Seite:Die Gartenlaube (1863) 248.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Mann mit der Untersuchung des neuaufgefundenen, unermeßlich weithingedehnten Landes, welches er Grönland nannte, das grüne Land. Denn, sagte er, die Leute würden sehr verlangend werden, dahin auszuwandern, wenn das neuentdeckte Land einen so schönen, lockenden Namen führe. Man sieht, der erste Europäer, welcher amerikanischen Boden betrat, hatte schon etwas von einem Yankee an sich. Da unterdessen sein Bann zu Ende gegangen, kehrte er im Sommer von 985 nach Island zurück. Im folgenden Jahre wanderte er förmlich nach Grönland aus und schlug zu Hrattahlid an der vom vorhin genannten Vorgebirge gebildeten Bucht, die er Eriksfjord nannte, seinen Sitz auf. Er hatte auch nicht falsch gerechnet; der Name des „grünen“ Landes bewährte seine Anziehungskraft. Noch in demselben Sommer von 986 langten vierzehn Schiffe mit Einwanderern aus Island in Grönland an, welches dann bis zum Ende des 14. Jahrhunderts eine blühende normännische Colonie gewesen ist.

So war wiederum ein Pfeiler der Brücke gefunden, mittelst welcher die Europäer über das mächtige Thal, in welchem der atlantische Ocean fluthet, nach und nach in die westliche Hemisphäre hinüber gelangen sollten.

Unter den Ersten, welche neben Erik dem Rothen von Island aus Grönland besiedelten, war Herjulf, der Sohn des Bard. Der hatte einen Sohn, Björn oder Bjarne, einen kühnen, gewandten, waghalsigen jungen Mann, welcher frühzeitig ein „Langschiff“ erworben hatte und damit jene im Norden althergebrachten sommerlangen Seezüge unternahm, die im Laufe der Zeit aus reinen Raubzügen allmählich ein Gemisch von Raub- und Handelsfahrten geworden waren. Zur Zeit, als Herjulf von Island nach Grönland übersiedelte, befand sich Björn in Norwegen. Als er im Jahre 1000 heimkehrt, bei der heimischen Insel Anker warf und erfuhr, wohin sein Vater ausgewandert, ließ er sogleich den Anker wieder heben und den Bug des Schiffes westwärts kehren; „denn,“ sagte er, „ich will den Winter über, wie gewohnt, bei meinem Vater herbergen.“

Nun kannte aber weder Björn noch einer seiner Schiffsgesellen das westliche Meer, und sie hatten auch von der Lage von Grönland nur eine sehr unbestimmte Vorstellung. Kein Wunder daher, daß sie, nachdem sie drei Tage lang frisch in den Ocean hineingesegelt, nicht mehr wußten, wo sie sich befanden. Nachdem sie hierauf viele Tage und Nächte hindurch auf der unendlichen Wasserwüste fortgetrieben worden, erblickten sie endlich Land. Aber dasselbe zeigte keine Schneeberge, keine Gletscher, es konnte demnach nicht Grönland sein. Es war auch nicht dieses, sondern vielmehr jener nordamerikanische Landstrich, welcher um Jahrhunderte später den Namen Neu-Schottland erhielt. Björn, des Herjulf Sohn, muß uns demzufolge für den Europäer gelten, welcher das Festland von Nordamerika zuerst erblickt hat. Ganz richtig schließend, daß Grönland nördlicher liegen müsse als das neugefundene Land, schlug er längs der Küste desselben einen nördlichen Curs ein und gelangte am nachmals so benannten Neufundland und Labrador vorüber glücklich zur Südspitze von Grönland und dort zu seines Vaters Behausung.

Falls man Grönland nicht zählen will, ist, wie meine Darlegung ausweist, Björn Herjulfson der erste Entdecker Amerika’s gewesen, und zwar fünfhundert Jahre früher, als der Genuese Colon auf Guanahani landete.

Die Kunde von einem großen neuen Lande im Südwesten, welche Björn nach Grönland brachte, fand dort begierige Hörer, die sich angemuthet fühlten, die gemachte Entdeckung weiter zu verfolgen. Da war vor Allen Erik’s des Rothen, des Patriarchen vom „Grünen Land“, erstgeborner Sohn Leif, welcher ein solches Abenteuer zu wagen brannte, und der stach denn auch wirklich im Jahre 1001 in dem Langschiff Björn’s, welches er diesem abgekauft hatte, mit fünfunddreißig Begleitern in See. Unter seinen Schiffsgesellen befand sich auch, wie zu melden wir nicht vergessen wollen, ein „Südmann“, d. h. ein Deutscher; denn Südmänner hießen die Nordmänner ihre deutschen Stammvettern, wie sie die Bewohner der britischen Inseln Westmänner nannten. Und so war denn ein Deutscher – Tyrker hieß der Mann – mit dabei, als die ersten Europäer den Continent von Amerika betraten.

