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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ich hatte damals nur eine Notiz in mein Tagebuch geschrieben, hingegen versäumt, eine Abschrift des Grabsteins aus Latsch mitzunehmen. Ich wandte mich deshalb vor Kurzem an den Pfarrer des Ortes, der mir mit dankenswerther Bereitwilligkeit den oben mitgetheilten Wortlaut der Inschrift übersandte. Aus seinem Begleitschreiben entnehme ich, daß die Mohr’sche Grafenfamilie noch in zwei Söhnen fortlebt, von denen der erstere, Namens Joseph, blind ist und in Meran oder Trient sich aufhält, der zweite, Namens Karl, in den Orden der Jesuiten getreten, wo er jetzt als einfacher Pater Mohr lebt. Mit dem Tode dieser Zwei stirbt dann die gräfliche Familie Mohr aus.

Friedrich Dörr.



Ein Besuch bei den heulenden Derwischen in Cairo. Es war im Sommer 1860, als die Nachricht von dem entsetzlichen Blutbad in Damascus den ganzen Orient in Aufregung versetzte. Auch bei uns in Cairo besprach man ernstlich die Möglichkeit eines bevorstehenden Aufstandes der Muhamedaner, und die europäischen Consuln bestürmten den Vicekönig, strenge Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, um gleich den ersten Versuch im Keime ersticken zu können. In dieser Zeit allgemeiner Aufregung begegnete mir eines Tages einer meiner Bekannten, ein Freund überspannter Genüsse, und raffinirt in der Art und Weise, wie er seine erschlafften Nerven von Zeit zu Zeit wieder in Schwingung zu versetzen weiß. Er lebte seit Jahren, blos um diesen Lebensberuf besser verfolgen zu können, im Orient.

„Wissen Sie was,“ redete er mich an, „jetzt sollten wir einmal zur Derwischmoschee reiten, es sollen ganz verteufelte Kerls aus Damascus und selbst aus Mekka angekommen sein, da bekommen wir gewiß ein vorzügliches Ballet zu sehen.“ Meine Einwendungen wußte er bald mit der ihm nie fehlenden Waffe des Spottes zu entkräften, und der nächste Freitag traf uns wirklich auf dem Wege nach der kleinen bei Alt-Cairo gelegenen Moschee. Dort angekommen, fanden wir bereits verschiedene elegante Equipagen und Esel vor der Thür, die uns bewiesen, daß wir nicht die einzigen waren, die sich das interessante Schauspiel auch unter diesen gefährlichen Umständen mit ansehen wollten. Wir traten in den Vorhof und sahen da bereits eine zahlreiche Gesellschaft versammelt. Rings herum auf Divans saßen Araber und Türken, die sich zum großen Theil durch ihre Kopftracht, eine zuckerhutförmige graue Filzmütze, als Klosterderwische kennzeichneten. Die Laienbrüder, die sich in allen Ständen finden, trugen ihre gewöhnlichen Anzüge. Auffallend war mir, daß wir auch Negersoldaten unter ihnen bemerkten, da man im Allgemeinen annimmt, daß sich unter diesen erkauften Sclaven nur wenige befinden, die der Religion Mohamed’s mehr als rein äußerlich zugethan sind. In der Mitte des Hofs unter einer großen Sykomore saßen auf eleganten Mahagonistühlen etwa 10 bis 15 Europäer. Der Schech der Derwische ließ uns Kaffee und Schibuk präsentiren, denn er betrachtete uns als seine Gäste, und so warteten wir der Dinge, die da kommen sollten. Bald erhoben sich auch die Derwische und traten gemessenen Schrittes in die Moschee. An der Thür legten sie die Schuhe ab, verbeugten sich dreimal bis zur Erde und ordneten sich dann in einem weiten Halbkreise um die Gebetnische herum, indem sie sich auf den ausgebreiteten Teppichen mit gekreuzten Beinen niedersetzten. Die Uebungen begannen. Eine Flöte, eine Pauke und noch ein paar andere erbärmliche Instrumente vollführten eine ohrenzerreißende Musik, zu welcher einige Capitel des Koran von einem Vorsänger abgeleiert wurden. Dann setzte sich der Schech vor die Gebetnische, mit dem Gesicht gegen die im Kreise herumkauernden Derwische, es mochten etwa 35 bis 40 sein, gewendet, und begann leise zu singen: Allah, Allah, Allah, ut, indem er jedesmal bei der ersten Sylbe den Kopf etwas neigte. Der ganze Chor fiel dann ein und wiederholte etwa zehn Minuten lang unisono diese Worte unter fortwährenden Verbeugungen. Da sie immer nur denselben Ton sangen, aber immer stärker und stärker, so war es, als ob allmählich die ganze große Kuppel der Moschee auf diesen Ton gestimmt worden wäre, so schauerlich hallte das Gewölbe wieder. Endlich trat eine Pause ein, es wurde wieder ein Capitel aus dem Koran abgeleiert, und dann dieselbe Uebung so lange wie vorhin wiederholt. Schon funkelten die Augen der Derwische in wilder Begeisterung, als nochmals eine kurze Pause gemacht wurde.

