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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Drum auf, drum auf, du deutsches Herz,
Es gilt die Mutter schützen!
Sei dir der Sohnespflicht bewußt,
Wirf dich als Wall vor ihre Brust
Und zeig’ die Schwerterspitzen!
Die deutsche Treu’, die alte Treu’,
Ersteh’ im neuen Lande neu,
Und Fluch ihm, der sie schändet!

Ich war, als die letzten Töne verklangen, wie gewöhnlich so davon angeregt, daß ich Gott weiß welche Heldenthaten zu vollbringen wünschte, gegen welche mein Leben mir im Augenblicke durchaus nichts war, als sich der Eingang des Zeltes öffnete und der General mit einem raschen Blick über die nächsten Umgebungen in’s Freie trat. Ich war mit einem Sprunge auf den Füßen, und er nickte zufrieden, als er mich erblickte. „Lassen Sie uns einige Minuten bei Seite treten, Reuter,“ sagte er halblaut und strich sich rasch das graue, buschige Haar aufwärts – eine Bewegung, die ich noch jedes Mal an ihm gesehen, wenn ihm ein wichtiger Gedanke zu schaffen machte, – „ich möchte ein paar Worte mit Ihnen reden!“ Er schritt mir voran von dem Lager hinweg, bis wir in gleicher Entfernung zwischen diesem und unserer Postenkette standen, sah sich erst scharf in der freien, vom Monde beleuchteten Umgebung um und begann dann mit vorsichtig gedämpfter Stimme: „Ich habe eine ungefähre Angabe über den Standort des General Price erhalten, bin aber trotzdem noch immer völlig im Dunkeln sowohl über seine Stärke als über die Art seiner Mannschaft. Das Terrain wird schwierig, verlangt die höchste Vorsicht, und bekommen wir es mit einem überlegenen Feinde zu thun, der sich noch dazu aus den besten Kräften der hiesigen Counties rekrutirt hat, so kann unsere junge Mannschaft trotz aller Bravheit eine Schlappe erhalten, die gerade jetzt vom allerschlimmsten Einfluß für den ganzen Staat werden müßte. Alles hängt augenblicklich davon ab, eine genaue Nachricht über die Stellung und ungefähre Stärke der Secessionisten zu erhalten. Kennen Sie nun wohl Jemand unter unsern Leuten, der sich der Gefahr einer Kundschaft unterzöge, aber auch so fertig im Englischen und so vertraut mit unsern Verhältnissen ist, daß er wenigstens als langjähriger Ansiedler in der hiesigen Gegend gelten könnte?“ Er sprach das Letztere langsamer, sein feuriges Auge ruhte aber dabei so bestimmt und forschend auf mir, daß ich sofort wußte, was er mit seiner Frage beabsichtigte, indessen auch nicht einen Augenblick anstand, seine Erwartung zu erfüllen. „Wenn Sie es für nothwendig halten, General, daß ich gehe, so haben Sie nur über mich zu befehlen!“ erwiderte ich in der gehobenen Stimmung, welche mich beseelte. Meine Erklärung schien ihm fast zu rasch zu kommen, denn er blickte mich wie plötzlich unschlüssig an und fuhr mit der Hand durch seine Haare. „Ich gestehe Ihnen, daß ich allerdings an Sie dachte,“ sagte er endlich langsam: „es ist ein Unternehmen, von dessen glücklicher Durchführung vielleicht unser Aller Schicksal abhängt – indessen, Reuter, muß ich Ihnen Eins sagen: lassen Sie sich erwischen, so sind Sie nicht Kriegsgefangener oder werden möglicherweise erschossen, sondern ehrlos gehangen!“

Ich mochte wohl bei dieser Aussicht etwas blaß geworden sein, denn er wandte sich mit einem sorgenvollen Stirnrunzeln rasch ab. „Ich weiß, daß Wenige das Geschäft übernehmen würden, wenn sich auch gerade darin der rechte Mann zeigen muß,“ murmelte er; „dazu ist die strengste Geheimhaltung das erste Erforderniß, und ich darf mich nicht einmal Vielen anvertrauen –“

„Ich gehe, General!“ unterbrach ich ihn. Ich hatte die plötzliche Anwandlung von moralischer Schwäche, die mich überkommen, rasch überwunden. „Werde ich gehangen, so weiß ich, wofür ich mich geopfert, und Sie werden meine Ehre vertreten. Im Uebrigen aber soll ich erst noch erwischt werden. Ich bitte um Ihre Anweisungen, General!“

Er sah mich an, als wolle er den Ernst meines Entschlusses prüfen; dann reichte er mir die Hand und drückte die meine kräftig. „Kommen Sie in mein Zelt!“ sagte er kurz und schritt, mir voran, wieder zurück.

