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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

das thun? Für die Andern? Was gehen die mich an … die sollen selber für sich sorgen! Oder für die Kordel? Für eine Person, die mich gehaßt, die mich veracht’ hat, wie eine Krott (Kröte) am Weg?“

„Und die durch Dich elend zu Grund ’gangen ist! Und wenn sie Dich veracht’t hat, hat sie nit Recht gehabt? Bist Du nit einem Jeden in der Ramsau zuwider, daß sie sich abwenden und ausspucken, wenn sie Dir begegnen? Aber wenn’s Dich wurmt, so zeig, daß sie Dir Unrecht thun – zeig’s, daß Du den Haß und den Abscheu nit verdienst … thu, was recht ist vor Gott und Deinem Gewissen, und schau’, ob die Leut dann nit anders von Dir denken …“

Der Bursche erwiderte nichts; er hatte die Hände vor’s Gesicht geschlagen.

„Du sagst, die Kordel hat Dich gehaßt,“ fuhr Evi dringender fort, „aber einmal – das weißt Du selber am besten, einmal hat sie Dich geliebt, und ein Herz, wie das ihrige gewesen ist, das kann nur einmal lieben und vergißt die Eine Lieb’ niemals mehr! Die Wurzel steckt noch in der Erden – und wenn Du das Unkraut hast wachsen lassen über der Lieb’ zu Dir … reiß’ es aus, Quasi, daß das zarte Pflanzel wieder Luft kriegt und Licht – mach’ daß sie Dich wieder gern haben kann … in der Ewigkeit …“

Quasi regte sich nicht, aber seine bebenden Hände zeigten, was in ihm vorging.

„Nit wahr, Du willst es thun?“ rief Evi wieder. „Ich darf sagen, was Du mir anvertraut hast? Ich darf’s allen Leuten sagen?“

Der Bursche schauderte wie zuvor. „Das Zuchthaus,“ murmelte er bewegt, „das ist ein schreckliches Wort und eine noch schrecklichere Sach’ … aber es wird nit lang dauern, hoff’ ich … Thu’ was Du willst, Evi – ich will machen, daß ich einmal der Kordel die Antwort nicht schuldig zu bleiben brauch’ …“

„O Du lieber Himmelvater da droben!“ rief Evi aufjauchzend, „wie soll ich Dir danken! Vergelt’s Gott tausendmal, Quasi – Du wirst es gewiß nit bereu’n!“ Fast außer sich, athemlos und wankend, eilte sie hinaus auf den Friedhof. „Kommts her,“ rief sie, „Herr Brigadeer – Bühelbauer … Alle kommt’s daher … es giebt eine große Neuigkeit und eine große Freud’ … Der Bühelbauern-Mentel ist unschuldig! Da in der Beinhauscapellen drinnen ist der Quasi … er hat’s mir eingestanden – er ist’s gewesen, der den Jäger-Gaberl selbigesmal gestochen hat in der Wimbachklamm … führt ihn auf’s Landgericht – er hat’s versprochen, er will Alles sagen …“

Sie mußte erschöpft innehalten. Der Brigadier, in seinem Geschäfte gewandt, hatte schon Quasi, der aus dem Beinhause hervorgetreten war, am Kragen und forderte die Bestätigung der überraschenden Angabe. Quasi sah ihn gelassen an, streckte die Hände hin und sagte: „Bind’ts mich nur – ich hab’s gethan und ich will haben, was mir gehört …“ Der alte Bühelbauer sagte nichts; ihm vergingen die Augen, und die ebenfalls herbeigeeilten Bauernweiber mußten den Zusammensinkenden wegführen – dem Leide hatte das starke Herz Stand gehalten, unter der Wucht der Freude drohte es zu erliegen.

Evi blieb allein auf dem Friedhofe zwischen den Gräbern der Bühelbäurin und Kordel’s. „So ist es doch gekommen, wie sie gesagt hat!“ rief sie. „Das selbige Gewölk hat’s wirklich an den Tag gebracht, und die Unschuld ist wieder gefunden, wie etwas was verloren und begraben gewesen ist im Schnee – das habt Ihr Zwei miteinander erbitt’ bei unserm Herrgott im Himmel!“



6. Wie im Himmel.

Wenige Wochen später war eine Feierlichkeit in der Ramsau, wie das stille Thal sie noch nicht schöner und freudiger gesehen hatte. Obwohl es nicht roth im Kalender stand und auch kein abgeschaffter Feiertag eine Ausrede bot, die Arbeit liegen zu lassen, ruhten doch auf allen Höfen die Hände und Ackerwerkzeuge; desto mehr hatten die Füße zu thun, denn bei der Todtencapelle am Berchtesgadner-Sträßchen schien schon die gesammte Bevölkerung des Thals versammelt zu sein, und noch nahmen die Fußgänger und Fußgängerinnen kein Ende, welche von allen Seiten herbeiströmten. Unweit der Capelle war aus Tannenreisern ein Bogen über die Straße gespannt und mit Bändern und Papierstreifen geziert, wie man zu thun pflegte, wenn etwa ein neuer Vicar in die Berggemeinde einzog, oder wenn gar aus dem benachbarten Berchtesgaden, seinem Lieblingsaufenthalte, König Max der Gütige zum Besuche hereinkam oder auf die Gemsjagd fuhr an den Hintersee.