Nachdem wieder ein Capitel aus dem Koran abgesungen war, erhoben sich die Derwische, einzelne warfen ihre Oberkleider und Mützen weg, so daß ihr Haar fußlang auf den Rücken wild herunterhing. Abermals begann die vorige Uebung; doch jetzt geschah die Verbeugung stehend aus dem Kreuz heraus, und so tief herunter, daß die fliegenden Haare die Erde peitschten. Der Gesang, oder vielmehr das Geheul, wurde immer wilder und wilder, so daß eine junge englische Lady neben mir, die bisher nur so bleich wie Wachs gewesen, jetzt die Farbe des Schnees annahm, und auch ich unwillkürlich nach der Thür sah und mir die Möglichkeit eines Kampfes überlegte. Während dessen waren zwei junge Derwische, die bis jetzt sich ruhig verhalten, in den Kreis getreten, und drehten sich, wie von einer Maschine getrieben, blitzschnell um ihre Achse, ohne dabei ihren Standpunkt auch nur einen Fuß breit zu verlieren. Die Arme waren weit ausgestreckt, eine Hand mit der innern, die andere mit der äußern Fläche nach oben gerichtet, ihre langen, sehr weiten Kleider bildeten die schönste kegelförmige Crinoline, ihre Augen blitzten und funkelten, doch ihr Mund war fest geschlossen, und Nichts verrieth, daß dieser rasende Tanz sie irgendwie anstrengte. Endlich, nachdem sie über 10 Minuten, ich hatte diesmal die Uhr in der Hand, so gewüthet, wurde das Zeichen zur Pause gegeben. Die Mehrzahl hörte auch auf, die Tänzer traten ab, doch einige der Heuler knickten noch eine ganze Weile, dumpf Allah, Allah murmelnd, mit ihrem Körper hin und her, ehe sie vollständig zur Ruhe gebracht werden konnten. Die Musik begann nochmals, und wieder wurde ein Capitel aus dem Koran abgeleiert, wie wir glaubten, zum Schluß des Gottesdienstes, als plötzlich zu unserm Entsetzen die Derwische sich noch einmal zu ihren Uebungen ordneten. Kaum hatten aber die wilden Verbeugungen etwa fünf Minuten gedauert, als schon bei verschiedenen der Schaum vor den Mund trat, ihr Geschrei zu einem dumpfen Röcheln erstarb, und sich alle Anzeichen der Epilepsie einstellten. Doch ihre Nebenmänner faßten sie fest, und ohne Unterbrechung dauerte der wahnsinnige Tanz weiter fort. Das ganze Gewölbe dröhnte in gewaltigen Schwingungen, die Stimmen der Einzelnen ließen sich gar nicht mehr unterscheiden, sondern Allah, Allah schien fort und fort die ganze Natur in Todesangst zu stöhnen. Die Fäuste der Derwische ballten sich, daß ihre Nägel blutig in’s Fleisch drangen, und hatten Anfangs die Haare den Boden gepeitscht, so schlug jetzt mehr als eine Stirn auf den harten Marmor, ohne daß deswegen der Körper das Gleichgewicht verloren hätte. Der Wahnsinn leuchtete aus ihren Augen, es war grausig anzusehen, noch grausiger aber zu hören. Ich versuchte einmal, um nicht schwindlig zu werden, die Augen zu schließen, doch da war es noch viel schlimmer.

