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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Da hab’ ich nur anrufen wollen, ob’s nit einem Andern auch so ’gangen ist! Komm’ bald nach, Lateinischer – ich geh’ in die Kirch’, sie haben schon zusammengeläut’t!“ Unter der Kirche war der Sammelplatz der Schmuggler gemeint.

„Geh voran … ich komm’ bald nach; bis Du zu der Sag (Sägemühle) kommst, hab’ ich Dich lang’ eingeholt!“

Der Schmuggler ging, und Quasi schloß das Fenster. „So,“ sagte er höhnisch, „jetzt thu’, jetzt red’, was Du magst! Es hilft Dich doch nichts mehr – in zwei Tagen weiß die ganze Ramsau, daß Du mich Nachts in Deine Kammer gelassen hast – jetzt bist Du doch mein und kommst lebendig nimmer von mir los!“

Kordel saß noch immer wie betäubt; erst die wiederholte Annäherung des Burschen, der sich zu ihr drängte und sie umschlingen wollte, brachte sie wieder zu voller Klarheit. Sie wehrte ihn ab und rang mit ihm, gestützt von der ganzen Stärke ihres Abscheus, ihres reinen Willens, aber der zarte Körper war der rohen Gewalt des Burschen nicht gewachsen … sie fühlte ihre Kraft erlahmen, eine ungeheuere unsägliche Angst überkam sie … sie rief Gott und alle Heiligen an und ohne selbst zu wissen, was sie that, drängte sich das Wort „Mutter“ auf ihre Lippen. „Hilf, Mutter, hilf,“ schrie sie außer sich, „hilf … Mutter, Mutter!“

„Ruf’ ihr nur,“ lachte Quasi, „da kannst lang’ warten, bis die kommt! Dumm’s Ding, Deine Mutter weiß, daß ich da bin!“

Statt sie zu entmuthigen, gab dies Wort Kordel neue Kraft des Widerstandes. Ein betäubender Schmerz bäumte sich in ihrem Herzen empor; Verzweiflung faßte sie, sich von der verrathen und preisgegeben zu wissen, die vor Allen sie beschützen und wahren sollte, und mit der Wuth der Verzweiflung packte sie den Burschen, daß er keuchend sich ihrer erwehren mußte und unter dem wortlosen grimmigen Ringkampf die Dielen der Kammer krachten. Dennoch neigte sich auch jetzt das Uebergewicht auf Quasi’s Seite; schon war das ächzende Mädchen halb zu Boden gedrückt und beinahe wehrlos. …

Da wurde Quasi plötzlich von gewaltigen Fäusten im Nacken gepackt und zurückgerissen, und wilde brummende Töne verriethen, wer zu Kordel’s Befreiung herbeigekommen. Der blöde Müller, dessen Lager in der Mühle unter der Treppe stand, war über dem Lärm erwacht und die Treppe heraufgekrochen. „Mein … Kordl mein,“ knurrte er mit den Tönen eines wilden Thiers. „Umbringen…“

„Verfluchter Fex!“ schrie Quasi und suchte vergeblich, sich von den Fäusten des Müllers loszuringen. „Führt der Teufel Dich auch daher?“ Er mußte von Kordel ganz ablassen und sich nur gegen diesen Angreifer wenden, denn die Wuth gab dem halbverthierten Menschen ganz ungewöhnliche Kraft.

„Hinunter,“ brummte der Alte, „… hinunter … Hals brechen. …“

„Oder Du, alter Racker!“ rief Quasi. „Komm’ nur her – so geht’s gleich in Einem hin!“ Er gab dem Alten nach, der ihn durch die offene Thüre nach der Stiege zu zerren strebte, suchte und wußte es aber so einzurichten, daß der unbehülflichere Blöde zuerst auf dem schmalen, geländerlosen Raume ankam – er dachte ihn über den Rand zu drängen, daß er in die Mühle hinunterstützen und auf dem Ziegelboden das Genick brechen sollte. Seine Absicht war erreicht; der Blöde hing schon halb über der Tiefe und klammerte sich an Arme und Kleider seines Gegners – da eilte Kordel herbei; sie hatte schnell Licht gemacht und erschien gerade im rechten Augenblicke, um den Vater am Arme zu fassen und zurückzureißen. Er stand auf der Treppe, während Quasi sich nicht mehr zu halten vermochte und hinunter taumelte.

Blitzschnell hatte Kordel den Vater zu sich in die Thüre gezogen und diese geschlossen; den Burschen hatte seine Körpergewandtheit vor dem Sturze bewahrt. Er war mehr gesprungen als gefallen und tobte im nächsten Augenblicke die Stiege wieder herauf, um an der Thüre zu poltern und zu drohen. Bald sah er die Vergeblichkeit seiner Bemühungen ein und ging. „Das sollst Du mir entgelten – wart’!“ schrie er und verließ die Mühle.

