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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

seltner geworden, als unzählige andere Thierarten, die man Tausende von Meilen weit herbringt. Ja, es ist, besonders in den größeren Städten, so weit gekommen, daß sogar unsere Hausthiere, soweit sie nicht geradezu täglich auf der Straße sich umhertreiben, zu Schaustücken, wenigstens für die Kinder, geworden sind. Ganz natürlich, denn wo sich noch von früher her Meierhöfe in den Städten erhalten haben, da werden sie jetzt durch deren oft riesig schnelle Entwickelung und durch die Vertheuerung des Grund und Bodens immer mehr verdrängt. Selbst die großen Städten naheliegenden Ortschaften bergen jetzt schon häufig keine oder nur wenige Bauernhöfe mehr, da die Bevölkerung hauptsächlich aus Fabrikarbeitern besteht.

Freilich so weit ist es noch nicht gekommen, daß man Ziegenböcke, Pfauen, Perlhühner, Truthähne für Geld sehen läßt, aber viel fehlt wahrhaftig nicht mehr dazu, und wenn z. B. für den Besuch des sogenannten „zoologischen Hofes“ in Lindenau bei Leipzig (die Abbildung zeigt das Treiben auf diesem Hofe) ein kleines Eintrittsgeld beansprucht würde, zu lachen darüber hätte Niemand das Recht, man könnte höchstens sagen: „Wieder eine zeitgemäße Speculation.“ In der That ist dieser Hof, welcher zum Gasthaus des Orts gehört und im Besitz eines Herrn Jahn ist, schon seit Jahren ein Wallfahrtsort für die Eltern- und Kinderwelt Leipzigs geworden. Alt und Jung, Mann und Weib ergötzt sich an dem behaglichen Thierleben, wie es sich hier in so außerordentlicher Mannigfaltigkeit zeigt, und wer nur etwas mehr als das gewöhnliche Interesse für das Gebahren der Thierwelt zeigt, der kann hier eine Fülle von Unterhaltung haben, und reichlichen Stoff zum Beobachten wie zum Lachen finden.

Die Verbindung von Gasthof und Landwirthschaft, wie sie an dem Orte dieser Thiersammlung besteht, ist jedenfalls eine ganz glückliche, da einerseits der Gasthof nur dadurch gewinnen kann, und andererseits die Unterbringung und Versorgung so vieler Thiere ohne landwirthschaftlichen Betrieb bedeutend erschwert sein würde. Doch würde man sehr irren, wenn man das Ganze auf einen zahlreichen Besuch des Gasthofs berechnet glaubte, denn es leuchtet aus dem Behagen des Besitzers, beim Anblick dieses Treibens, seine Liebe zur Thierwelt so unverkennbar hervor, daß offenbar nur der Wunsch, sich und Andern diesen Genuß dauernd zu verschaffen, die Sache in’s Leben gerufen hat.

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet eine bunte Menge von Ziegenböcken. Die Mehrzahl derselben sind die Nachkommen eines alten weißgrauen Bockes mit gewaltigem Gehörn, welcher seinerseits von einer Angoraziege und einem großhörnigen Bock des Ortshirten abstammt. Dieser weißgraue Stammvater steht jetzt ausgestopft auf dem Leipziger naturhistorischen Museum, bietet aber begreiflicherweise lange nicht den schönen Anblick wie ehemals das lebende Thier. Der Geburtstag dieses Bockes ist leider nicht genau bekannt, was wegen eines etwaigen künftigen Jubiläums sehr zu bedauern ist.

Frühmorgens öffnen sich die Stallthüren, welche während der Nacht die bunte Menge verwahrt haben, und zwar ist es die treue Rieke, welcher die Obhut derselben anvertraut ist. Hochgeschürzt oder nicht, je nachdem es die Beschaffenheit des Terrains erfordert, verwaltet sie von früh bis Abends ihr Amt mit Kenntniß und Liebe, was freilich den Gebrauch eines tüchtigen Knüppels keineswegs ausschließt, denn die Thiere, welche im Vergleich zu einem Droschkengaul ein wahrhaft himmlisches Leben führen, wissen wenig vom Gehorchen und kennen nur den Genuß.

Den Vierfüßlern sowohl als den Vögeln steht zwar, wenn sie aus dem Stalle gelassen sind, der ganze Hof und sogar die Umgebung desselben zur Verfügung, doch ziehen die Ersteren in der Regel vor, sich auf dem eigentlichen Düngerhaufen, für dessen Vergrößerung sie angelegentlichst sorgen, aufzuhalten. Allerdings bietet derselbe nicht blos eine weichere Unterlage zum Niederlegen, sondern auch eine bessere Aussicht, und daß dieselbe auch von einem Bock geschätzt wird, kann immerhin angenommen werden.

Natürlich sucht der stärkste und mit den größten Hörnern begabte Bock immer eine Art Regiment zu führen, und so lange der alte Stammvater lebte, bewahrte er sich dasselbe unbestritten, seit seinem Tode aber und besonders seit ein vierhörniger und ein dreihörniger Bock jetzt auch schon mit Nachkommenschaft hinzugekommen, scheint eine Art Vergleich, ein Triumvirat stattgefunden zu haben, welches dann gelegentlich durch Zweikämpfe „befestigt“ wird.