Eine Dame, ich glaube es war eine Griechin, wurde halb ohnmächtig von ihren Begleitern hinausgeführt. Da sah ich zum ersten Mal wieder nach meiner Nachbarin, doch wie erstaunte ich! Kühn war sie vom Stuhle aufgestanden, die kleine weiße Hand schwang nachlässig die Reitgerte, höhnisch zuckte die Unterlippe, sie hatte ihre volle Selbstbeherrschung wieder. Kein Moslem, selbst der rasendste Derwisch nicht, hätte sie in diesem Augenblicke anzurühren gewagt, sie hätte ihn mit ihren Augen zu Boden geschmettert. Da ertönte das Zeichen zum Halt. Fast alle kamen nur nach und nach unter gräulichen Zuckungen zum ruhigen Stehen, zwei wälzten sich auf der Erde in epileptischen Krämpfen. Nur mit Mühe gelang den Andern, sie hinauszuführen. Einer indessen schien von Allah begeistert worden zu sein. Er setzte seine wilden Verbeugungen fort, brüllte wie ein Thier im Todeskampf, sprang hin und her, und versuchte endlich mehrmals, in großen Sätzen gegen die Mauer stürzend, sich den Kopf einzurennen. Da faßte ihn der Schech am Arm, und durch seine begütigende Zusprache kam auch er wieder zu sich. Er küßte jenem die Hand und taumelte zur Thür hinaus.

Jetzt erhob sich auch die europäische Gesellschaft und eilte in’s Freie, viele gewiß recht froh, mit heiler Haut davon gekommen zu sein. Lächerlich aber nahm es sich aus, als man nun an der Thür für das gehabte Schauspiel um einen Bakschisch (Trinkgeld) angebettelt wurde; das zerstörte wieder alle Illusionen. Nur mit Mühe konnte ich übrigens einen deutschen Arzt, der uns begleitet hatte, abhalten, den im Hof noch immer in Krämpfen umhertaumelnden Derwischen beizustehen und ihnen wo möglich zur Ader zu lassen. Das hätte uns denn doch schlecht bekommen können. Als wir wieder auf der Straße waren und auf unsern Eseln friedlich zur Stadt ritten, die Sonne heiter wie immer schien und die ganze Natur im Feierkleide prangte, war mir, als hätte ich eben einen schweren Traum von mir geschüttelt. Und doch war es nackte Wirklichkeit!

N-r in Cairo.



Literarische Notizen. Von G. A. Wislicenus, der seit seiner Uebersiedelung nach Amerika literarisch geschwiegen hat, dürfen wir nächstens ein größeres Werk, das Product jahrelanger Studien, erwarten. Wislicenus lebt, wie wir unseren Lesern bereits früher mittheilten, jetzt in Zürich, wo er an der Spitze einer bedeutenden Pensionsanstalt steht. – Eckhof und seine Schüler, der neueste Roman Otto Müller’s, des bekannten Verfassers der „Chartotte Ackermann“ etc., findet neuerer Zeit bei der Kritik wie beim lesenden Publicum großen Anklang. Wenn wir auch nicht verschweigen wollen, daß die Einleitung etwas breiter und gedehnter gehalten ist als nöthig, so fesselt doch der Autor durch das Interesse, mit dem er seine Figuren zu zeichnen verstand, die Leser bis zum letzten Augenblick und liefert zugleich den abermaligen Beweis seiner Meisterschaft in Beherrschung culturhistorischer Stoffe. Allen Freunden einer gediegenen Lectüre empfehlen wir das Buch angelegentlichst. – Julius Rodenberg, der bisherige Redacteur des in Berlin erscheinenden „Deutschen Magazins“ hat die Redaction dieses Blattes niedergelegt und wird nächstens in Gesellschaft seiner jungen Frau, einer geborenen Triestinerin, eine große Reise nach Italien und den Küsten der Adria antreten. Wir freuen uns, den Lesern dieses Blattes mittheilen zu können, daß Rodenberg von jetzt ab seine bedeutende literarische Kraft vorzugsweise der Gartenlaube zuwenden wird.



Für Theodor Körner’s Pflegerin gingen mir wieder zu: 4 Thlr. 11 Ngr. Ertrag einer Sammlung im Hotel de Saxe in Leipzig, durch Ludwig Würkert – 1 Thlr. B. in Leipzig – 1 Thlr. Unbekannter aus Merseburg, mit einem längern Gedicht auf die wackere Matrone, aus welchem wir nur zwei Strophen mittheilen:

Heil Dir, dem braven Mütterlein,
Dem liebvollen, greisen,
Das einst ihm hat so wohl gethan,
Dem Sänger goldner Weisen,
Dem Sänger unsres Vaterlands,
Der gottgeweihten Lieder,
Die uns in schmerzbewegter Brust
Noch heute tönen wieder!

Heil Dir, Du Samariterherz,
Das so getreu ihn pflegte,
Und auf die heißen Wunden ihm
Der Kühlung Balsam legte!
Nur um sein Leben still besorgt,
Dir vor Gefahr nicht bangte,
Bis seiner Rettung sichern Port
Er bei dem Freund erlangte.

Ernst Keil.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)