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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

beim Schein einer kleinen Laterne legten die Einen ihre Ladung ab, die Andern schickten sich an, sie aufzunehmen. Die Schnapsflasche ging dabei fleißig in der Runde herum, um Jene nach der ausgestandenen Mühe zu erquicken und Diese zur neuen Arbeit zu stärken.

Eben wollte man sich, lautlos wie man gekommen war, trennen, als eine wilde Stimme gebieterisch von einer nahen Höhe herunter rief: „Halt, Ihr Kerls! Diesmal haben wir Euch – Keiner rührt sich von der Stelle, oder er wird niedergeschossen!“

Ein einziger Schrei antwortete dem Ruf. „Die Grünen!“ hieß es, und „Lichter aus!“ und im Augenblick war von den Schwärzern nichts mehr zu sehen, nichts war zu hören, als das Knacken der aufgezogenen Hähne an den Gewehren.

„Gebt Euch gutwillig,“ rief es wieder. „Legt die Stutzen nieder – Ihr seid umringt!“

Kein Wort wurde erwidert; als einzige Antwort knallte ein Stutzen nach der Richtung hin, von welcher das Rufen kam. Verdoppelt, verdreifacht kam der Knall von allen Seiten zurück, und eine überlegene Schaar von Jägern, Grenzwächtern und Gensd’armen stürzte rings auf die Ueberfallenen ein. Viele davon hatten sich im ersten Augenblick zerstreut und kletterten im Schutze der Nacht die Felsen hinan oder unter den Latschen dahin, die Zurückgebliebenen setzten sich mit dem Muthe der Verzweiflung und Todesverachtung zur Wehre, Jedem winkte noch die Möglichkeit des Entrinnens, Jedem schien ein rascher Tod wünschenswerther als eine lange, schwere entehrende Strafe. Ein wildes, blutiges Handgemenge entstand; der hing würgend an der Kehle des Andern, der hatte seinen Feind zu Boden gerungen und trachtete, ihm den Schädel an den schroffen Felskanten zu zerstoßen; der Eine hob die losgeschossene, in der Nähe nicht mehr brauchbare Büchse, um mit dem Kolben niederzuschmettern, ein Anderer hielt den Gegner um die Mitte und suchte ihn in das Flußbett der Wimbach hinabzuschleudern – dazwischen knallten die Stutzen, den Fliehenden nach und von ihnen zurück; Geschrei der Kämpfenden mischte sich in den Wehruf der Verwundeten und Stürzenden, und wie erfreut rollte der Wiederhall des Getöses an den nächtlichen Felswänden des Gebirges dahin.

Die Schwärzer unterlagen zuletzt; sie waren in der Minderzahl, und die Grenzwächter, denen der Anschlag verrathen gewesen, hatten ihre Vorkehrungen zu bestimmt und zu sicher getroffen. Alle Zugänge waren bewacht; es waren die Wenigsten, denen zu entrinnen gelungen war; die Meisten stöhnten verwundet, gebunden und geknebelt am Boden; die Angreifer hatten weniger gelitten – sie waren im Eifer über das Gelingen bemüht, zuerst den glücklichen Fang zu ordnen und zusammenzupacken, dann luden sie ihn den Gefangenen auf und begannen den Rückzug.

Auch Mentel war unter den Entronnenen. Als gewandter Jäger und wohlbekannt mit der Oertlichkeit hatte er im raschen Laufe einen Felszacken erreicht, jenseits dessen ein kleines schmales Thälchen anging und sich eine Strecke weit an der östlichen Seite des Steinbergs hinzog. Dort durfte er für den Augenblick einen sichern Versteck und bei Tagesgrauen einen nur Wenigen bekannten Ausweg hoffen, der in die Ramsau hinunterführte. Ein kühner Sprung mit eingesetztem Bergstock trug ihn in die Tiefe, doch erreichte er nicht das Ende des Abhanges: das Steingeröll, durch sein Aufspringen gelockert, machte sich los und riß ihn kopfüber eine beträchtliche Strecke hinab. Mit zerrissener Jacke, blutenden Händen und zerschundenem Gesicht raffte er sich wieder auf und eilte durch das Thälchen bis zu einer verlassenen Kohlstätte und Hütte. Er riß, da sie verschlossen war, mit kräftigem Ruck die rußigen Breter auseinander, stieg hinein und verwahrte von innen sorgfältig die Lücke. „Diesmal,“ sagte er vor sich hin, indem er sich auf die Streu im Winkel niederwarf, „diesmal bin ich hart am Erwischtwerden angestreift – da hat’s gegolten!“

Während dieser Vorgänge war Quasi durch die Ramsau im Dunkel der Erlen und Ahorn an der Ach dahingelaufen und hatte bald den Einschnitt erreicht, wo die Wimbach, nachdem sie sich durch die Klamm gestürzt und gedrängt, sich mit ihr vereinigt. Er flog die rasigen Hänge hinan und bog eben auf der Schneide nach dem Waldsaume ein, wo ihm am obern Ende der Klamm der Lauerposten angewiesen war. Vergebens hatte er sich überall nach dem vorangeeilten Gefährten umgesehen und war emsig daran, mit einer aufgerafften Kohle sich das Gesicht zu schwärzen. Da hielt er an und horchte hoch auf: die Schüsse krachten herüber aus dem Wimbachthal.