Mentel wurde zurückerwartet; dem unschuldig Verurtheilten und nun Gerechtfertigten bereitete das Landvolk den festlichen Empfang.

In gedrängten Gruppen umgab es den Lehrer und den Brigadier, welche erzählten, wie Quasi wirklich Alles aufrichtig und vollständig eingestanden habe; wie da das Verfahren schnell zu Ende geführt und dem Mentel seine Freiheit angekündigt werden konnte. Der alte Bühelbauer stand seitwärts neben dem Herrn Vicar; er trug den Nacken wieder so gerade wie sonst, als sei er noch einmal jung geworden, und sprach leise und angelegentlich mit dem geistlichen Herrn und überhörte darüber beinahe, daß ein Wägelchen die Straße heranrasselte. „Er ist’s!“ schrie es. „Er kommt. Grüß’ Gott, Mentel, grüß’ Gott daheim in der Ramsau!“ und Alles drängte nach dem Wagen, daß Mentel kaum abzusteigen vermochte. Auch der alte Bauer wollte zum Wagen hin, aber er hatte sich doch in seiner Kraft getäuscht – es ging ihm wie damals auf dem Friedhofe und er wäre umgesunken, hätten ihn nicht Mentel’s Arme gehalten.

Vater und Sohn hielten sich umschlungen – lang und schweigend, ein solches Wiedersehen hat seine Sprache nur in Thränen, und auch gar Manchem im Umstand wurden die Augen feucht. „Vater – Vater!“ war endlich Alles, was Mentel herausbrachte, und der Alte konnte unter Schluchzen nichts Anderes erwidern als: „Daß das die Mutter nit erlebt hat … aber sie ist gestorben im Glauben an Deine Unschuld!“

Der Vicar benutzte den Augenblick, um in einer kurzen Anrede an seine letzte Grabpredigt anzubinden, und wie eine feierliche Bestätigung von oben klang es, als von der Kirche her die Glocken in seine Mahnung ertönten, wie der Herr sein ewiges Wort erfülle und kein Haar vom Haupte des Menschen fallen lasse ohne sein Wissen. Am Schlusse hieß er den dem Leben und der Gesellschaft Wiedergebenen willkommen und forderte ihn auf, den ersten Gang keinen andern sein zu lassen, als den zum Dankgebet in die Kirche.

Das gesammte Volk schloß sich an und drängte in das Gotteshaus, durch das bereits die Orgel erscholl. Durch die Grüßenden alle schritt Mentel an des Vaters Seite zu dem gewohnten Platz; er grüßte und dankte wieder, aber dem Alten entging es nicht, daß sein Blick dennoch wie irrend durch die Menge glitt, als suche er ein vermißtes Angesicht. Er wandte sich einem alten Nachbar zu und sagte ihm etwas in’s Ohr, worauf dieser kopfnickend und mit schlauem Lächeln die Kirche verließ.

In der Ledermühle war indessen Evi einsam gesessen und wehrte der Müllerin die Fliegen ab, die todeskrank und schwach auf einigen Kissen auf der Ofenbank lag und eingeschlafen war. Das arme Mädchen hatte einen harten Kampf gekämpft. Als Mentel’s Befreiung und seine Wiederkehr in die Heimath entschieden war, hatte sie keinen Augenblick mit dem Entschlusse gezögert, das Thal zu verlassen; es sollte nicht den Anschein haben, als wollte sie ihm wieder begegnen und frühere Beziehungen anknüpfen – es sollte das um so weniger, als der alte Bühelbauer seit der neuen Wendung der Dinge sich um sie gar nicht gekümmert und, in seinem Grolle verharrend, sie nicht einmal eines dankenden Wortes gewürdigt hatte. Dennoch hatte die Ausführung dieses Vorsatzes sich Tag um Tag verzögert, denn die von Kordel übernommene Verpflichtung lag ihr nicht minder warm am Herzen, und sie konnte es nicht über sich bringen, den hülflosen Blöden in seinem gesteigerten Stumpfsinn und das arme Weib zu verlassen, das sich in innern Vorwürfen und unausgesprochenem Grame verzehrte. Sie mußte jedenfalls so lange bleiben, bis eine taugliche und verlässige Person gefunden war, welcher man die Ledermühle und ihre unglücklichen Bewohner ruhig anvertrauen konnte, und eine solche war bei den bestehenden Verhältnissen nicht leicht zu finden. Endlich war eine Wahl, wenigstens zur Aushülfe, getroffen, und Evi hatte den Bitten der Müllerin so weit nachgegeben, daß sie in einiger Zeit wieder zu kommen versprach. Bis dahin durfte sie glauben, daß die Dinge auf dem Bühelhofe sich geändert haben würden, so daß ihrer Rückkehr, wenn sie dann noch nöthig war, nichts mehr entgegen stand. Darüber war der Tag herangekommen, an welchem Mentel’s Rückkehr erfolgen sollte und eine Zögerung nicht mehr möglich war. Die neue Wirthschafterin war noch in’s Dorf zum Krämer hinabgelaufen und kam immer noch nicht zurück; ängstlich, mit hochklopfendem Herzen trat Evi an’s Fenster und hörte das Glockenläuten, dessen Deutung sie nur zu wohl verstand. Endlich sah sie die Alte gegen die Mühle herankommen und ergriff hastig den schon bereit liegenden Wanderbündel. Die Müllerin schlief noch immer. Evi ließ die Alte, die von den Ereignissen im Dorfe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_279.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)