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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

bestanden, zurückfordern wolle, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Culturgrenzen, die wirklichen Nationalitätsgrenzen sich ganz und gar geändert hätten. Auf solchem Boden könne keine Revolution von heute als berechtigt erscheinen. Denn in Wahrheit sei sie bloße Reaction. Wenn die alten Grenzen Polens, wie sie vor der ersten Theilung – und es giebt nicht wenige Polen, die noch weiter zurückgehen, – hergestellt werden sollten, so würden von Deutschland Landstriche gewaltiger Ausdehnung abgetrennt werden müssen, in denen alle Civilisation bis in’s Innerste hinein eine rein deutsche sei. Eine solche Forderung also müsse das deutsche Volk wenn nicht gegen die polnische Insurrection einnehmen, wenigstens lau für dieselbe machen, nicht etwa weil das deutsche Volk einer schlecht angebrachten Berufung auf frühere überwundene Zustände eine ebensolche Berufung auf alten Actenstaub entgegenstellen wolle, was sie wohl könne, sondern weil die Forderung eine widernatürliche, allen gegebenen Bedingungen widersprechende, eine freiheitsfeindliche sei. Das deutsche Volk werde nicht im geringsten gegen eine Grenzregulirung auf billigen Grundlagen gegen Polen etwas einzuwenden haben. Aber z. B. ehe sich der Charakter, die Tendenz der polnischen Insurrection ausgesprochen hat, den Polen Alles anbieten, was ihre ausgelassensten Kehlen verlangen, etwa auf die Gefahr hin, an seinen östlichen Grenzen nur ein neues Filial des kaiserlichen Frankreich entstehen zu sehen, das widerspreche den Forderungen der Vernunft, sei entgegen allen wirklichen Interessen der Freiheit und der Civilisation. Ganz Aehnliches, wie von dem Verhältnis der Polen zu dem deutschen Volke, lasse sich von dem Verhältniß der Polen zu dem russischen Volke sagen, welches letztere vortrefflich sei und durchaus keinen Unterschied seiner eigenen und der polnischen Interessen in der Einigung auf dem Boden der Freiheit anerkenne.

Garibaldi sagte hierauf, daß ich ihm aus der Seele spreche, daß ja wirklich die Interessen der Völker dieselben seien, daß in der That die Völker, welche sich erhöben, sich am meisten davor hüten müßten, dieselben Zankäpfel, wie der alte Monarchismus, zwischen sich zu werfen. Er versprach mir, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm dazu bieten würde, den Polen gerade diese Worte der Liebe zuzurufen, Ermahnungen, die Völker der Nachbarländer als die Freunde zu erkennen, welche sie seien.

„Und was wird Preußen thun?“ fragte er jetzt.

„In Preußen,“ erwiderte ich darauf, „muß man noch mehr, als anderswo, Regierung und Volk unterscheiden. Das preußische Volk ist in der Arbeit begriffen, seine innere Freiheit herzustellen und zu befestigen. Bei der großen Intelligenz, die in ihm alle Schichten durchdringt, und bei dem Wege, den die Regierung eingeschlagen hat, sieht es aber, daß es den größten Theil der Arbeit dem Ministerium überlassen kann. Es steht auf der Lauer und betrachtet, wie dieses sich in eine unvernünftige Verwickelung nach der andern stürzt und so eifrig daran arbeitet, sich völlig unmöglich zu machen. Die preußische Presse wird sich, einige wenige Reactionsblätter ausgenommen, mit der größten Entschiedenheit gegen eine Betheiligung Preußens an der Unterdrückung Polens aussprechen,[1] das Ministerium wird auch das letzte Stückchen Grund, welchen es noch im Volke haben mochte, unter den Füßen verlieren. Eine große Zahl von Truppen auf längere Zeit mobil zu erhalten, ist aber bei den Opfern, die zu Gunsten der neuen Militärorganisation erforderlich werden, ohne Steuererhöhung oder Anleihe unmöglich. Die Deputirtenkammer wird aber zu diesem Zwecke eine Steuererhebung oder eine Anleihe nicht votiren; dessen bin ich sicher. Dann steht das Ministerium an dem Abgrunde, den es sich gegraben. Eine Anleihe negociirt ihm kein Banquier ohne das Votum der Kammer; eine Steuererhöhung kann es mit offenem Bruch der Verfassung selbst anordnen. Nun ist aber die bisher noch vorgehaltene Maske ganz gefallen. Und wozu dann diese finanziellen Schwierigkeiten führen, das werden wir sehen. Ich hoffe für Deutschland und für ganz Europa von ihnen das Beste.“

Garibaldi, der diese Verhältnisse wenig kannte, wie sie überhaupt in Italien wenig bekannt sind, begriff sie doch sogleich. Indessen fragte er mich, ob es nicht wenigstens möglich sei, aus Preußen Waffen und Leute nach Polen hinüberzuschaffen, um die Insurrection zu stärken. Ich erwiderte, daß dies, wenn auch schwierig, doch nicht unmöglich sei, ob und in welchem Umfange es aber geschehen werde, das werde wieder wesentlich davon abhängen, wie sich die Polen zu dem deutschen Volke stellten. Das deutsche Volk denke im Ganzen zu groß, um sich dadurch feindlich gegen die Freiheitsbestrebungen der Polen stimmen zu lassen, aber lau werden müßte es immerhin, wenn die Polen die große wirklich bestehende Differenz zwischen dem deutschen Volke und den deutschen Regierungen nicht zu würdigen wüßten oder sie nicht würdigen wollten.