Kordel, erschöpft von Anstrengung und Schrecken, war in halber Ohnmacht auf’s Lager gesunken; der Alte hatte sich zu ihren Füßen auf den Boden gekauert, streichelte ihr Hände und Gewand und brummte. „Mein Kordel … nichts thun lassen … Kordel mein …“

– – – Tief in den Bergen hatte indessen längst ein verdächtiges Regen, eine geheimnißvolle Thätigkeit begonnen. Der Mond war nach Mitternacht hinuntergegangen, und fast undurchdringliches Dunkel lag auf dem wilden Waldthale, durch das die Wimbach rauschend ihr steiniges Bette wühlt. Kaum in nächster Nähe war es möglich, die Umrisse der Seitenberge und ihrer Waldgruppen zu unterscheiden, und die schauerliche Felspyramide des Hundstodes, der wie eine riesige Mauer das Thal abschließt, hob sich nur schwach von der Schwärze des Nachtimmels ab. Todesstille waltete weit und breit; nur manchmal tönte der Schrei einer Eule, und in den Latschen und Zwergföhren rauschte es hin und wieder von unheimlichem Leben.

Im Hintergrunde des Thals, am Fuße des Hundstods saßen zwei Männer in bäuerischer Kleidung; mit geschwärzten Gesichtern, den Stutzen zwischen den Beinen, kauerten sie unter einem überhangenden, durch Tannengestrüpp verborgenen Felsblock und schauten spähend in die Nacht hinaus.

„Es dauert lang’,“ flüsterte der Eine, „wenn sie nur nit erwischt worden sind!“

„Warum nicht gar!“ erwiderte der Andere ebenso. „Wer sollt’ sie erwischen? Aber es ist ein weiter Marsch von Saalfelden herauf bis zu uns, und der Weg am Funtensee-Tauern, über den Trischübel und das steinerne Meer herunter ist keine Kleinigkeit!“

„Haben ja den schönsten Mondschein gehabt! – Soll einen Hauptfang geben diesmal!“

„Das will ich meinen! Die Tyroler kommen mit einer ganzen Ladung Tabak und Uhren und Seidenzeug … wir haben nichts zu thun, als die Päck’ vollends hinaus tragen, bis in die Ledermühl … und kriegt jeder baare fünf Gulden. …“

Der Andere winkte ihm zu schweigen und horchte noch gespannter als zuvor. „Hörst nichts?“ sagte er dann. „Ich hab’ gemeint, ich hör’ was gehen, dort am Steinberg herunter. …“

„Ich hör’ nichts. Vielleicht sind einige von den Unsrigen. Wer sollt’ es sonst sein? Die Grenzwächter sind irr’ gemacht und vigiliren heut’ Alle drüben, nach der Schönau zu; wir haben ihnen weiß gemacht, es käm’ ein Zug über den Bartlmäsee her. … Haben wir doch überall unsere Schildwachen ausgestellt. …“

Er verstummte und lauschte eine Secunde, indem er die Hand an’s Ohr hielt und sich auf den Boden niederbückte. „Jetzt hör’ ich auch was,“ sagte er, „da kommt wirklich was daher. … Halt, Kerl,“ rief er lauter, aber mit unterdrückter Stimme. „Keinen Schritt – oder ich laß’ Dich meinen Stutzen verkosten!“

Der Angehaltene blieb stehen und hatte rasch die Büchse herabgerissen, die über der Schulter hing. Es war Mentel, der mit rascher Bewegung hinter einen Baum getreten war. „Thu’ Deine Spritzen weg!“ sagte er, „oder es schnallt bei mir! Was haltet Ihr mich an? ich hab’ nichts zu schaffen mit Euch!“

„Den kenn’ ich,“ sagte der eine Schwärzer zu seinem Cameraden. „Das ist der Mentel vom Bühelhof – den haben wir nit zu scheu’n!“

„Was willst nachher um die Zeit in der Wimbach?“ fragte mißtrauisch der Andere.

„Auf den Hundstod will ich hinauf,“ sagte Mentel, „will mich auf ein Gamsel anpürschen – da heißt’s früh beim Zeug sein, wenn Du’s verwinden (ihnen den Wind abfangen) willst!“

„Das kann sein und kann nicht sein auch,“ entgegnete der Schwärzer wieder. „Besser ist besser; jetzt bleibst einmal bei uns, damit Du uns nit verrathen kannst. …“

Mentel wollte Einwendungen machen, aber im nämlichen Augenblick war er von rückwärts gepackt und der Stutzen ihm aus der Hand gerissen. Der andere Schwärzer hatte ihn unbemerkt umgangen und Beide hielten ihn nun lachend fest. „Gieb Dich, Wildschütz, gieb’ Dich,“ rief der Eine, „es ist nit soweit gefehlt, wenn Du bei Schwärzern bist … aber halt’ Dich ruhig, wenn Du nicht meinen Schnitzer zwischen den Rippen haben willst!“

Leises Pfeifen tönte jetzt gegenüber von den Bergen herab; es war ein schrillender, schwirrender Ton, wie jener der Wassernatter, wenn sie Nachts den Kopf aus dem Graben oder dem nassen Grase hebt. „Sie sind da!“ flüsterte es. „Die Tyroler sind’s!“ und bald tauchte unter den Latschen und Felstrümmern eine ziemliche Anzahl wilder geschwärzter und bewaffneter Gestalten empor und drängte sich im Knäuel zusammen. Von den steilen Bergwänden aber stieg eine Reihe von Männern in breitkrempigen Pinzgauer Hüten herab, schwere Anhängsäcke auf dem Rücken, in der einen Hand den Bergstock, in der andern das Rohr des über die Schulter hängenden Stutzens.

Sie traten zu den Anwesenden; sie begrüßten einander, aber kein lautes Wort wurde gewechselt; unter halblautem Flüstern und

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