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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

In Schweden aber hatte im Jahre 1809 das Volk seinen König verbannt. Am 13. März erklärte der General Adlerkreuz dem König Gustav IV. auf dessen eigenem Schlosse zu Stockholm: er verhafte „ihn im Namen der Nation“. Der König greift zwar zum Schwerte, um es gegen den kecken Soldaten zu ziehen, aber es wird ihm entwunden; Verschworene stürzen hinzu; es entspinnt sich ein Kampf, bei welchem der König entrinnt, aber von seinen eigenen Bedienten ergriffen wird. Die Nation setzt dann ihren eigenen König gefangen, und derselbe schreibt, ihrem Willen gehorchend, eine förmliche Abdankungsurkunde. Mit einem Jahrgehalte begnadigt verläßt er im December 1809 in Begleitung seiner Gemahlin und seiner vier Kinder sein Reich, geht zuerst nach Deutschland, von dort nach der Schweiz und Ende des Jahres 1810 nach England. Unerwartet erschien er indeß im Jahr 1811 wieder auf dem Continent, betrat, nur von einem Kammerdiener begleitet, die Westküste des Herzogthums Schleswig, wie sehnsüchtig ausschauend nach dem Lande seiner Väter und seiner Herrschaft, eilt wieder nach der Schweiz, trennt sich wieder von seiner Familie und läßt im Februar 1812 seine Ehe förmlich aufheben. Zur Zeit des Wiener Congresses tritt auch er dort wieder auf und sucht die Rechte seines Sohnes zur Geltung zu bringen.

Sollten die Fäden dieses königlichen Schicksals in Verbindung stehen mit denen des Schicksals der einsamen Frau, der Frau, die gerade in dem Jahre der Verbannung des Schwedenkönigs auftauchte? Der Vermuthung ist hier der größte Spielraum gegönnt, aber der Gewißheit fehlt es an fast allen Beziehungen, denn auch bis in die kleinsten Beziehungen herrscht Dunkelheit. Selbst das Verhältniß der Frau zu dem Knaben und zu dem Mägdedienste versehenden Mädchen ist ein dunkeles. Die Welt hielt auch die letzte, welche Amélie hieß, bald für ihr Kind, bald glaubte sie wieder in dem gegenseitigen Benehmen derselben keine Beziehungen zu finden, welche auf das innige Band hinwiesen, das zwischen dem Herzen einer Mutter und eines Kindes natürlich besteht: das Mädchen, das – gewiß auch gegen das Muttergefühl – allein noch blieb, wurde bald kränkelnd, verließ die einsame Pflanzung im Walde und fand in Jena im Hause des Professor Griesbach eine Zufluchtsstätte. Sie siechte mehr und mehr. Die Auszehrung hatte sich ihres der ihm zugemutheten Strapazen wohl ungewohnten Körpers bemächtigt. Sie soll im Jahre 1818 gestorben sein. Der Sohn hieß Lorenz. Von ihm heißt es, er sei unter die Blücher’schen Husaren gegangen, dann unter dem Namen Ekemann in München als nicht ungenannter Steinzeichner wieder aufgetaucht. Ekemann oder auch wohl Ekemann d’Alesson, diesen Namen hat auch die „Frau Gräfin“ da, wo sie einen Namen hat nennen müssen, als den ihrigen genannt. Und in den zwanziger Jahren hat auch im Würtemberg’schen, insbesondere in Stuttgart, sich eine Wittwe Hedwig Ekemann d’Alesson aufgehalten, die über ihre Herkunft, angeblich durch einen Eid gebunden, stets tiefes Stillschweigen gewahrt hat, die stets mit großer Zuneigung und Liebe von der verbannten schwedischen Dynastie gesprochen hat, die hie und da geäußert hat, daß sie im Jahre 1809 Schweden habe verlassen müssen. Davon berichtete im Jahre 1845 ein Schreiben aus Stuttgart in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Von dieser Frau nun wird behauptet, es sei die schwedische Gräfin von der Kunitzburg gewesen. In ihrem Besitze will man denn auch eine goldene Kette entdeckt haben, von welcher Eingeweihte behauptet haben, daß sie früher im Besitze der königlichen Familie gewesen sei. So rann denn wohl in ihren Adern königliches Blut? Majestätisch genug, wie gedacht, war ihre Gestalt, ehrfurchtgebietend ihr Aeußeres, und man will bemerkt haben, daß ihr Kopf an die Bilder des unstäten, tollkühnen Schwedenkönigs Karl XII. erinnert habe. Und wahrlich! sie erinnerte an ihn noch mehr mit ihrer seltenen, für eine Frau ungewöhnlichen Kraft des Willens, der sich namentlich kund gab in diesem zähen Schweigen über das Geheimniß ihrer Herkunft, in diesem berechneten Vermeiden alles Dessen, was eine sichere Spur darauf hinlenken konnte, in dieser Selbstentsagung und selbstgewählten Resignation, mit welcher sie zuerst das unwirkliche Asyl eines abgelegenen Forstes aufsuchte und Jahre lang ertrug, und, nach dieser Probezeit gestählt gegen alle Eindrücke von außen, noch selbst im Verkehr des Lebens das Geheimniß und den Schmerz ihres Busens vor der Welt zu bewahren wußte. Bestimmtere Beziehungen zu der königlichen Familie liegen indeß nicht vor.