Füge ich noch hinzu, daß wir auch über das Verhältniß Ungarns zu Polen redeten, so wird das Vorhergehende etwa den Inhalt unserer Gespräche über die polnische Sache zusammenfassen.

Unser erstes Gespräch ward vorläufig dadurch unterbrochen, daß ich zum Essen abgerufen wurde. Die Tagesordnung auf Caprera ist in Bezug auf Essen und Trinken diese, daß Morgens zwischen 7 oder 8 Uhr jeder nach dem Verhältnisse, wie er gerade aufsteht oder Lust hat, in den Salon hinabsteigt, um seinen Kaffee zu trinken; um 12 oder 1 Uhr vereinigt die Hauptmahlzeit Alle, die sich eben im Palazzo Garibaldi befinden – heute war diese Hauptmahlzeit verspätet worden –; Abends um 7 Uhr wird in derselben Weise die Abendmahlzeit eingenommen. Garibaldi erscheint gegenwärtig nicht bei den Mahlzeiten im Salon, sondern er ißt auf seinem Ruhebette. Beim Essen geht es lebhaft und munter zu; an Provisionen aller Art fehlt es nicht, einige Gemüse liefert bereits der Anbau Capreras, die Hauptrolle spielt die Jagdbeute aus dem nahen Sardinien; dann kommen zahlreiche Sendungen von Früchten, Eingemachtem, gutem Wein von Freunden auf dem Continent. An baarem Gelde allein fehlt es dabei fast ganz, aber Niemand vermißt es; man fühlt sich dort in dem glücklichen Zustande des Naturmenschen. Gar manche Summe, die nach Caprera kommt, erscheint dort nur, um die Insel zu guten Zwecken alsbald wieder zu verlassen. Zweihundert Franken, die ich seitens einer befreundeten Dame für die Verwundeten und Gefangenen von Aspromonte, insbesondere für die unglücklichen Deserteurs von der regulären Armee mitgebracht hatte, wanderten augenblicklich ihrer Bestimmung zu.

Garibaldi hatte mich aufgefordert, sein Haus als das meine zu betrachten, und Pietro angewiesen, mir und Bruzzesi ein Zimmer zu geben. Dies bezogen wir nach dem Essen im obern Stockwerke des Doppelgebäudes. Zunächst hatte ich dann mit Albanese, dem gegenwärtig allein noch bei Garibaldi weilenden Arzte, zu verkehren. Er wohnte mir gegenüber, aber um zu ihm zu gelangen, mußte ich ein anderes Zimmer durchschreiten, in welchem sich außer sonstigen Dingen auch Spuren zeigten, daß hier das Schneiderhandwerk betrieben werde. Es war das Zimmer Fasoli’s, eines jungen Calabresen, der schon 1860 mit uns war, sich 1862 wieder zu Garibaldi gesellte und jetzt mit diesem auf Caprera lebt. Auf dem Collegium (Gymnasium) von Catanzaro, seiner Vaterstadt, hatte er, wie es auf den neapolitanischen Gymnasien Sitte war, ein Handwerk und zwar schneidern gelernt, die Gefangenschaft in Varignano hatte ihm von Neuem Zeit und vielfache Veranlassung gegeben, seine Kunst zu üben. Jetzt nannte er sich mit Stolz den Schneider von Caprera. Da er mir entdeckte, daß er Mangel an rothen Hemden leide, war ich so glücklich, ihm eines, welches ich zuviel hatte, sogleich zurücklassen zu können. Der Flanell zu diesem Hemde war aus Berlin!

An Albanese richtete ich meine Aufträge aus und sprach mit ihm über den Gesundheitszustand Garibaldis. Meine Hoffnungen, daß der General nach seinem Aussehen, wie ich es über alle meine Erwartungen vortrefflich gefunden, bald wieder werde zu Pferde steigen können, spannte Albanese etwas herab. Wenn auch sicher, sagte mir Albanese, schritte doch die Heilung unseres Kranken nur langsam fort, hauptsächlich wohl in Folge der rheumatischen Affectionen, an denen er leide; noch immer kämen Knochensplitter aus der Wunde. In der That ward noch am 16. Februar Morgens wieder einer herausgeholt.

Nachdem ich meinen kleinen Handkoffer geöffnet, begab ich mich wieder zu Garibaldi, um ihm nun die mir mitgegebenen Briefe zu überreichen und sonstige Geschäftsangelegenheiten zu erledigen. Der General gab mir die Schriftstücke, welche den Ehrenkranz der Leipziger begleiteten, und bat mich, ihm dieselben zu übersetzen, was ich sogleich mündlich that und später auch noch schriftlich. Der General bedauerte bei dieser Gelegenheit sehr, daß er nicht deutsch verstehe und daß auch jetzt Niemand auf der Insel sei, der es verstehe. Alle deutschen Briefe müßten, wenn nicht ein so glücklicher

  1. Wir müssen hier bemerken, daß dieser Ausspruch, der im Verlaufe weniger Wochen sich als so treffend erwiesen hat, Ende Februar, also zu einer Zeit niedergeschrieben ist, wo eine solche Ansicht einen sehr richtigen politischen Blick bedingte.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_236.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)