Bei solchen Kämpfen geht es dann manchmal sehr scharf her, ja es wird bisweilen sogar das ganze philosophische „Sein“ des Thieres dadurch aufgehoben, wie denn z. B. der vierhörnige Bock bereits nicht mehr existirt, da er, weil ihm im Kampf ein Horn abbrach, zu einem dreihörnigen reducirt wurde.

Wenn übrigens auf der einen Seite diese Ziegenböcke keineswegs gesonnen scheinen, ihre Race aussterben zu lassen, so legen sie doch auch wieder sehr viel Geringschätzung ihrer Nachkommenschaft an den Tag, und es möchte Einen manchmal erbarmen, mit welcher Vehemenz oft die kleinen Böckchen oder Zicklein von den alten Thieren bei Seite geworfen oder in die Rippen gerannt werden, wenn sie denselben beim Fressen zu nahe kommen. Ueberhaupt wissen diese erwachsenen Thiere nichts von Zurückhaltung oder Schüchternheit, und ein Beschauer, der ihnen verdächtig scheint, etwas Freßbares bei sich zu haben, oder dasselbe gar zeigt, kann sich ihrer liebenswürdigen Zudringlichkeit oft kaum erwehren. Nur vor der langen Peitsche des Herrn Jahn oder den Knüppeln der treuen Rieke haben sie Respect, und man kann dann die langbärtigen Gesellen ganz ihre Würde vergessen sehen.

Daß die kleinen Böckchen sich bestreben, ihren erwachsenen Vorbildern nachzuahmen und besonders das Stoßen baldigst zu erlernen, ist ganz natürlich, und es bedarf daher für sie keines weitern Grundes, um sich oft gegenüber auf die Hinterbeine zu erheben und nach den Köpfen zu stoßen. Daß dieses Ziel gewöhnlich verfehlt und nur ein Loch in die Luft gestoßen wird, entmuthigt sie dabei keineswegs.

Neben diesen Thieren sind es nun noch die Schafe, welche als Vierfüßler den Hof beleben, und zwar ist es eine sehr langschwänzige Race, mit gewöhnlich schwarzem Kopf. Auch hier führte früher der alte Bock als Stammvater das Regiment, wurde aber, wie ich selbst ansah, vom eigenen Sohn auf schmähliche Weise abgesetzt. Ob es sich bei diesem Kampfe von vornherein blos um die Ehre handelte, wie bei den Franzosen, oder ob ein materieller Werth, vielleicht nur ein Krautblatt, das erste Kampfobject war, kann ich nicht sagen, genug, der Kampf war furchtbar. Nach Art aller Schafe gingen die Thiere erst weit auseinander, immer rückwärts schreitend, sich also im Auge behaltend, bis zuletzt der Herr Sohn mit dem hinteren Theile seines Seins an die Stallmauer anrannte, und dies als das Zeichen ansah, auf den Erzeuger loszustürzen; dieser that das Gleiche, und mit furchtbarer Gewalt krachten die Schädel aneinander. Schon beim zweiten Male drang Blut am Kopf des alten Thieres hervor, es stürzte in die Kniee, und nach dem dritten Zusammentreffen räumte der bisherige Herrscher das Feld und ergriff die Flucht. Aber der siegreiche Sohn begnügte sich nicht damit, er verfolgte den flüchtigen Papa und rannte mit solcher Wucht von hinten gegen denselben, daß der Sprung, zu welchem derselbe eben ansetzte, durch diese Nachhülfe viel größer ausfiel, als er beabsichtigt war. Dies wiederholte sich noch einige Mal, bis endlich der Emporkömmling sein Uebergewicht für gesichert hielt. Der Besiegte stand dann, das Bild einer gefallenen Größe, noch lange an eine Mauer angelehnt und mit gesenktem Kopfe in tiefe Betrachtungen versunken.

Einen hübschen Gegensatz zu diesen großen Schafen bilden ein paar niedliche, schwarze Haidschnucken, die bekannten Schafe der Lüneburger Haide, die sich aber nicht sehr behaglich zu fühlen scheinen, denn sie halten sich stets gesondert von allen übrigen.

Den geschilderten Vierfüßlern an Zahl, Buntheit und Lebhaftigkeit außerordentlich überlegen, zeigt sich natürlich die Vogelwelt auf diesem Hofe. Denn nicht blos gewöhnliche Hühner, Gänse, Enten, Tauben und Truthühner bewegen sich hier durcheinander, auch Pfauen, weiße und bunte, Perlhühner, Störche, Fasanen, ausländische Gänse und Enten sieht man hier gemeinschaftlich und gewöhnlich friedlich mit den Andern leben.

Wie billig muß ich mit den eigentlichen Hühnern beginnen, denn wenn es auch echt Napoleonisch ist, daß dieser Held die Frau als die größte bezeichnet hat, welche die meisten Kinder hätte: bei dem Huhn hat man gewiß nicht Unrecht, wenn man diesen Vogel als den für den Menschen wichtigsten bezeichnet, weil er eben am fleißigsten Eier legt. Was wären wir ohne die Hühnereier?

Es hieße Wasser in den Brunnen tragen, den schönen Anblick einer alten Glucke mit ihren Küchelchen schildern zu wollen. Jedermann kennt ihn. Auch die Hahnenkämpfe wiederholen sich selbst da, wo mehrere Hähne bereits aneinander gewöhnt sind, so oft, daß man sie häufig beobachten kann. Komisch bleibt ein solcher Kampf immer. Mögen sie die Federn sträubend sich giftig anblicken,

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