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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


ihren Ländern. Da nahm das Volk des Vaterlandes Sache in die Hand und hat sie herrlich durchgeführt. Kein Opfer war ihm zu groß, kein irdisches Gut zu theuer, sein eigenes Blut nicht zu lieb, es hat dies Alles willig dargebracht zum Kampfe für die Freiheit.

Ohne daß wir weich sind, treten uns unwillkürlich die Thränen in die Augen, wenn wir die Gaben für die Freiwilligen lesen, welche in den Berliner und Breslauer Blättern unter der Ueberschrift „Vaterlandsliebe“ verzeichnet wurden. Der Jüngling verließ die Schule oder den Hörsaal oder die Werkstätte, der Verlobte riß sich aus den Armen seiner Braut und aus allen Träumen seines Glückes los, der Mann ließ Weib und Kind im Stich, um für das Vaterland und die Freiheit zu kämpfen. Selbst Mädchen traten als Männer verkleidet in die Reihen der freiwilligen Kämpfer ein. Wir nennen hier nur Leonore Prohaska (bei den Lützowern unter dem Namen August Renz, fiel und starb mit Heldenmuth in dem Gefechte an der Göhrde), Charlotte Krüger und Dorothea Sawosch. Und die, welche nicht selbst mit in den Kampf ziehen konnten, wetteiferten in Gaben für das Vaterland. Die Wittwen und Waisen gaben ihr Letztes her, Kinder schickten ihre Sparbüchsen, Dienstmädchen ihre zurückgelegten Pfennige. Es war, wie Niebuhr einem Freunde schreibt, „die Hingabe des Einzelnen an das Ganze grenzenlos.“ Der spanische Gesandte in Berlin, Don Pizarro, schrieb damals nach Madrid, daß ihm in Preußen jetzt Alles ganz spanisch vorkomme, so begeistert sei die Stimmung des Volkes. „Es ist unmöglich, nicht elektrisirt zu werden,“ sagte er, „wenn man das Feuer sieht, mit welchem hier das Volk seinem Nationalgeiste Luft macht.“

Es war eine heilige Zeit. Die Frauen schickten ihre Trauringe, die Bräute ihre Verlobungsringe ein und trugen dafür eiserne Ringe mit der Inschrift: „Gold gab ich für Eisen. 1813.“ Kein Schmuck wurde mehr getragen, kein Andenken aufbewahrt, welches irgend welchen Werth hatte, Alles, Alles wurde hingegeben für das Vaterland. Ueber einhundertundsechzigtausend goldene Ringe, Ketten, Ohrgehänge etc. sind damals freiwillig gegeben. Ein junges Mädchen schickte ein auf 75 Thaler taxirtes goldenes Halsband ein mit den Worten: „Dies Halsband ist das Geschenk meines in den Krieg gezogenen Bräutigams. Ich habe das theuerste Andenken geopfert, welches ich besaß.“ Ein blinder Harfenspieler erbot sich, die Hälfte seines kümmerlichen Verdienstes zur Unterstützung eines verwundeten Kriegers herzugeben. Drei Dienstmädchen sandten einen silbernen Becher, eine silberne Nadelbüchse, sieben Medaillen und 25 Thaler ein; ein Invalid eine Huldigungsmedaille, mit den Worten: „mir ein theueres Andenken, ich bringe es dennoch dar“; ein zehnjähriger Knabe zwei silberne Medaillen und sieben Groschen – er hatte nicht mehr. Eine arme Frau hatte zehn Thaler zu einem Ueberrock erspart, sie sandte sie ein mit der Bemerkung: „die Jäger brauchen es nothwendiger als ich.“

Noch Seiten könnten wir mit Aufzählung solcher Gaben füllen, und wer nichts zu geben hatte, wem durch die harten vorhergegangenen Jahre bereits Alles genommen war, der nähte und strickte zum Wenigsten für die in den Kampf Ziehenden.

Ein Beispiel möge hier indeß noch genannt werden, es wird den Wenigsten bekannt sein. Ein junges, sechzehnjähriges, reizend schönes Mädchen, Ferdinanda von Schmettau, deren Vater, Oberst a. D., mit 11 Kindern, im Alter von 21 bis 1 Jahre, von 600 Thalern Pension in einer Erbpacht im Klostergut Bergel nahe bei Ohlau in bedrängten Umständen lebte und bereits seine aufbewahrte Staatsschabrake und die Ringe und kleinen Pretiosen seiner Frau gegeben hatte, war untröstlich, daß sie nichts besaß, was sie als Gabe darbringen konnte. Da ließ sie ihr schönes, reiches Haar, für welches ihr ein Friseur 10 Thaler bot, abschneiden und schickte dasselbe für die Freiwilligen ein. Und ihr schöner Zweck wurde vollkommener erreicht, als sie geahnt hatte. Ihre That blieb nicht verschwiegen, das Haar wurde aufgekauft, Ketten, Ringe und Armbänder wurden daraus angefertigt, und das Verlangen nach denselben war so groß, daß aus ihrem Haar 1200 Thaler gelöst wurden, die zur Einkleidung von mehreren Freiwilligen hinreichten. Die Opferbereitwilligkeit des ganzen Volkes war großartig, erhebend.

