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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ob die deutsch-gothischen Bauwerke den gothischen Bauwerken Frankreichs, des Geburtslandes dieses Styles, ohne Weiteres voranzusetzen sind: so haben wir ein um so größeres Recht, den Styl, in welchem der deutsche Volksgeist am klarsten und lautersten und im vollen Bewußtsein seiner Individualität sich ausgesprochen, in welchem die hohe Zeit deutscher Macht und Herrlichkeit einen entsprechenden Ausdruck gefunden hat, als einen vorzugsweise nationalen, deutschen zu beanspruchen.

Die Kunst des romanischen Styles umfaßt die Zeit vom 11. bis in die ersten Decennien des 13. Jahrhunderts. Von antik-römischen Grundformen ausgehend, weiß sie dieselben in eigenem Geiste umzuprägen. Strenge und Einfachheit sind den Werken der Frühzeit eigenthümlich. Reicher, bewegter, phantastischer gestaltet sich der Bau im Laufe des 12. Jahrhunderts; die Zeit des Sturmes und Dranges, die über das Abendland hereingebrochen war, die der Kreuzzüge, spiegelt sich auch in den Bauwerken des Jahrhunderts. Am Schlusse desselben und zu Anfang des folgenden hat die romanische Kunst ihren Gipfelpunkt erreicht. Aber schon machen sich fremde Elemente, einer neuen Geistesströmung angehörig, geltend und bahnen den Uebergang zu einer anderen Kunstweise.

Die romanische Kunst hat mit frischer Kraft und kühnem Geiste die altchristliche Kirchenform umgeschaffen. An Stelle der aus antiken Bruchstücken zusammengebauten Basilika setzt sie einen rhythmisch gegliederten, in ansteigender Bewegung der raumschließenden Wölbung entgegenstrebenden baulichen Organismus. Und für die innere Gliederung hat die romanische Kunst die entsprechende äußere Gestaltung gefunden und in dem jetzt organisch mit dem Langhause verbundenen Thurmbau an der Westseite der Kirche, dem sich oft weitere Thurmanlagen anschließen, die Höhenrichtung des ganzen Baues auch äußerlich machtvoll ausgesprochen. So erhebt sich, mannigfach gruppirt, in klarer übersichtlicher Gliederung, feierlich und ernst das Gotteshaus, weithin seine Bestimmung verkündend allem geistigen Leben, aller Cultur eine Pflegstätte zu sein. – Der romanische Styl wendet zur Ueberdeckung der Oeffnungen den Halbkreis an, zu dem später der Spitzbogen als zweite Bogenform kam. Der Charakter des vollendeten romanischen Styles ist der eines durchgebildeten Wölbbaues.

Ein glänzendes Beispiel romanischer Baukunst aus der Schlußzeit der Epoche giebt der um’s Jahr 1235 geweihete Dom zu Limburg an der Lahn. Die Grundform der Kirche ist die der gewölbten Basilika. Ein mächtiges Mittelschiff, von dem gleich hohen Querschiff durchschnitten, bildet den Mittelpunkt der ganzen Anlage. An dieses schließen sich die Seitenschiffe und der Chorumgang, über welchem sich Gallerieen, Emporen befinden. Das Licht wird dem Mittelschiff aus der Höhe durch Fenster, die über den Dächern der niederen Seitenschiffe angebracht sind, zugeführt. Zwischen den Fenstern und den Oeffnungen der Emporen zieht sich eine zierliche Wandgallerie, das Triforium, hin. Der Innenbau, durch mächtig aufstrebende Gewölbträger und leichthin laufende horizontale Abschnitte glücklich gegliedert, gewährt eine ebenso würdevolle als imposante Erscheinung. Und das reiche Innere hat in einem glänzenden Aeußeren Gestalt gewonnen. Seinen ganzen Reichthum, seine volle Pracht entfaltet der Styl an ihm, gleichsam als wolle er noch einmal seine ganze Herrlichkeit zusammenfassen in einem Werke. Und so strebt denn der Dom empor, malerisch auf einem Felsvorsprunge sich erhebend, siebenthürmig, weithin sichtbar im deutschen Lande, ein Zeugniß deutschen Geistes, ein Denkmal deutscher Herrlichkeit.




Wann, wie und durch wen Amerika zuerst entdeckt wurde.

Von Johannes Scherr.

Als in unvordenklicher Zeit unsere germanischen Altvordern auf ihrem Wanderzuge von der mittelasiatischen Hochebene her von den übrigen Zweigen der indoeuropäischen Völkerfamilie sich gesondert hatten und in unsern Erdtheil eingerückt waren, da hat sich – so wird jetzt ziemlich allgemein angenommen – der germanische Wanderstrom zunächst in den Norden Europa’s ergossen. Dort hat er sich eine Weile gestaut, dann aber, wieder in Bewegung gerathen, südwärts sich geschoben, das eigentliche Germanien oder Deutschland allmählich bis zu den Alpen füllend, Kelten und Slaven aus seinem Wege drängend, jene westwärts, diese ostwärts.

