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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

seine Theilnahme am geistigen Leben der Nation auf Unterstützung des religiösen Vereinswesens.

Der würdigste aller adeligen Männer dieses Landes ist aber der Mann, zu dessen Bilde wir nun zurückkehren. Auch ohne nach Westphalen einen Fuß gesetzt zu haben, kannte zu der Zeit vor 30–40 Jahren jeder gebildete Preuße den Namen des Oberpräsidenten dieser Provinz, jene mit dem gewaltigen v. Stein verschwisterte Natur. Vinckes Persönlichkeit, seine großartige, volksthümliche Wirksamkeit war nirgends ein Geheimniß; man war auf ihn gespannt nicht nur als auf eine individuelle Besonderheit, man hatte sich gewöhnt, ihn als die Spitze, als den hervorragendsten Ausdruck einer großen Stammes-Gesammteit zu sehen, zu verehren und zu lieben. Zwar konnte auch dieser Staatsmann, welcher auf das Wohl und die Hebung Westphalens mit eminenter Thätigkeit eingewirkt hat, so wenig, als sein großer Zeitgenosse und Freund, der Minister v. Stein, nicht mit gleichen Augen von den heterogenen Bestandtheilen seines Wirkungskreises betrachtet werden; auch er, dessen nur auf das Wahre und Gute gerichtete Thätigkeit die verschiedensten Interessen durchkreuzte, rief die entgegengesetztesten Gefühle der Liebe und des Mißwollens, der Bewunderung oder der Scheelsucht hervor, aber sein Charakter, Geist, seine Stellung und Arbeit sichern ihm das dankbare Andenken nicht nur seiner nähern Landsleute, sondern namentlich in unsern Tagen aller bravgesinnten Deutschen. Es ist nicht die Absicht, sein Leben chronologisch zu schildern. Das hat Mancher schon, wenn auch fragmentarisch, gethan. Ein Bild des „alten Vincke“ wollen wir zu zeichnen versuchen, in welchem sich der Mensch, der Westphale und der Geschäftsbeamte, speciell der Vorgesetzte der Provinz in seiner so großartigen, als liebenswürdigen Eigenthümlichkeit abspiegele.

Ein ganz kurzer Blick auf seinen Lebensgang ist gleichwohl nicht zu umgehen.

Vincke tritt in einem Lebensalter in die höhern Kreise der öffentlichen Thätigkeit, wo unsere heutige Beamtenjugend kaum das erste Stadium der Vorbereitung betritt. Er ist zu Minden geboren und gehört einer alten in Minden, Ravensberg und Osnabrück begüterten Familie an, der begabte Sprößling eines an Bildung und Ehren reich gesegneten Hauses, eines Vaters, der vom großen Preußenkönige bewundert, in den preußischen Dienst gezogen sich rühmen durfte, daß Friedrich II., so oft er nach Minden kam, bei ihm wohnte. Der frühzeitig für Recht und Freiheit, namentlich die nordamerikanische, glühende Sohn giebt die gewünschte Seemannscarrière auf, wird einer der musterhaftesten und dankbarsten Zöglinge des Pädagogiums in Halle und seines Dirigenten, des alten Kanzlers Niemeyer, und bezieht die Universitäten Marburg, Erlangen, Göttingen. Seine äußere Erscheinung war unbedeutend. Klein und jugendlichen Aussehens wurde er später, schon 30 Jahre alt und Präsident, für einen Knaben angesehen. „Sü es, was dat Jüngesken sick krus mäket,“ sagte eine münsterländische Bauerfrau, als der ihr unbekannte Präsident über ihre Zögerung, einen Schlagbaum aufzuschließen, sich ereiferte.

Die große Krisis des öffentlichen Lebens, in welche seine akademische Bildung fällt, konnte auf den feurigen Sinn Vincke’s nicht ohne Einfluß bleiben; wir erfahren, weß Geistes Kind in politischer Hinsicht schon der Student war. „Kann ich,“ so schrieb er damals in Beziehung auf das Wöllner’sche Religionsedict (1788), „meinem Vaterlande in einem öffentlichen Amte nicht dienen, ohne vorher Heuchler, Schleicher, Intrigant und Schmeichler zu werden, so begabe ich mich zurück.“ In Vincke’s Studentenzeit (1792–1795) treten die Wirkungen der französischen Revolution sichtbar über die Grenzen Frankreichs auch in Deutschland heraus. Schauseite und Kehrseite der großen Welterschütterung kommen zur Anschauung; der Kriegsschauplatz rückt Vincke sehr nahe, der Kanonendonner von Mainz, Frankfurt und von der Lahn dröhnen bis Marburg hinaus. Werden wir uns wundern, wenn wir auch unsern jungen Freund von frühreifem Verstande, größter Lebhaftigkeit und dem wärmsten Herzen voll den Ideen ergriffen finden, welche keinen denkenden Menschen damals unberührt ließen? Schon damals erklärte er sich gegen jede Absonderung der verschiedenen Schichten der Bevölkerung, gegen den Kastengeist des Junkerthums, gegen Rangverhältnisse und Titelsucht, stimmte laut und eifrig ein in das Lob der Oeffentlichkeit und Freiheit, und erklärte sich gegen Steuerfreiheit des Adels und des Clerus.

