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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Almenrausch und Edelweiß.
Aus dem bairischen Hochgebirge.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Die Mägde fingen an, die Tische abzuräumen; Evi war darunter und kam in Gaberl’s Nähe.

„Nun,“ rief er ihr sich aufrichtend zu, „Jungfer Kellnerin, oder muß man vielleicht schon Mamsell sagen – gar keine Zeit?“

„Zeit? Zu was?“ fragte Evi, ohne sich irre machen zu lassen.

„Wozu sonst, als zum Plaudern!“

„Wüßt’ nit, was wir Zwei zu plaudern hätten miteinander!“

„Was? Behüt’ Gott sagen wenigstens, wenn’s auch sonst nichts gäbe! Ich geh’ fort!“

„Glück auf den Weg!“

„– Und Du fragst gar nit wohin?“

„Mir ist’s gleich; Dein Weg ist doch nit der mein’!“

„Wer weiß!“ sagte er leiser, da sie eben an den Tisch neben ihn herankam. „Ich komm’ hinaus in die Gegend von Benediktbeuren, das ist nimmer weit von Deiner Heimath von Lenggries!“

„… Ich hab’ nichts zu suchen im Lenggries,“ sagte sie nun muthig und wollte fort, weil ihre Arbeit beendigt war. Er hielt sie am Rocke fest und schlug ein wildes Gelächter auf.

„Man findet oft, was man nicht sucht!“ sagte er. „Weißt, Evi, ich frag’ nichts darnach, was die Leut’ von Dir reden – ich kümmere mich um das nicht, was früher gewesen ist – aber ich begreif’s, daß Du nicht in Deine Heimath zurück willst, und daß Du hier herum in die Länge nicht bleiben kannst, mußt Du spüren, … ich wüßt’ einen Ausweg! – Ich bin Forstwart geworden!“ sagte er näher rückend, als sie schweigend stand. „Ich hab’ mein gutes Auskommen, hab’ ein schönes Häuschen mitten im Wald, in einem grünen Schlag, wo kein Mensch hinkommt und Einem die ganze Welt auf den Buckel steigen kann – nichts geht mir ab drinnen als eine saubere fidele Haushälterin … Was meinst, Evi, das wär’ ein Plätzchen für Dich!“

„Ich muß’ leiden,“ sagte Evi, glühend vor Scham und Entrüstung, „daß Du mir einen solchen Antrag machst! Es wird ja doch wieder einmal eine andere Zeit geben, und ich kann Dir wenigstens drauf sagen, daß ich mir nicht getrauen thät’, mit Dir unter einem Dach zu sein!“

„… Warum?“ fragte er mit funkelnden Augen.

„Weil ich fürchten thät’, es müßt’ heut’ oder morgen einstürzen über dem, der einen unschuldigen Menschen in’s Unglück gebracht hat!“

„Pfeift der Wind aus diesem Loch?“ lachte der Jäger. „Eine saubere Unschuld das! Und wenn er unschuldig wär’, geht’s mich was an? Das Gericht hat ihn verurtheilt!“

„Auf Deine Aussag, daß Du ihn genau und gewiß erkannt hast – auf Dein Zeugniß hin, das Du beschworen hast. … Und Du getraust Dir, allein im Wald zu leben? Fürchtest Du nit, daß er lebendig wird und daß jeder dürre Ast Dir die drei Finger zeigt, mit denen Du Gott zum Zeugen angerufen hast für die Unwahrheit?“

„Wer sagt das?“ fuhr der Jäger auf. „Wer kann das sagen? Wer getraut sich, mir das in’s Gesicht zu behaupten? – Der Mentel ist’s gewesen, sag’ ich, und kein anderer Mensch!“

„Und ich sag’, er ist’s nit gewesen!“ rief Evi sich losmachend. „Beweisen kann ich’s freilich nit, aber die Stund’ wird nit ausbleiben, wo Alles aufkommt!“

Sie eilte fort; Gaberl sah ihr durch die Dunkelheit nach. „Das will ich abwarten, denk’ ich,“ murmelte er. „Also diesmal wär’ ich abgefahren! – Und warum wohl? Weil sie den Mentel wirklich für unschuldig hält? – Bah, wenn es sie auch wurmt, daß sie nicht Bühelbäuerin geworden ist, wie sie sich vielleicht gedacht hat, … das ist vorbei, der kommt nicht mehr heraus aus dem Schlaghäusel … auf den kann sie nimmer rechnen, wegen dem also hat sie mich nicht ausschlagen. – Es muß was Anderes dahinter sein! – Etwa der Maler? Unmöglich wär’s nicht – ich will immerhin meine Augen aufmachen. Daß er so ganz zufällig daher gekommen sein sollte und sich in der Schönau einquartiert, kommt mir ganz sonderbar vor … warum nicht in der Ramsau, wie im vorigen Jahr? Will mir der Farbenklexer auch in’s Gehege kommen? Er soll sich in Acht nehmen, er hat ohnehin etwas bei mir auf dem Kerbholz. … Und wenn sie sich noch so sehr sperrt und spreizt … kein Anderer soll sie haben, so lang ich einen Finger rühren kann; so muß sie zuletzt noch froh sein, wenn ich mich annehme und ihrer erbarme!“

Er nahm Büchse und Ranzen auf und schritt durch die Bäume, unter denen es ganz still und einsam geworden war, dem Hause zu, aus dessen Fenstern rother Lichtschein in die Dämmerung fiel. Die Jungen tobten nach Lust und Kraft oben auf dem Tanzboden aus; die Alten saßen in der Zechstube im Erdgeschoß und hielten sich mit gleichem Eifer an das Ersatzmittel in den Krügen.

Reinthaler war inzwischen noch eine Strecke gegen Berchtesgaden hinaus gegangen, um Abendluft und Abendstille zu genießen und die letzten rothen Lichter an den Felsen des hohen Göll verglimmen zu sehen. Er war in einer ihm selbst unerklärlichen befangenen Stimmung; es war ihm fast feierlich zu Muthe, als sollte irgend ein ernstes unerwartetes Geschick in sein Leben eintreten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_241.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)