Fragen wir jetzt nach fünfzig Jahren, welcher Lohn ist dem Volke für die großen Tage und Thaten von 1813 geworden? Wir müssen erröthen, wir haben nur die eine Antwort: sie sind nicht mit Dank gelohnt! – Wohl denen, die in dem Freiheitskampfe gefallen, sie haben eine schöne und reine Idee mit sich in’s Grab genommen, sie haben die Schmach nicht kennen gelernt, die jenen Tagen gefolgt ist! Und jetzt macht man dem Volke von oben herab noch den Vorwurf, daß es das Vertrauen verloren habe!


Aus dem rauhen Frühling eines Dichterlebens.
Nr. 1.


Die nachstehenden Erinnerungen an Jean Paul’s Aufenthalt in Hof und Schwarzenbach und die hier mitgetheilten noch ungedruckten Briefe desselben verdanken wir der Tochter einer Zeitgenossin des großen Mannes, die deren Veröffentlichung erst nach ihrem Tode wünschte. Dazu konnte keine Zeit geeigneter sein, als die gegenwärtige, in welcher ganz Deutschland die Feier des hundertjährigen Geburtsfestes Jean Paul’s vorbereitet, und so möge unser großer Leserkreis diese Erinnerungen und Briefe als eine Festgabe der Gartenlaube zu dieser nationalen Dichterfeier annehmen.

Auch für die Einführung derselben ist uns eine seltene Perle zu deren besonderem Schmuck anvertraut worden: ein Brief der Wittwe Jean Paul’s[1] an die Tochter der Verfasserin dieser Erinnerungen. Wir theilen das Wesentlichste davon mit, weil sein Inhalt uns weiterer Bemerkungen über das Nachstehende enthebt.

„München d. 25sten Juni 1838.

 Liebe Frau von B…!

In Betreff Ihres mir mitgetheilten Vorhabens, das Sie so rücksichtsvoll mir mittheilen, kann ich weiter nichts sagen, als daß weder ich noch meine Kinder das Geringste dagegen einwenden können, indem ja diese Briefe an Ihre sel. Frau Mutter ganz Ihr Eigenthum sind und, in der eigentlich glücklichsten Lebensperiode des seltenen Mannes entstanden, dem ich anzugehören später das Glück hatte, nur Ruhm und Zeugniß seiner heiligen Seele geben können. Indem kürzlich die Abkömmlinge einer andern Jugendfreundin des Unsterblichen, der Frau Renate Otto aus Hof, ein ähnliches Vorhaben begonnen haben, welches mit Beifall aufgenommen worden sein soll, so begreife ich wohl Ihr kindliches Interesse, ein Gleiches für Ihre demselben Kreise zugehörige theure Frau Mutter in Anspruch nehmen zu wollen, zumal so Manches aus der späteren literarischen Wirksamkeit des Verewigten darin angedeutet und entstanden ist.

Schließlich muß ich aber Ihre gütig gemeinte Dedication an mich ablehnen, meine theure Freundin. Es war immer meine Neigung, so unbemerkt als möglich durch das Leben zu gehen und nie öffentlich genannt zu werden. Sollte ich jetzt, wo ich so nahe an der Pforte der Ewigkeit stehe, davon abweichen wollen? Nur immer von dem Verhältniß zu Gott durchdrungen suchte ich mir keinen Namen unter den Menschen zu erwerben und begnügte mich, das hohe Loos, das ich Unbedeutende aus der Schicksalsurne zog, durch Erfüllung meiner häuslichen Pflichten als Gattin und Mutter zu verdienen. Die Anerkennung seiner höheren Natur und meine Begeisterung für die Fülle und den Reichthum seiner Seele gaben mir Flügel, das Schwerste zu leisten.

Nun leben Sie wohl, theure Frau, und gesegnet mit Ihren Kindern. Meine Tochter Odilie nebst ihrem Mann wollen Ihnen herzlich empfohlen sein. Bis zum Grabe bleibe ich

Ihre treuergebne Freundin

Caroline Richter,
Wittwe Jean Paul’s.“


Erster Aufenthalt in Hof.

Im Jahre 1786 bot die kleine Stadt Hof noch nicht den freundlichen Anblick, welchen jetzt ihre hellen und breiten Straßen


  1. Eine Charakteristik dieser edlen Frau haben wir im Jahrgang 1861, S. 550, unseren Lesern gebracht; die Jean Paul’s, von L. Storch, in Nr. 1. des vorliegenden Jahrgangs, bildet nun ein würdiges Vorwort für diese Erinnerungen und Briefe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_183.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2018)