Die Kunitzburg.

Könnten Felsen und Bäume droben auf dem einsamen Bergkegel reden, sie könnten als Zeugen vielleicht gar manches ihnen allein vertrauten Schmerzensseufzers uns vielleicht mehr von dem Geheimniß der Frau verrathen. Auch der Herzog Karl August wird um dasselbe gewußt, aber voll männlichen Edelsinns es mit in das Grab genommen haben. Das Haus kam mit der Zeit in Verfall, die Felder wurden zum Verkauf gebracht und wieder von der Herrschaft erstanden. Wieder zum Walde umgewandelt, wächst das Holz lustig zum Himmel empor und eilt dem alten Bestande wieder nachzukommen. Bald wird es die nun auch fünfzig Jahr alt gewordene Erinnerung gänzlich überwachsen haben. Drunten im Dorf, wie entlang des Saalthals, wird die Erinnerung an die Fremde mit der hohen Gestalt und dem durchdringenden Blicke ihrer Augen, die eine andere naivere und poetischere Zeit vielleicht zu einer Wunderfee des Waldes gestempelt, noch hier und da wach.

Neben seinen Kriegsthaten von Anno 1813 oder neben den traurigen Tagen der Schlacht von Anno 1806 erzählt die Geschichte von der schwedischen Gräfin Abends im Winter der alte Großvater am wärmenden Ofen den horchenden Enkelkindern, und damit er sie mit den andern Geschichten in den rechten Zusammenhang bringt, giebt er, überhaupt unbekannt mit der Augsburger Allgemeinen, derselben wohl eine eigenthümliche Wendung. Er kann es nämlich nicht unterlassen, die Frau, mit der er nichts Rechtes anzufangen weiß, in Verbindung zu bringen mit dem großen Schicksalsmenschen seiner Zeit, mit Napoleon. Ein alter bairischer Volkskalender, den der Zufall in seine Hand gespielt, unterstützt ihn in dieser Annahme. Darnach soll die Fremde, der er übrigens den Beinamen einer schwedischen Gräfin nicht versagen kann, die Gemahlin eines französischen Fürsten gewesen sein, welche vor den Zudringlichkeiten des Gewaltigen, der nicht blos ein Gott der Schlachten, sondern auch ein Gott der Herzen war, und noch mehr denen seiner Umgebung geflohen und unter den ritterlichen Schutz von Karl August sich begeben haben soll. Das wäre nicht blos recht romantisch, es wäre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_189.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)