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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

voran, und hinter ihnen kamen die Kinder, besonders die Mädchen in der festlichen Kirchentracht mit weißen Kleidern und offnen Haaren, durch das ein rothes Band geschlungen ist oder ein grüner Zweig.

Mentel zog seine überglückliche Braut an sich; sein Herz war so voll von Dingen, die er ihr alle zu sagen hatte, daß er aus Ueberfülle wortarm wurde wie sie. „Also gehörst jetzt mein, wirklich und wahrhaftig mein?“ flüsterte er. „Und dasselbe Zetterl, das ich gefunden hab in der bösen Nacht – es ist doch von Dir gewesen und für mich? Weißt Du die drei Buchstaben noch? Der dritte – der heißt Rosenrot. …“

„Ich will Dich lieben bis in Tod …“ erwiderte Evi und sank ihm an die Brust.

Die Hochzeit auf dem Bühelhof fand bald statt; sie war ein Fest nicht nur für die Bewohner des Gehöftes, sondern für jene der ganzen Ramsau – ein Fest, dem reine schöne Tage folgten, denn mit dem schwergeprüften Paare war fortan das Glück, und sie führten, nach der Bezeichnmtg des Volks, ein Leben „wie im Himmel!“

Quasi ertrug das Zuchthausleben nicht lang: er starb nach wenigen Monaten. Die Müllerin war ihm vorangegangen, von Evi bis zum letzten Athemzuge mit der Sorgfalt einer liebenden Tochter verpflegt. Die einsame Ledermühle wurde verkauft und der blöde Alte auf dem Bühelhofe untergebracht; aber er war fremd dort und wollte nicht bleiben – eines Morgens wurde er todt auf Kordel’s Grab gefunden.

Von dem Jäger kam keine Kunde mehr in’s Land; nach vielen Jahren kam ein landfremdes unbekanntes Weib und hing in der Kapelle am Kunterweg neben dem Altar einen Hirschfänger auf, wie die Jäger sie zu tragen pflegen. Sie war weit hergekommen deswegen und hatte, wie sie sagte, das letzte Gelöbniß eines Sterbenden damit erfüllt – diesen selbst nannte sie nicht, aber das Volk glaubte ihn zu errathen.

In der obern Stube des Bühelhofes hing Mentel’s Stutzen; darunter in einem immer frisch erhaltenen Kranze von Alpenrosen und Edelweiß eine unvollendete Farbenskizze aus Reinthaler’s Rücklaß, die fröhliche Gesellschaft darstellend, die sich einmal auf dem Scharten-Kaser zusammengefunden. Oft standen Mentel und Evi davor und dachten der edlen Todten, und wie von Allen ihnen allein das Leben sich entfaltet hatte zu Blüthen der Liebe und des Glücks. „Wir wollen Gott dafür danken alle Tag!“ sagte dann der junge Bauer, sein Weib an sich drückend, „aber wahr ist es halt doch geblieben, was ich damals gesungen hab’:

Denn Almenrausch und Edelweiß,
Die g’hören dennerscht z’samm!“




Wilhelm von Humboldt.

An einem jener herrlichen Octobertage, an denen das letzte Jahr so reich war, stand ich vor der Begräbnißstätte der Familie von Humboldt in Tegel. Dieselbe gleicht durchaus nicht den prunkvollen Erbbegräbnissen anderer adliger Familien, welche ihr Angedenken in Marmor und Erz zu bewahren und zu verherrlichen suchen. Keine gotische Kapelle, kein griechischer Tempel erhebt sich hier stolz und anspruchsvoll und bezeichnet den Ort, wo die „Edlen“ ruhen, dennoch ergreift uns Ehrfurcht beim Anblick dieses wirklichen Friedhofes, über den sich nur Gottes blauer Himmel wölbt. Eine schattige Lindenallee führt uns von dem Schlosse Tegel zu einem höher gelegenen Tannenwäldchen, in dessen Mitte sich ein großer grüner Rasenplatz, mit Blumen und Sträuchen bepflanzt, ausbreitet. Ein eisernes Gitter schließt das Viereck ein, welches die heilige Menschensaat beschützt; nicht das Kreuz, das nur zu oft mißverstandene Symbol des Glaubens, sondern die Marmorstatue der „Hoffnung“, von Thorwaldsen’s Künstler- und Freundeshand gebildet, blickt von hoher Säule auf die theuren Gräber nieder, welche durch keine rühmenden Inschriften, sondern nur durch die Namen der großen hier ruhenden Todten hinlänglich bezeichnet und vor Vergessenheit geschützt werden. Ein unaussprechlicher Zauber ist über das Ganze ausgegossen, ein Geist des Friedens und, fast möchte ich sagen, griechischer Heiterkeit mit classischer Ruhe und Würde vereint. Eine grüne Bergwand, die den Hintergrund bildet, wehrt den rauhen Stürmen und wacht über die heilige Stille des Todes. Die Strahlen der untergehenden Sonne lassen das Marmorbild der Hoffnung in rosig goldenem Lichte glühen, während der Abendwind leise durch die Gipfel der alten Bäume des Parkes rauscht und die herbstlich gefärbten Blätter auf die epheuumrankten Gräber streut.