Leif nämlich und seine Gefährten verfolgten glücklich, aber in umgekehrter Richtung, den Curs des Björn. Sie fanden und berührten zunächst Neufundland, das sie seines Steinreichthums wegen Helluland (Steinplattenland) nannten. Weiter südwärts steuernd fanden sie eine flache, mit Waldungen dicht bedeckte Küste und gaben derselben den Namen Markland (Waldland, heute Neu-Schottland). Und weiter den südlichen Curs haltend, gelangten sie von da mit steifem Nordost binnen zwei Tagen an eine Insel, und das war die Insel Nantucket, die östlich vor dem festen Lande lag und noch liegt. Sie fuhren in die Montaup-Bucht ein und von da in die Mündung des Taunton-River. Eine Strecke flußaufwärts gingen sie an’s Land.

Ich unterlasse nicht, als ein denkwürdiges Zusammentreffen zu erwähnen, daß Leif Erikson und seine Gefährten im Jahre 1001 des Festland von Nordamerika gerade an derselben Stelle zuerst erblickten, nämlich beim Cap Cod, wo der erste Zug der puritanischen „Pilgerväter“, der Gründer der Neu-Englandstaaten und folglich der Vereinigten Staaten von Nordamerika, am 9. November 1620 der westlichen Erdhälfte zuerst ansichtig wurden. Aber der Landungsplatz war nicht derselbe. Denn die puritanischen Insassen der „Maiblume“, in deren Kajüte am 11. November 1620 die erste demokratische Verfassungsurkunde der transatlantischen Welt und zugleich der modernen Geschichte entworfen ward, segelten in die große Bay von Cap Cod ein und warfen in der kleinen Bucht Anker, an deren Gestade sich sofort die Blockhäuser von Neu-Plymouth erhoben, während Leif und seine Gesellen zwischen Nantucket und dem Festland durch und dann, wie schon gesagt, in die Bay von Montaup ein und den Taunton aufwärts fuhren.

Höchst angenehm überrascht und gefesselt durch die Milde des Klima’s, das üppige Wiesengrün, die prächtigen Forste und den Fischreichthum der Gewässer, beschlossen unsere Abenteurer, am Taunton zu überwintern, zogen ihr Schiff an’s Land und blockten Hütten auf. Dann durchstreiften sie die umliegende Landschaft, deren Beschaffenheit zu erkunden. Eines Tages hatte sich unser Landsmann Tyrker von den Uebrigen verloren, fand sich aber bei Einbruch der Nacht wieder zu ihnen, in so freudig aufgeregter Stimmung, daß er ganz vergessen hatte, seine Gefährten verständen kein Deutsch, und dieselben mit Ausrufungen der Freude in dieser Sprache überschüttete. Sie fürchteten schon, der Mann sei närrisch geworden, da fand er aber wieder isländische Sprachlaute und theilte mit, daß er Rebstöcke und Weintrauben in Fülle gefunden. Und dieser Anblick, der den guten Tyrker an die Rebengelände am heimischen Rhein erinnern mochte, hatte die weinselige deutsche Seele in solches Entzücken versetzt. Freilich, es waren selbstverständlich nur wilde Weinranken, und die Trauben – es war gerade die Zeit ihrer Reife – mochten nicht übermäßig süß schmecken. Allein in der Wildniß nimmt man es nicht so genau, und die Gaumen der Nordmänner waren nicht verwöhnt. Genug, Tyrker’s Entdeckung erregte solches Wohlgefallen, daß Leif mit Zustimmung seiner Gefährten dem ganzen See- und Flußgestade den Namen „das gute Weinland“ gab.

Nachdem der Winter vergangen, segelten Leif und seine Gesellen nach Grönland zurück, wo ihm um seines Landfundes willen der Ehrenname des Glücklichen ertheilt wurde. Die Schilderungen der Heimgekehrten vom guten Weinland erregten den Wunsch, dasselbe noch weiter zu erforschen und dann auch zu besiedeln; denn es versprach doch ganz andere Vortheile, als das unwirthliche Grönland. Im folgenden Jahre fuhr zum Zweck weiterer Entdeckung Leif’s Bruder Thorwald mit dreißig Begleitern nach Weinland, wo sie Leif’s Hütten am Taunton richtig auffanden und daselbst überwinterten. Im folgenden und zweitfolgenden Sommer unternahm Thorwald Küstenfahrten in südlicher Richtung, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er bis zu den Gestaden von Maryland vorgedrungen. Der Tod setzte seinen Unternehmungen ein Ziel, denn Thorwald starb in Weinland an einer Wunde, welche er im Kampfe mit den Urbewohnern des Landes erhalten hatte.

Hier sehen wir also die Eingebornen von Amerika zum ersten Mal erscheinen, aber den Beschreibungen der normännischen Abenteurer zufolge waren es keineswegs die kräftigen, schlank und hoch gebauten Rothhäute, wie sie später zu Ausgang des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts von den englischen Einwanderern in diesen Gegenden vorgefunden wurden, sondern es waren „Wichte“ oder „Zwerge“ (Skrälinger, von skrael, klein), wie sie von den normännischen Weinlandsfahrern verächtlich genannt wurden. Wir können uns unter diesen Skrälingern, diesen „Abschnittseln von Menschen“, nur Eskimos denken und müssen also annehmen, daß diese Race zu Anfang des 11. Jahrhunderts den nordamerikanischen Continent viel weiter südwärts hinab bewohnt habe, als heutzutage.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_248.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)