Seite:Die Gartenlaube (1863) 192.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Wald sich an der Straße vereinigte und mir ohne die Nothwendigkeit eines Richtungswechsels eine Deckung gewähren mußte, aber ich fühlte bereits, daß ich anhalten müsse, um neuen Athem zu gewinnen, fühlte meine übrigen Kräfte ermatten, und noch konnten meine Augen, über welche es sich jetzt wie dicker Flor zu legen begann, nirgends vor mir das schützende Gebüsch entdecken. Da, eben als ich daran dachte, einen nothgedrungenen kurzen Halt zu machen, führte die Luft einen Klang in meine Ohren, der plötzlich ein Gefühl wie Verzweiflung in mir wach werden ließ, den Klang flüchtig herangaloppirender Reiter – meine Verfolger hatten es aufgegeben, mir zu Fuße nachzusetzen, wußten aber nur zu gut, daß sie zu Pferde mich in der von mir eingeschlagenen Richtung auf dem offenen Terrain völlig einzukreisen vermöchten. Vielleicht wäre es mir bei dem gewonnenen Vorsprung noch immer möglich geworden, den entfernt von der Straße an beiden Seiten sich hinziehenden Wald zu erreichen, wenn nur meine Kräfte frisch gewesen wären; so aber war ich zum Tode erschöpft und einen Augenblick fragte ich mich, ob es nicht das Beste sei, mich von den heransprengenden Pferden geradezu unter die Hufe treten zu lassen, um aller Qual, die mir vom Augenblicke meiner Gefangennahme bis zum Tode durch den Strick bevorstehen mußte, zu entgehen. – Da blitzte etwas in der Entfernung vor mir auf, nur mechanisch hatte sich mein Blick hingewandt, aber er blieb jetzt fest an einem bekannten Gegenstande hängen – kaum zweihundert Schritte vor mir lag das Haus mit seinen Umzäunungen, welches schon beim Hermarsche meine Aufmerksamkeit erregt – die Heimath meines Stammgenossen Werner, der jetzt wohl einer der Eifrigsten in meiner Verfolgung war, – aber dennoch meine einzige Zuflucht, wenn ich meinen Feinden, deren Herankommen mit jeder Secunde deutlicher hörbar wurde, mich nicht widerstandslos in die Hände liefern wollte. Der Obstgarten war dicht belaubt, aber er mußte der erste Ort der Nachsuchung werden, sobald ich hier vor den Blicken der Nachsetzenden verschwand; ich verwarf die Wahl dieses Verstecks schon mit dem ersten Gedanken daran; dagegen stand das offene dunkele Fenster, das ich zwischen den Schlinggewächsen an der Giebelseite des Hauses bemerkt, wie eine lebendige Schutzverheißung vor meiner Seele; dem Anscheine nach führte es nach einem Corridor oder einem andern unbewohnten Raum; die Piazza, nach welcher es sich öffnete, war leicht zu erklimmen, und im Hause selbst suchte man mich sicher am wenigsten – alle diese Vorstellungen aber waren nur wie einzelne Blitze durch mein Gehirn geschossen, während ich mit dem Aufwande meiner letzten Kräfte die Entfernung zwischen mir und dem Gebäude zurückzulegen strebte. Sobld ich die erste Feldeinzäunung erreicht, nahm ich diese zur Deckung, um mich möglichst den Bicken der Folgenden zu entziehen; ich erreichte das Haus, ich huschte zwischen den Obstbäumen hindurch, und ein Blick nach oben zeigte mir das einsame Fenster noch geöffnet. Zugleich ward zwar auch der laute Ruf eines der mir Nachsetzenden in solcher Nähe von der Straße laut, daß ich kaum mehr hoffte, Zeit zum Erklimmen der Piazza gewinnen zu können; eine aus größerer Entfernung klingende Antwort aber zeigte mir, daß meine Verfolger über den von mir eingeschlagenen Weg unsicher geworden sein mußten. Noch einmal erwachte bei dieser Erkenntnis ein Rest von Kraft in meinen Muskeln, der mir es ermöglichte, an einem der Pfeiler die kurze Höhe der Piazza zu gewinnen; als ich aber mit der Hast der Todesangst durch die enge Oeffnung, welche das aufgeschobene Fenster bildete, mich gewunden und den innern Raum erreicht hatte fühlte ich, daß meine Sinne mir vergehen wollten, und unfähig mich aufrecht zu erhalten brach ich in die Kniee.

Aber eine helle, kräftige Mädchenstimme riß mich plötzlich aus meiner halben Betäubung wieder empor. „Wer ist hier?“ klang es, „rasche Antwort, oder ich schieße!“ und erst jetzt sah ich im hereinfallenden Scheine des Mondes, daß ich in ein Zimmer gerathen war, in dessen Hintergrund sich in einem weißen Bette eine Gestalt aufgerichtet hatte, welche so eben mit der Bewegung voller Entschlossenheit einen Taschen-Revolver auf mich anschlug.

„Um Gotteswillen, Miß! wenn Sie nicht einen Menschen kaltblütig hinschlachten lassen wollen, so schweigen Sie!“ rief ich, in diesem Augenblicke nur an meine eigene dringende Gefahr denkend; „ich bin unter die Secessionisten gerathen, sie halten mich für einen Spion, und wenn Sie mich ausliefern, bin ich in einer halben Stunde ein todter Mann!“

Ihre Waffe senkte sich vor meiner athemlosen Sprache und abgehetzten Erscheinung, ich sah, wenn auch noch halb wie durch einen Schleier, wie ihr großes dunkeles Augenpaar scharf auf mir ruhte. „Wer sind Sie? aber sprechen Sie Wahrheit auf jede Gefahr hin,“ sagte sie mit gedämpfter Stimme, welche dennoch nichts von der eigenthümlichen Bestimmtheit ihres Tones nahm.

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_192.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)