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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

In der Zeit, welche zwischen der ersten Entdeckung Amerika’s durch die Nordmänner und der zweiten durch Colon verstrich, muß demnach in der westlichen Hemisphäre eine großartige Völkerwanderung vor sich gegangen sein. Durch dieselbe müssen Stämme von Rothhäuten aus Centralamerika nordwärts geschoben worden sein, und diese Indianer haben dann ihrerseits die Eskimos bis in die Polarländer zurückgedrängt.

Thorwald’s Schicksal schreckte seine Verwandten nicht zurück, die Besiedelung Weinlands ernstlich in Angriff zu nehmen. Im Jahre 1005 that ein dritter Sohn Erik’s des Rothen, Thorstein, eine Fahrt dahin, allein eine epidemische Krankheit zehntete seine Begleiter und raffte ihn selber weg. Umsichtiger vorbereitet und reicher gerüstet, führte zwei Jahre darauf Thorfinn Karlsefne eine Schaar von 160 Männern aus Grönland nach Weinland. Sie hatten Milchvieh und alles zur Ansiedelung nöthige Zeug und Geräthe bei sich. Auch befanden sich bei der Gesellschaft fünf Frauen, worunter Gudrid, die Gattin Thorfinn’s. Die Stelle am Taunton, wo Thorfinn sein Haus aufblockte und seinen Hof einfenzte, ist genau nachweisbar, weil durch einen mit Runenschrift versehenen Fels bezeugt. Diese zweifelsohne von dem Manne selbst herrührende Rune heißt: „Nam Thorfinns“, d. h. Gut oder Grundstück Thorfinn’s. Hier gebar die Gudrid ihren Sohn Snorre, den ersten Europäer, der auf dem Boden Amerika’s zur Welt gekommen. Der Vater des Knaben wurde durch Tauschhandel mit den Skrälingern ein reicher Mann, gerieth aber später mit den Eingebornen in solche Mißhelligkeiten, daß er für gut fand, im Frühling von 1010 mit seiner Familie nach Grönland zurückzukehren.

Die normännische Ansiedlung am Taunton aber blieb bestehen und dehnte sich aus. Wir wissen, daß nach der Bekehrung der isländischen Colonisten auf Grönland im Jahre 1121 der Bischof Erik von da nach Weinland schiffte, um die dortigen noch heidnischen Ansiedler ebenfalls zum Christenthum herüberzuführen, was ihm auch gelang. Man hat Ursache, zu glauben, daß ein alter Rundbau aus Steinen, getragen von acht schweren Rundpfeilern mit roher Deckplatte, wahrscheinlich eine Taufkapelle, welche noch heute zu New-Port auf Rhode-Island aufrecht steht, von eben diesem Bischof Erik erbaut worden sei.

Von da an aber wird die Kunde von Weinland immer spärlicher und verstummt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ganz. Was aus der dortigen Niederlassung geworden, wie sie untergegangen, ob die Ansiedler ausgestorben, ob sie den Angriffen der Skrälinger erlegen, ob sie nach Grönland zurückgekehrt, Niemand weiß es zu sagen, und selbst die Sage flüstert nicht davon. Es mag das davon herrühren, daß auch Grönland, welches den Verkehr Islands mit Weinland vermittelt hatte, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts plötzlich wieder aus der Geschichte verschwand. Denn damals ist die normännische Colonie auf Grönland in Folge von entsetzlicher Winterkälte, Mißwachs, Hungersnoth und Pest vollständig ausgestorben. Das Land selbst verscholl hinter ungeheuren Eismassen und wurde erst im 16. Jahrhundert wieder aufgefunden.

Dies ist die Geschichte von der ersten Entdeckung Amerika’s ..... Im März des Jahres 1477 kam mit einem Bristoler Stockfischfahrer ein italischer Seemann nach Island, Christobal Colon. Ob der Mann schon damals mit dem Gedanken seines Lebens sich trug, über das große Westmeer hin nach der Küste von Ostasien zu gelangen? Ob er gar vielleicht auf Island durch lateinisch redende Geistliche Kunde erhalten von der normännischen Entdeckung eines neuen Erdtheils südwestlich von der Eisinsel? Möglich, aber kaum wahrscheinlich. Denn erstens treffen wir in den Aufzeichnungen Colon’s nicht die leiseste Spur einer solchen Mittheilung, und zweitens wollte er ja bekanntlich nicht einen neuen Erdtheil, sondern nur einen westlichen Seeweg nach Ostasien aufsuchen und keineswegs ein wildes „Weinland“, sondern vielmehr die goldschimmernden Städte von Katai und Zipangu.




Das Handbuch der Inquisition.

