch auch diese glücklichen Tage sollten ihr Ende erreichen. In Tokai war kein Gymnasium – der bereits fünfzehnjährige Lenau mußte seine Studien wieder aufnehmen, und so entschloß sich die leidenschaftlich liebende Mutter, die sich vorläufig lieber von dem Gatten, als von dem Sohne trennen wollte, mit ihm und ihren andern Kindern wieder nach der Hauptstadt Ungarns zu gehen.

Am westlichen Fuße des Ofener Festungsberges steht noch jetzt ein einsames Haus (früher eine Capelle), von einem Wiesenplane umgeben, der früher als Soldatenkirchhof gebraucht wurde. In dieses schauerlich-romantische Häuschen zog die Mutter Therese mit ihren Kindern. Die Traurigkeit des Ortes, wie die mehr als bescheidenen Verhältnisse der Mutter, drückten den jungen Lenau schwer darnieder, und „zu jener Zeit mag die dunkle Blume der Schwermuth, deren Samen er schon bei der Geburt empfing, in seinem Busen zuerst zur Blüthe gelangt sein.“ – Auf den erneuten dringlichen Wunsch der Großeltern, Nikolaus zu sich nehmen zu wollen, ging daher dieser um so entschiedener ein, als er, gleich der Mutter, wohl einsah, daß an eine würdige Ausbildung seines Geistes aus eigenen Mitteln nicht zu denken war. Ein Brief aus Stockerau, wo nun Lenau bei den Großeltern lebte, giebt das herrlichste Zeugniß von dem rührenden Verhältniß zwischen Mutter und Sohn, und eine Stelle daraus möge hier ihren Platz finden:

 „Liebe theure Mutter!

Ohne Verzug und gleich nach Erhaltung Ihres Briefes will ich Ihnen denselben beantworten. Innigst erfreut über die unbegrenzte Liebe, die aus allen Ihren Handlungen erhellt, und ganz von Dankgefühl durchdrungen, gelobe ich: meine gute Mutter nie aus meinem Herzen zu bannen, und eingedenk des Opfers, daß Sie sich um meines Wohles willen dem bittersten Schmerz, der Sie nach meiner Trennung übermannte, preisgaben, will ich, so lange ich athme, Ihr gutes Kind bleiben.“ etc. etc.

Beim Beginne des Schuljahres 1819 mußte Lenau nach Wien, um dort in das erste Jahr der Philosophie aufgenommen zu werden. „Mit dem Studiren, das einen praktischen Lebenszweck vor Augen hat, mag es ihm jetzt, wie in der Folge, nie recht Ernst gewesen sein; er erschien immer mehr als Gast und Liebhaber, der nur das, was ihm eben mundet, mit vollen Zügen schlürft und Alles, was ihn anekelt, mit unverhohlenem Mißbehagen bei Seite schiebt. Daher kam es auch (fährt der Dichter Seidl in seiner damaligen Charakteristik fort), daß er in die vorgeschriebenen Formen, die seinem unruhigen Geiste eine beengende Fessel waren, sich nicht zu fügen wußte, und bald da, bald dort anstieß.“ – Lenau genirte sich also cavaliermäßiger, als er sollte, und wurde dadurch vielleicht, wozu das heiße Magyarenblut, das in seinen Adern rollte, nicht wenig beitrug, früher in die Mysterien der Liebe eingeweiht, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Ein Verhältniß, das er zu jener Zeit mit einem zwar schönen, aber seiner unwürdigen Mädchen anknüpfte, hinterließ die ersten Spuren jener Melancholie und Zweifelsucht, die später seinen Charakter verdüsterten, aber auch die schönsten Blüthen im Garten deutscher Poesie trieben. Diesen seinen ersten Schmerz zu tödten, sehen wir ihn im wildesten Ritt die weiten unabsehbaren Haiden zwischen Pesth und Tokai durchmessen. Diese wilden, oft nächtlichen Ritte, denn:

„Die Haide war so still, so leer,
Am Abendhimmel zogen
Die Wolken hin, gewitterschwer,
und leise Blitze flogen“

gaben ihm später den Stoff zu seinen reizenden „Haidebildern“.

Kaffeehausleben, Reisen in die österreichischen Alpen, Verbrüderungen mit gleichen geistigen Genossen wechselten nun bunt durcheinander. Besonders war es das „Neuner’sche Kaffeehaus“, für welches Lenau heftig inclinirte, weil es zugleich der Sammelpunkt anderer strebsamer Talente, wie Graf Auersperg (der nachmals berühmte Anastasius Grün), Baron Schlechta, Badenfeld etc. war. „Hier,“ erzählt Seidl „saß er in der Ecke des Billardzimmers, das Kinn tief in die Brust gebohrt, mit den Augen in die Gluth seines Pfeifenkopfes stierend, die Beine lang hingestreckt über einen zweiten Stuhl, mit der Rechten bald sein schwarzes Haar durchfingernd, bald im Genick und hinter den Ohren sich krauend, bald die Stirne runzelnd, bald die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln verziehend, einsam unter den plaudernden Tischgenossen, abwesend für Alles, was um ihn vorging, bis er plötzlich wie aus einem Traume erwachend, sich schüttelte, mit fast wilder Lustigkeit Einem oder dem Andern zurief: „Allons, Freund, eine Partie!“ und nun den Queue, den er meisterlich zu handhaben wußte, wie einen Zauberstab ergriff, um alle bösen Geister, die auf ihn einstürmten, zu bannen.“

Aus diesem vielleicht nur scheinbaren dolce far niente riß ihn der Tod seiner geliebten Mutter – der Ernst des Lebens sollte beginnen – und der Student Niembsch von Strehlenau (letzterer Name war ihm von seinen Großeltern überkommen) tritt 1830 zum ersten Male als Dichter unter dem Namen Lenau auf,[2] nachdem er sich abwechselnd mit dem Studium der Philosophie, der Rechtswissenschaft und Heilkunde beschäftigt hatte, was jedoch nur „ruckweise“ und mit großen Unterbrechungen geschah. – Wie mit


  1. Siehe Lenau’s Leben von Anton Schurz.
  2. Sein erstes Gedicht mit dieser Namensunterschrift findet sich in weiland „Spindler’s Damenzeitung“ und trägt die Ueberschrift:„Glauben, Wissen, Handeln. Ein Allegorischer Traum.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_166.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)