Ein ansehnlicher Theil der Germanen schloß sich aber dieser Weiterwanderung in südlicher Richtung nicht an, sondern blieb in Skandinavien fest angesessen, wo sich nach Jahrhunderten aus dem blutigen Wirrsal urgermanischer Adelsrepubliken, aus der Anarchie des Jarlthums die Königsherrschaft entwickelte und in den drei Reichen Dänemark, Norwegen und Schweden Throne aufbaute. Diese gelangten jedoch erst dann zu größerer Festigkeit, als die nordischen Könige die höchst vortrefflichen politischen Handhaben, welche das römisch-christliche Wesen dem Königthum darbot, erkennend und werthend, dem neuen Glauben nach und nach den Sieg über den urväterlichen verschafften. Herb und hart genug ging es dabei her. Denn in Skandinavien hatte sich mit dem religiösen Glauben der Ahnen des ursprünglichen Germanenthums ganze Kraft und Härte noch frisch erhalten zur Zeit, wo dasselbe in Deutschland bereits der durch Karl den Großen empfohlenen und befohlenen romanisch-christlichen Cultur mehr und mehr gewichen war. Lange und heftig haben sich die trotzigen Bonden (Freibauern) und stolzen Jarle (Edlinge) des Nordens gegen das Unterfangen gesträubt, ihnen mittelst List und Gewalt zugleich mit den christlichen Dogmen auch das Joch königlicher Despotie aufzulegen, und als die Mehrzahl sich endlich dennoch gefügt, gab es immer noch eine Anzahl von Unbeugsamen, welche lieber Haus, Hof und Heim verließen, als daß sie den fremden Göttern oder einem Könige ihre Kniee gebogen hätten.

Solche Männer waren es, welche von Norwegen aus Island, das „Eisland“, besiedelten. Sie brachten Weib und Kind, Vieh und Waffen, Erde von der Stelle, wo der Opferaltar ihres heimischen Lieblingsgottes Thor stand, sie brachten auch die „Hochsitzsäulen“ ihres väterlichen Hauses an Bord ihrer „Langschiffe“ und steuerten kühn dem wunderbaren Eiland zu, wo aus Gletscherspalten rothglühende Lavaströme brechen und das unterirdische Feuer mächtige Säulen siedenden Wassers aus Schneegefilden thurmhoch in die Lüfte steigen läßt. Hierher, in diese insularische Abgeschiedenheit von einer Welt, welche neue Götter anbetete und neue Lebensformen anthat, hatte das Germanenthum seine theuersten Schätze gerettet: seine Rechtssatzungen und Sitten, seine religiösen Vorstellungen und Mythen, seine Heldensagen und seine Culte. Hier hat es diesen Hort gehütet und gemehrt. Hier, auf der fernen Insel, blühte eine Cultur auf, deren schriftliche Erzeugnisse den Völkern germanischer Zunge von Rechtswegen nicht weniger ehrwürdig sein sollten, als den Indern ihre Veda’s und den Juden ihr Pentateuch. Hier, auf Island, nämlich ist die germanische Bibel aufgezeichnet worden, die „Edda“, d. i. die Urahne, die Urgroßmutter, welche den spätesten Enkeln noch von dem Glauben der Väter, von den alten Stammgöttern und Stammhelden erzählt.

Das freie isländische Gemeinwesen ist freilich nach dem Jahre 1000 unter der Einwirkung des vom Mutterlande herübergreifenden Christenthums allmählich zerfallen, und mit der Unterwerfung der Insel unter Norwegen (i. J. 1261) hatte die eigenthümliche Bildung ein Ende, welche auf diesem Eilande während seiner Unabhängigkeit zur Entwicklung gekommen war. Allein es knüpft sich an die Besiedelung Islands durch die Normänner oder Normannen, welcher Name den skandinavischen Völkerschaften gemeinsam, den Norwegern aber par excellence zukam, ein Ereigniß, welches uns berechtigt, etwas weiter auszugreifen. Denn das gemeinte Ereigniß war kein geringeres als die erste Entdeckung von Amerika.

Lange hatte das skandinavische Germanenthum in Dunkelheit und Schweigen verharrt, als wollte dasselbe seine ganze Kraft und Wildheit erst recht concentriren, um sie dann um so furchtbarer über die südlicheren Länder Europa’s, wo der ungeheure Tumult der Völkerwanderung nach und nach endlich zum Stehen gekommen, losbrechen zu lassen. Sowie die Männer des Nordens, die Normänner, vom 8. Jahrhundert an auf der Bühne der Weltgeschichte erschienen, geschah es in der gewaltsamsten Rolle. Zerstörung bezeichnete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_246.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)