Die Herrschaft der Kirche über die Völker und Staaten so wieder herzustellen, wie sie im „glorreichen“ elften Jahrhundert war, hat sich die Hierarchie seit der Restauration immerdar bemüht. Es ist der fünfte Papst, der seit 1815 die dreifache Krone trägt, und wie verschieden in ihrem Charakter und ihrer weltlichen Politik diese fünf Päpste gewesen sein mögen, die Idee zu verwirklichen, die durch diese dreifache Krone ausgesprochen wird, ist meist ihr Streben gewesen. In vielen Staaten ist es ihnen gelungen, bei den Herrschern den Glauben zu erwecken, daß die Kirche für die weltliche Gewalt eine Stütze sei, die nicht fehlen dürfe, wenn nicht Alles fehlen solle. Nach Heilmitteln gegen die angebliche revolutionäre Krankheit der Zeit überall suchend, wo sie nicht zu finden sind, haben verschiedene Regierungen mit dem heiligen Stuhl Verträge geschlossen, die seine Macht auf Kosten der ihrigen vermehren und dem geistlichen Einfluß, dem Mönchswesen, sogar dem Jesuitismus Thüren und Thore öffnen. Am weitesten geht in dieser Beziehung das österreichische Concordat, das, nicht zufrieden damit, die Kirche zu einem Staat im Staate zu machen, einen Zustand der Dinge vorbereitet, der leicht den Staat der Kirche unterthänig machen kann. Eine Hierarchie im Geist des Mittelalters - das ist das Ziel einer mächtigen und weit verbreiteten Partei, im Protestantismus sowohl wie im Papstthum. Den Völkern sagt man, daß ein weltbeherrschendes Papstthum sie gegen die Tyrannei der Könige schützen werde; den Königen sagt man, daß dasselbe Papstthum, wenn sie mit ihm auf gutem Fuße blieben, ihnen den stummen Gehorsam der Völker sichern werde. Nicht blos in Rom, Madrid und Avignon werden solche Dinge gesagt, sondern auch mitten unter uns. Wahrlich, es gehört Muth, viel Muth dazu, das in Deutschland zu thun, wo das hierarchische System, als der finstere Ferdinand II. es zur Herrschaft erhob, einen dreißigjährigen Krieg entzündete, der zwei Drittheile der deutschen Bevölkerung, zwanzig Millionen Menschen, vernichtete und ganze Provinzen zu Einöden machte.

Nach jenem Kriege stößt man in Oesterreich bis zur Zeit Maria Theresia’s auf eine Kette von Maßregeln der Verfinsterung und brutalen Verfolgung Freidenkender. Es ist der pfäffische Geist, dem die weltliche Gewalt ihr Schwert geliehen hat, der alle diese Gräuel, die Gegenreformation in Böhmen, Mähren und Schlesien, wie das Blutgericht in Eperies hervorgerufen hat. Vereinzelte Aeußerungen blutgieriger Unduldsamkeit sind diese Gräuel nicht, sie entspringen vielmehr einem System, und zwar eben jenem hierarchischen System, das uns neuerdings wieder empfohlen wird. Wie ausgebildet dasselbe war, ergiebt sich aus der Thatsache, daß seine Urheber, die wir in den beiden engverbundenen Mönchsorden der Jesuiten und der Dominikaner suchen müssen, ein Handbuch der Wissenschaft der Verfolgung geschrieben haben. 1558 in Rom als Leitfaden für die geistlichen Gerichte gedruckt, aber sorgfältig geheim gehalten, wurde es von den Jesuiten und Dominikanern zwei Jahrhunderte lang gemeinschaftlich befolgt und 1761 von den ersteren, die eben mit den Dominikanern im Streit waren, im Auszuge veröffentlicht. Die von allen Seiten angefeindeten Väter Jesu verloren in ihrer Wuth die Besinnung und verriethen ein gemeinschaftliches Geheimniß, um der Welt zu zeigen, daß die von Niemand verfolgten Dominikaner ganz eben so schlimm seien, wie sie selbst. Ein französischer Schriftsteller, Michiels, hat sich (in der in Gotha erschienenen deutschen Ausgabe seiner „Geheimen Geschichte der österreichischen Regierung seit Ferdinand II. bis auf unsere Zeit“) das Verdienst erworben, den Hauptinhalt dieses „Handbuchs für Inquisitoren“ wieder bekannt zu machen. Da man heute von gewisser Seite alles Abscheuliche vertheidigt, so hat sogar die Inquisition ihre Vertheidiger, ja ihre Lobredner – Louis Veuillot, die Mitarbeiter der römischen Civilta Cattolica und Andere mehr – gefunden. Wir wollen jetzt die Inquisition aus ihrem eigenen Handbuch kennen lernen und die Mittel zeigen, durch welche die vielgepriesene kirchliche Weltordnung der Vergangenheit von ihren Werkzeugen aufrecht erhalten wurde.

Fast alle Bestimmungen des „Handbuchs für Inquisitoren“ waren auf Befriedigung der Herrschsucht, der Geldgier und der Grausamkeit der Kirche berechnet. Der Inquisitor konnte nicht blos Geldstrafen auferlegen, sondern auch Vermögenseinziehungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_249.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2017)