Kaum 24 Jahre alt tritt v. Vincke nach glänzend bestandenen juristischen und cameralistischen Prüfungen in den preußischen Staatsdienst, und hier ist das Feld, wo seine treffliche Natur sich in ihrer ganzen Verdienstlichkeit und Originalität von den Vorstufen des öffentlichen Beamtenthums bis in die höchsten Stellungen hinein zu entfalten beginnt. Auf diesem Gebiete wollen wir ihn nun begleiten.

Was war es doch, das dem preußischen Beamtenthum gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, also zur Zeit der öffentlichen Thätigkeit Vincke’s, eine so eigenthümliche, achtungsvolle Anerkennung verschaffte? – Seit der Revolution bis 1806 war das von Friedrich II. zurückgelassene kleine Königreich schnell emporgewachsen. Seine Adler schwebten über die Länder der alten Sachsen bis zur Nordsee, über das Maingebiet und das Herz Thüringens, sie beherrschten die Elbmündung, umkreisten Böhmen von zwei Seiten. Preußens Scepter reichte bis tief in das Weichselthal und bis zur alten Polenhauptstadt. Aber mit dieser Größe stand die innere bildende Kraft nicht im Verhältniß. Alle Vergrößerung des Ländergebiets war nicht durch eine starke innere Triebkraft gemacht, sie war die Frucht ruhmloser Feldzüge, aufgedrängt von übermächtigen Feinden, ohne Autorität und innere Festigkeit. Verhängnißvoll war es besonders, daß der letzte Regulator fehlte, welcher unablässig und ehrlich die Regierung begleitet, den Wünschen des Volkes Ausdruck giebt, die öffentliche Meinung. Die Presse war bevormundet, gelegentliche Flugschriften gewaltthätig unterdrückt. König Friedrich Wilhelm III., ein Herr von strenger Rechtlichkeit und maßvollstem Sinne, empfand, daß in der alten absolutistischen Weise des großen Königs fortzuregieren ihm unmöglich sei. Friedrich hatte bei allem Geist das Ganze doch nur durch die Eigenmacht seines Willens, als der letzten Instanz, zusammengehalten. Er hatte das wagen können. Unter seinen Nachfolgern mußte die Controle des Regierungsbeamtenthums in den Beamten selbst gesucht werden. Hiermit begann in Preußen die Herrschaft der Büreaukratie. Mit ihr wuchs die Zahl der Aemter, Behörden, Zwischenbehörden. Aus dem Bestreben, die Starrheit der alten Zeit gerecht, gründlich und human umzubilden, wuchs Weitläuftigkeit und Actenschreiberei hervor. Die Eigenmächtigkeit des alten monarchischen Regiments ging nun in die Willkür der Beamten über, gegen die es beim Mangel einer freien Presse keine Rettung gab. Aber außer der Kraft und Opferfähigkeit, welche trotzdem im Volke selbst einer großen Zeit entgegenschlummerte, ward auch in der Beamtenwelt Preußens ein neues und hoffnungsreiches Leben sichtbar. Die ehrliche Arbeit, Intelligenz und Rüstigkeit desn Willens einzelner Höhergestellten erfüllt mit hoher Achtung im Vergleich mit dem spätern französischen Beamtenwesen; das Personal der Obergerichte und der höhern Verwaltung umschloß in der Regel die Blüthe der preußischen Intelligenz, ja es concentrirte sich hier die stärkste Kraft des Bürgerthums, die höchste Bildung des Adels. Das waren seit den alten Coccei, Carmer u. A. geschulte, gescheidte, redliche, feste Männer von großartiger Arbeitskraft, stolzem Patriotismus, von Unabhängigkeit des Charakters, welcher sich in der Handhabung des Rechts noch durch keine Ministerialrescripte beirren ließ. Sie stammten zum Theil aus Bürgerhäusern, aber auch der bessere Theil der Adelsfamilien schloß sich an. Es ist eine Freude, in jener Zeit des Schwankens den Blick auf die stille Arbeit dieser Männer zu richten. Sie haben als oberste Richter und Provinzialverwalter ihr preußisches und deutsches Bewußtsein dauerhaft durch schwere Zeiten getragen, haben in gleicher Weise auf ihre Umgebungen gewirkt. Auch unter der Fremdherrschaft wirkten sie in ihren Kreisen mit kalter Selbstbeherrschung fort, tief in ihrer Seele eine bessere Zeit vorbereitend. Das waren die Stein, Sack, Merkel und viele Andere und nicht der Letzte unter ihnen Ludwig von Vincke.

Als derselbe 1798, 24 Jahre alt, zum Landrath des Kreises seiner Vaterstadt Minden, mit einem Gehalt von 300 Thalern, ernannt war, zeigte er ein so jugendliches Aussehen, daß König Friedrich Wilhelm III., als er ihm bei Gelegenheit der großen Revue bei Petershagen in Minden vorgestellt wurde, sich gegen Herrn von Stein äußerte: „Macht man hier Kinder zu Landräthen?“ Die Antwortet lautete: „Ja, Majestät, ein Jüngling an Jahren, ein Greis an Weisheit.“

In seiner landräthlichen Wirksamkeit zu Minden spiegelt sich bereits das ganze Bild seines künftigen Treibens ab. Er hatte das Glück unter der Leitung einer der bedeutendsten Persönlichkeiten Deutschlands zu arbeiten, des Freiherrn von Stein, damals obersten Verwalters der westphälischen Landesteile. Freilich fehlte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_231.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)