„Teufel,“ rief er, „die sind richtig mit den Grünen zusammengetroffen … Da geht’s scharf her … Schuß auf Schuß … Da kann ich auch nichts mehr helfen dabei – es ist gescheidter, wenn ich auf mich selber denke …“

Er untersuchte das Schloß seiner Büchse, lüftete in der Lederscheide das Messer, das er in der Tasche trug, und huschte unter den ersten Bäumen abwärts gegen den Ausgang der Klamm zu. In dem tiefen Rinnsal dachte er die Straße und die jenseitigen Höhen erreichen zu können, wo wenigstens für den Augenblick nichts mehr zu fürchten war. Eben wollte er sich an das Rinnsal hinunterlassen, als er, noch einmal die freien Hänge überblickend, von draußen her ein Blinken zu bemerken glaubte, das ihm verdächtig schien. „Da wär’ ich schön angekommen,“ murmelte er, „das ist ein Bajonnet, was dort so blitzt … da stehen Gensd’armen … ich will gleich in die Klamm hinein, da bin ich am sichersten …“

Der Gedanke war schnell ausgeführt; er huschte den engen Waldpfad hinab und betrat den schmalen, in die Felswände eingetriebenen Holzgang, unter welchem die sturzeswilde Wimbach schäumt und brandet und donnert. Obwohl das Gebrause den Hall seiner Tritte verschlang, schritt er doch nur behutsam vor, und spähte stehenbleibend vor sich und hinter sich. Ueber der grabesfinstern Schlucht begann schon der Morgen zu grauen, und bei dem fahlen Scheine, der davon oben durch den Spalt und die Bäume drang, erkannte er schon den quer über dem Hauptkessel angebrachten Steg. Dort war sein Ziel erreicht; unter dem Stege, wenig erhoben über dem rasenden Gewässer, wußte er ein Felsstück, in welchem eine Höhlung ausgewaschen war, groß genug ihn aufzunehmen und sicher vor jedem Späherauge. Er warf keinen Blick nach dem Wassersturze oder zu den zahllosen Quellen, die auf dem schwarzen Felsgrunde wie graue gespensterhafte Gewänder niederwallten … schon wollte er den Geländerbalken erfassen, als er zurücksprang und sich mit angehaltenem Athem gegenüber platt an die Wand drückte.

Er hatte eine dunkle Gestalt gesehen, die ihm entgegen um die Felsecke bog. Es war zu spät; auch der Kommende hatte ihn bereits bemerkt. Es war Gaberl, der Jäger, der die Klamm zu durchstreifen hatte, während die Uebrigen mit den Gefangenen und ihrer Beute das Bergsträßchen oben durch den Wald dahin zogen.

„Halt!“ tönte es Quasi entgegen, und da er nichts erwiderte, krachte ein Schuß durch den brüllenden Schlund, und die Kugel schlug hart neben dem Burschen an’s Gestein. Er wollte vorstürzen, denn jetzt war er im Vortheil gegen den Angreifer, der sich verschossen hatte, aber dieser war beinahe so schnell wie seine Kugel: er stand vor ihm, hielt ihn am Halse und drängte ihn an die Wand mit der Kraft des Bären, der seinen Raub umschlingt und erdrückt. Der Bursche wand und drehte sich unter den Eisenfingern des Jägers; die Jacke zerriß ihm über dem Ringen und er zerriß sich das Gesicht an den scharfen Knöpfen des Gegners, daß ihm das Blut herunterrieselte. „Wehr’ Dich wie Du willst,“ keuchte der Jäger, „ich hab’s immer gesagt. Du gehst mir einmal ein … ich kenn’ Dich doch, wenn Du auch nichts redst … lebendig lass’ ich Dich nimmer aus!“

Quasi schwieg, aber er wehrte sich und rang noch wilder als zuvor; es gelang ihm, eine Hand frei zu machen – blitzschnell hatte er sie in der Tasche, und ebenso rasch taumelte der Jäger mit einem schwachen Aufschrei, ihn loslassend, zurück.

Des Jägers Kniee knickten ein, er schwanke dem Geländer und dem Abgrunde zu – Quasi warf keinen Blick nach dem Verwundeten zurück und rannte den Felsensteig hinauf in den Wald.

(Fortsetzung folgt.)




Eine nachahmungswürdige Liebhaberei.


Wenn die Kinder unserer jetzigen Städtebewohner einen Hasen oder gar ein paar Rehe sehen, so ist das geradezu ein Ereigniß, von dessen Erinnerung sie lange zehren. Auerochsen, Elenthiere, Biber und manche andere Thiere hingegen, von denen früher die deutschen Wälder erfüllt waren, existiren eigentlich gar nicht mehr für uns, sie sind sogar als Schaustücke viel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)