Eine halbe Stunde darauf wanderte ich, in dem Anzuge eines echten „Farmerboy’s“, von dem Generale selbst durch unsere Postenkette geleitet, der schmalen Straße zu, welche sich in die waldigen Hügel hineinzog. An meiner Schulter hing ein grobes Tuch zu einem Sacke geknüpft, in welchem sich zwei lebendige gebundene Hühner und ein Dutzend Eier befanden. Wo die Kleidung, die ich jetzt trug, aufgetrieben worden war, weiß ich heute noch nicht; sie lag bereits, meiner wartend, im Zelte; Hühner und Eier aber waren der von dem deutschen Diener des Generals mühsam beschaffte Vorrath, um die Mahlzeiten des Letzteren in etwas zu bessern; aber es war auch ein ganz wunderlicher, fast wehmüthiger Blick, als Fred, wie ihn der General rief, die Früchte seiner Mühe in meinen Sack wandern lassen mußte. Wenn einmal die Specialgeschichte des jetzigen Kriegs geschrieben werden wird, ist auch diesem deutschen Burschen ein Denkmal sicher. Als wenige Wochen später General Lyons als leuchtendes Vorbild für seine Truppen in offener Schlacht fiel, sank er mit dem Rufe: „Fred, I am going up!“ (Fritz, ich gehe hinauf!) in die Arme des nie von seiner Seite weichenden Getreuen, und gab an dessen Brust seinen Geist auf.

Ich also hatte die Straße, welche in die waldigen Höhen hineinführte, eingeschlagen und überdachte die Rolle, welche mir zugetheilt worden war. Ich sollte als begeisterter Secessionist gelten, der einen stundenweiten Weg machte, um dem Rebellen-General etwas frische Kost auf seinen Tisch zu bringen. Daß ich selbst dabei als kräftiger und ansehnlicher junger Mann nicht wieder losgelassen, sondern zur Einreihung gezwungen werden würde, verstand sich von selbst; also meldete ich mich am besten gleich ohne Frage als Freiwilliger und suchte sodann in der Nacht das Weite wieder zu gewinnen.

Obgleich die Dunkelheit bereits hereingebrochen, konnte es doch noch nicht einmal acht Uhr sein, und waren die Nachrichten, welche der General erhalten, zuverlässig, so mußte ich lange vor zehn Uhr den Lagerplatz des Feindes erreichen.

Je weiter ich meine Straße verfolgte, je klarer wurde die Nacht. Der Wald trat oft zu beiden Seiten weit zurück und ließ dem cultivirten Felde Raum; hier und dort tauchte ein Farmhaus, vom Mondlicht umsponnen, auf, um mich her in den Blättern, dem Grase und der Luft ward das eigenthümliche südliche Nachtleben wach, glänzende Feuerfliegen leuchteten nach allen Richtungen hin auf; die warme Luft aber übte eine so erschlaffende Wirkung auf meine Nerven, daß ich sicher in ein halbwaches Träumen verfallen wäre, wenn mich nicht das Bewußtsein meines gefahrvollen Unternehmens wieder aufgeschreckt hätte.

Meiner Uhr nach war ich endlich wohl schon eine Stunde gewandert; die Gegend ward freier, und jetzt lief mein Weg in eine Straße ein, an deren Seiten das Gras sich viele Yards weit niedergetreten und zerstampft zeigte. Jetzt wußte ich, daß ich auf der rechten Spur war. Hier war Cavallerie passirt, ein Truppentheil, von welchem unsere kleine Armee noch fast nichts wußte, und nur der Gedanke an unsere von lauter gedienten Kanonieren prächtig bediente Artillerie vermochte einen beunruhigenden Gedanken an diese Ueberlegenheit des Feindes in mir niederzuschlagen. Ich richtete mich jetzt gerade auf und schritt vorwärts, als strebte ich nur dem Ziele meiner Wünsche entgegen, denn jeden Augenblick konnte ich irgend einer Begegnung gewärtig sein, in welcher nur mein äußeres Auftreten den Maßstab für meine Beurtheilung abgeben mußte. Nach wenigen Minuten wich der Wald ganz zurück, und ein Backsteinhaus von dichtbelaubten Obstbäumen umgeben, ein Garten mit zierlichem Stacket und eine weite Fläche eingezäunter Felder dahinter zeigten sich. Eine hölzerne Piazza schien rings um das Gebäude zu laufen, und zwischen den großblätterigen Schlingpflanzen, welche die Giebelseite erklettert hatten, ließ sich ein offenes Fenster erkennen. Es zeichnete sich inmitten des Grün und der lautlosen Ruhe umher wie ein Bild des sicheren Friedens ab, so daß ich fast an der Nähe der Secessionisten, von deren Gewaltthaten in unserm Lager die schauerlichsten Geschichten cursirten, zu zweifeln begann. Ich war unwillkürlich stehen geblieben; im gleichen Augenblicke aber rief mich auch unfern von mir eine Stimme in Englisch an: „Halt dort, mein Bursche, ich möchte wissen, wohin die Reise gehen soll!“ und zugleich sprang leicht über die nächste Einzäunung eine der kräftigen Gestalten, wie man sie so häufig im Innern des Landes trifft, eine schwere Büchse auf der Schulter. Ich sah, daß die Zeit, meine Rolle zu spielen, bereits begann.

„Haben Sie im Lager Geschäfte?“ fragte er endlich mit einem Blicke voll wachen Mißtrauens, „es heißt, die Deutschen stehen nur etwa drei Meilen von hier!“

„Weiß es, Sir,“ nickte ich so ruhig als möglich, „habe sogar die Vorposten gesehen, bin ihnen aber aus dem Wege gegangen, um nicht examinirt zu werden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_174.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2017)