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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Das eigentliche feierliche Leichenbegängniß fand erst am 9. September 1786 unter Entfaltung aller zu damaliger Zeit erdenklichen Pracht statt. Die umfangreichsten und großartigsten Vorbereitungen waren zu diesem Zweck getroffen worden. Eine zweitausend Fuß lange, zwanzig Fuß breite und einen Fuß hohe Brücke verband das Stadtschloß mit der Garnisonkirche, und auf dieser bewegte sich der Leichenzug mit dem Paradesarge nach dem im reichsten Trauerschmuck prangenden Gotteshause. Unter den Decorationen im Innern der Kirche verdienen besonders hervorgehoben zu werden die an den sechs vordersten Pfeilern in großer Medaillonform angebrachten und vom Director der königlichen Kunstakademie Rohde gemalten Sinnbilder, welche sich auf sechs Hauptpunkte im Leben und Charakter Friedrich’s des Großen bezogen:

Das erste darstellend die der Erweiterung und Verschönerung der Städte, wie auch dem Ackerbau gewidmete Fürsorge des Königs; das zweite den siebenjähr. Krieg; das dritte die Eroberung Schlesiens; das vierte den Schutz, welchen er den Künsten und den Wissenschaften angedeihen ließ; das fünfte verbildlichend den von ihm gegründeten deutschen Fürstenverein, zur Wahrung der Freiheit und Rechte des deutschen Reichs; und endlich das sechste die Vereinigung Ostpreußens mit Westpreußen.

Unter den zahllosen Besuchen, welche der Gruft des großen Preußenkönigs abgestattet wurden, sind es zwei, die eine historische Bedeutung erhalten haben, und die, obgleich schon vielfach beschrieben, hier erwähnt zu werden verdienen, und zwar in der Weise, in welcher der Hofküster Geim als Augenzeuge, namentlich über den Besuch Napoleon’s, an Ostmann berichtete.

„In der Nacht vom 4. zum 5. November des Jahres 1805, um 1 Uhr, betraten der Kaiser Alexander I. von Rußland, Friedrich Wilhelm III. und die Königin Louise die mit Wachskerzen erleuchtete Kirche. Am Grabe Friedrich’s II. küßte Alexander, von seinen Empfindungen überwältigt, den Sarg des ruhmreichen Todten, und der Königin die Hand zum Unterpfand unverbrüchlicher Freundschaft, während er die rechte Hand des Königs zum Zeichen unwandelbarer Treue ergriff.“

Die Gruft Friedrich’s des Großen in der Garnisonkirche zu Potsdam.

Aus Geim’s nachfolgender Erzählung geht hervor, daß Napoleon’s Aeußerung: „wenn dieser König noch lebte, würden wir uns nicht hier befinden,“ nicht, wie allgemein geglaubt wird, am Sarge Friedrich’s des Großen gethan wurde. In Uebereinstimmung mit dieser Aussage behauptet ein Kammerdiener Friedrich Wilhelm’s III. (in einem auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Manuscript, in welchem selbiger als Augenzeuge seine Erlebnisse während Napoleon’s Anwesenheit in Berlin und Potsdam niederschrieb), daß der Kaiser diese denkwürdigen Worte beim Besichtigen der Zimmer Friedrich’s des Großen in dem Schloß, und zwar beim Auffinden seines Degens gesprochen habe. Demgemäß soll Napoleon gesagt haben: „Wenn der König noch lebte, der diesen Degen getragen, so würden wir uns nicht hier befinden.“

Ostmann theilt die Erzählungen Geim’s, der damals bereits als Küster der Garnisonkirche fungirte, in folgender Weise mit:

Der Kaiser kam am 24. October[WS 1] 1806 mit dem Prinzen Jerôme, den Marschällen Murat, Duroc und Berthier, sowie dem General René, welcher zum Commandanten von Potsdam ernannt worden war, nicht vom Exerciren, wie es in dem eben erwähnten Manuscript heißt, sondern von Sanssouci her, um das Grab Friedrich’s des Großen zu besehen, in die Garnisonkirche. Er war, wie sein zahlreiches militärisches Gefolge, zu Pferde, und der Stallmeister Müller ritt vor ihm her, den Weg durch die Stadt zu zeigen. Die Benachrichtigung, daß der französische Kaiser in die Garnisonkirche kommen wolle, war vom Schlosse her zwar an den stellvertretenden Prediger Derége gekommen, hatte ihn aber nicht zu Hause angetroffen, so daß nur die Kirchendienerschaft in der Eile zusammengerufen werden konnte. Stallmeister Müller hatte den Kaiser vor die ebenfalls geöffnete Thurmthür geführt, während der Küster Geim am Eingange dem Waisenhause gegenüber wartete und erst durch die Kirche zum Thurm-Eingange eilen mußte, als das Pferdegetrappel die Ankunft des Kaisers verkündete. Da man den Eintritt des Kaisers durch die Thurmthür nicht erwartet hatte, so war die innere, aus der Thurmhalle in die Kirche führende


  1. Vorlage: Octber
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_172.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)