Das ist die Begräbnißstätte der Familie Humboldt; hier ruhen Wilhelm und Alexander, die geistesverwandten Brüder, die Dioskuren deutscher Wissenschaft.

Kehren wir von dem Friedhofe zu dem Schlosse zurück, das nach den Plänen Schinkel’s 1822 erbaut worden ist, so begegnen wir auch hier überall den Spuren des Genius und seinem unvergänglichen Walten. Griechischer Geist spricht aus der mit dorischen Säulen geschmückten Halle, aus den Reliefs und Marmorbildern an den Wänden. Wir wenden uns zunächst nach dem Studirzimmer Wilhelm’s von Humboldt, das rechts zur ebenen Erde liegt. In der Nähe des Fensters, durch welches das freundliche Grün der Bäume blickt, steht der massive Schreibtisch von Mahagoniholz, woran der Weise so manche dunkle Nacht durchwacht und des Wissens Schätze gefördert. Hier schrieb Wilhelm von Humboldt in ehrenvoller Muße seine Forschungen über die Kawi-Sprache und jene Sonette, die verschwiegenen Blüthen seines Herzens, umgeben von den schönsten und erhabensten Kunstwerken des Alterthums und der Gegenwart, antiken Statuen, Copien Rafael’s und Zeichnungen und Arbeiten von Thorwaldsen. Dicht neben diesem Arbeitszimmer befindet sich das kleine, höchst einfache Schlafcabinet, worin Wilhelm von Humboldt, der berühmte Staatsmann und Gelehrte, am 8. April 1835 starb.

Wilhelm von Humboldt, der Sohn des Majors und Kammerherrn Alexander Georg von Humboldt, aus altadeligem Geschlecht, wurde am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren. Seine Mutter war Marie Elisabeth Colomb, verwitwete Frau von Hollwede, welche die Güter Riegenwalde in der Neumark, Falkenberg und Tegel erbte. Da der Vater frühzeitig starb, ruhte die Last der Erziehung ihrer beiden Söhne allein auf den Schultern der Wittwe. Sie sorgte dafür in wahrhaft ausgezeichneter Weise, indem sie ihnen den berühmtesten Pädagogen der damaligen Zeit, den bekannten Kampe, Verfasser des Robinson, und später den kenntnißreichen Botaniker Kunth zu Lehrern gab. Ehe die Brüder die Universität besuchten, war es ihnen noch vergönnt, in Berlin den Vorlesungen eines Dehm über politische Statistik, des bedenkenden Rechtskundigen Klein über Naturrecht und vor Allen dem Unterrichte des berühmten Philosophen Engel beizuwohnen. Wichtiger noch als diese wissenschaftlichen Grundlagen war der Umgang und die Freundschaft, deren die strebsamen Jünglinge von Männern wie Biester, Ramler, Moritz, Teller, Friedländer und Herz gewürdigt wurden, den Geistesverwandten, Schülern und Freunden eines Lessing und Mendelssohn, den Trägern jener humanen Aufklärung, die mit Friedrich dem Großen den Thron bestieg und Berlin zur Stadt der Intelligenz erhob. Vor der Einseitigkeit dieser bloßen Verstandesrichtung wurde Wilhelm von Humboldt durch den Verkehr mit liebenswürdigen Frauen und besonders mit der schönen Hofräthin Henriette Herz behütet, bei denen das Gemüth seine volle Rechnung fand. Im Kreise dieser Freundinnen herrschte bereits jene sentimentale Richtung der Siegwart-Periode vor, die in Goethe’s Werther später ihren poetischen Ausdruck fand. Es bildete sich eine Art Tugendbund der „empfindsamen Seelen“ mit besonderen Statuten, Zeichen und geheimen Chiffern für die Eingeweihten, die mit einander correspondirten und das vertraute Du bei ihren gegenseitigen Herzensergüssen gebrauchten.

Unterdessen war die Zeit herangerückt, wo die beiden Brüder mit ihrem Hofmeister Kunth die Universität in Frankfurt a. d. O. bezogen, welche sie nach kurzem Verweilen mit der berühmteren in Göttingen vertauschten, wo Wilhelm von Humboldt neben juristischen Collegien besonders Philologie bei dem berühmten Heyne hörte. In seinem Hause lernte Humboldt dessen geistreiche Tochter Therese und ihren späteren Gatten, den genialen Naturforscher Forster kennen, mit dem ihn, wie mit dem berühmten Geschichtsforscher Johannes von Müller und dem bekannten philosophischen Dichter Jacobi, bald die innigste Freundschaft verband.

Ein so reichhaltiges Leben mußte notwendiger Weise einen bedeutenden Einfluß auf den Bildungsgang des Jünglings üben, dessen Geist im Umgang mit den hervorragendsten Männern seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_281.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)