Seite:Die Gartenlaube (1863) 272.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

erste Cürassierregiment, zu denen Sie so reichliche Beiträge geliefert haben. Diese Notiz über Oberst v. Marschall, aus Melsungen geschrieben, ist von Ihrer eigenen Hand. Schauen Sie (damit hielt er ihm den oben erwähnten Brief vor das Gesicht), können Sie Ihren eigenen Namenszug ableugnen?“

Wie vernichtet stand Herr v. B., die Wucht der Beweise erdrückte ihn fast, doch stotterte er mühsam heraus: „Die Conduitenlisten da auf dem Tische sind nichts als Copien und bedingen keinen Beweis, und was den Brief anbelangt, so habe ich ihn ohne böse Absicht geschrieben, was mir General Allix morgen gern beweisen wird.“

Die Züge seiner Richter verfinsterten sich bei diesen Worten und der Wortführer entgegnete: „Halten Sie uns für so dumm, daß Sie uns mit solchem Gewäsch in die Falle führen wollen? General Allix mag ein ehrenwerther Mann sein, allein als Franzose möchte er Ihre Partei nehmen, da Sie einmal seine schmutzige Wäsche gewaschen haben.“

„Um Gottes Willen, meine Herren, was haben Sie mit mir vor? Soll ich hier heimlich gemordet werden?“ rief der kreideweiß gewordene Junker.

„Nein, morden sicher nicht,“ erwiderte der älteste Officier, „aber hier ist ein junger Mann, der noch ein Wörtchen mit Ihnen zu sprechen hat.“

Der Corporal der Gardejäger trat nun vor, warf einen durchbohrenden Blick auf Herrn v. B. und fragte denselben mit bebender Stimme: „Kannten Sie einen Wachtmeister Hohnemann, den General d’Albignac kriegsrechtlich erschießen ließ? Wurde er nicht durch Ihre Vermittelung in Fritzlar verhaftet? Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

„Barmherzigkeit! Tödten Sie mich nicht! Ich will ja Alles bekennen,“ schrie v. B., dem die Haare zu Berge standen.

„Wir sagten Ihnen bereits, daß wir keine Mörder sind, obgleich ein solcher Spion unter allen ehrlichen Leuten vogelfrei ist, aber Satisfaction müssen Sie diesem jungen Manne geben, dessen nächsten Blutsverwandten Sie verriethen,“ ertönte die tiefe Stimme des Cürassierofficiers.

„Ich mich mit einem Corporal schlagen? das geht ja nicht! Ich, ein Herr aus dem ältesten preußischen Adel, soll mit einem bürgerlichen Unteroffizier die Klinge kreuzen! was würden meine frühern Cameraden dazu sagen?“

„Und ich sage Ihnen, Sie werden sich schlagen, oder Ihr Schicksal trifft Sie hier,“ erwiderte einer der Officiere, indem er einen Strick unter dem Mantel hervorzog und die Pantomime des Hängens machte.

Der Junker schauderte zurück, als wenn ihn eine Schlange gestochen hätte, so sehr hatte diese Drohung auf ihn gewirkt. „Nun, wenn es sein muß,“ stöhnte er, „so will ich Satisfaction geben, aber wie und wo und auf welche Waffen?“ –

„Freut mich der preußischen Armee wegen, daß Sie sich dazu verstehen,“ sagte der ältere Officier, „es ist schon für Alles gesorgt; kommen die Herren nur mit in’s Freie, die Sache wird bald abgethan sein. Aber keinen Fluchtversuch, Herr v. B., das muß ich mir ausbitten.“ –

Eine Minute später schritten die fünf Männer, Herr v. B. in der Mitte, über den vor Frost knirschenden Schnee nach der fest überfrorenen Fulda zu, während aus der nahen Orangeriekaserne die muntern Soldatengesänge erschallten und in der Stadt hoch oben in der Höhe die Glocken das neue Jahr einläuteten. Der Mond schien fast mit Tageshelle und erhellte die Winterlandschaft mit einer solchen Klarheit, daß man fast die kleinsten Gegenstände erkennen konnte. Am Ufer des von der strengen Kälte mit fußdickem Eise überbrückten Flusses angekommen, bemerkte v. B. zwei Sappeure, die auf ihre glänzenden Aexte gelehnt eine große Oeffnung betrachteten, unter welcher die schwarzen Gewässer des Flusses rasch dahinströmten.

„Herr Major,“ sagte der eine, militärisch salutirend, „wir hatten schon gedacht, Sie würden nicht kommen, und waren schon besorgt, daß bei der strengen Kälte das Loch wieder zufrieren würde.“

„Alles recht,“ sagte der Cürassier, „geht nur in Gottes Namen und sorgt dafür, daß hier keine Störung eintritt.“ –

Die Sappeure gingen, scheue Blicke hinter sich werfend. –

„Nun, Herr v. B., und Sie, Herr Corporal, treten Sie vor und entledigen Sie sich Ihrer Überkleider; hier sind die Degen“ – einer der beiden andern Officiere zog deren zwei unter dem Mantel hervor – „hier ein Fünffrankenthaler, Kopf oder Wappen?“

„Kopf!“ rief der Gardejäger, ehe der vor Schrecken halbtodte Junker nur sprechen konnte.

„Der Corporal hat die Wahl, übrigens hat das nichts zu bedeuten, denn die Klingen sind gleich lang und gleich gut. Nehmen Sie Ihre Distanz!“

Es dauerte nicht einen Augenblick, so war der Gardejäger schon auf seinem Stande und hatte sich die Augen finster rollend ausgelegt, nur Herr v. B., der mit unsicherer Hand den ihm zukommenden Degen ergriffen hatte, machte keine Miene anzutreten; seine Kniee schlotterten und seine Zähne klapperten, aber nicht vor Kälte, sondern aus Furcht. Todesangst, Scham und Gewissensbisse erzeugten bei ihm einen Seelenkampf, der seinen Geist umnachtete. Vergebens spähte er nach Hülfe umher, plötzlich wie von einem rettenden Gedanken gepackt, sprang er, einen wilden Schrei ausstoßend, nach vorwärts, aber nicht auf seinen ruhig wartenden Gegner, und verschwand mit einem Satze durch die in das Eis gehauene Oeffnung in den Wellen der ruhig dahinfließenden Fulda. Der Sprung war so schnell und überraschend geschehen, daß keiner der Anwesenden ihn daran hindern konnte, auch tauchte er nicht wieder auf, da ihn die Strömung augenblicklich unter die Eisdecke führen mußte. Bestürzt schauten sich die Officiere an, und dem eben noch so furchtlosen Chasseur fiel der Degen rasselnd aus der Hand. –

„Den hat Gott gerichtet, meine Herren,“ sagte der Cürassierofficier, „lassen Sie uns ein Vaterunser beten“ – – –


Trotzdem daß alle Spuren des unglücklichen Ereignisses mit vorsichtiger Hand vertilgt waren und daß die strenge Kälte schon am nächsten Morgen das nasse Grab mit einer festen Eisdecke geschlossen hatte, tauchten doch nach einiger Zeit in Kassel über das Verschwinden des Herrn v. B. Gerüchte auf, welche der Wahrheit mehr oder minder nahe kamen. Dem Polizeiminister waren einige Indicien zu Ohren gekommen, die ihn bewogen, zum Könige zu gehen, um sich Verhaltungsregeln zu holen. Dieser hörte ihn ruhig an und sagte dann gelassen: „Man liebt den Verrath und haßt den Verräther.“ –

Die einzige Folge war, daß die Betheiligten in entfernte kleine Garnisonen versetzt wurden, wo sie bis zu dem Ausbruche des russischen Krieges lebten, in welchem Alle, bis auf Einen, dem wir diese Geschichte verdanken, den Tod fanden. –


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_272.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)