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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

kaum die ersten Anfänge zeigte. Einige Zeit darauf sah ich die Menagerie und diese Löwen in Leipzig wieder, aber leider das Männchen sehr verändert. Zwar hatte sich seine Mähne etwas entwickelt, aber das ganze Thier war diesmal wirklich ein Krüppel geworden; der Rücken war krumm, die Vorderbeine waren nach außen gekrümmt, wie die eines Dachshundes, und die sonst so schöne Haltung des Löwen war in eine gebückte, lebenssatte umgekehrt. Ich will sein Aussehen nicht weiter beschreiben, es war zu traurig, und natürlich konnte wohl nur die enge Käfighaft die Hauptursache dieses Zustandes sein, wenngleich die Löwin gesund und kräftig geblieben war. Dies mochte auch des damals als Major-Domus fungirenden Wärters Angelo Ansicht sein, und um dem Löwen mehr Gelegenheit zur Bewegung zu geben, entschloß er sich, das kranke Thier aus dem Käfig heraus und – auf den ersten Platz zu nehmen. So kam es, daß, als ich eines Morgens in die Menagerie kam, ich zu meinem Schrecken auf dem sonst ganz leeren ersten Platz den Löwen kauern sah, blos an einen Strick gebunden. Der hinzukommende Angelo beruhigte mich aber gleich und führte mich an der Hand bis dicht an den Löwen hin. In der That fiel es dem armen Thier nicht ein, Jemandem etwas zu Leid zu thun, er versuchte höchstens einige Schritte zu machen, um sich ächzend gleich wieder hinzusetzen.

Das Rührendste nun dabei war die Löwin. Gerade ihrem bisher gemeinschaftlichen Käfig gegenüber war der Löwe angebunden, so daß sie ihn von ihrem Wagen herab immer vor Augen hatte: Dumpf und in ganz eigenthümlicher Weise knurrend ging sie unaufhörlich in ihrem Behälter auf und ab, immer den Blick auf ihren armen Gefährten gerichtet. Manchmal blieb sie stehen, um, den Kopf an das Gitter gedrückt, ihre Augen noch mehr auf dem fast Halbtodten haften zu lassen. Es schien, als wäre ihr erst jetzt das Bewußtsein seines traurigen Zustandes gekommen, da sie ihn in fast völliger Freiheit sah und doch außerstand, dieselbe zu benutzen. Sie wollte brüllen, aber es blieb ein bloßes Stöhnen, kurz das ganze Benehmen des Thieres zeigte eine solche Theilnahme an dem Zustande des Gefährten und zugleich eine solche Sehnsucht, wieder mit ihm zusammen zu sein, daß ich über diesen Anblick fast vergaß, in wessen Nachbarschaft ich mich befand. Der Zustand des Löwen war übrigens ein unrettbarer. Zwar gab sich Angelo alle Mühe mit dem Thier und führte es, wie er mir erzählte, in der Nacht sogar im Freien umher; der Löwe wird aber wohl bald verendet sein.

Von dieser traurigen Scene mich trennend, will ich mich dem Löwenpaar zuwenden, dessen Portraits diesen Zeilen beigedruckt sind. Es waren dies zwei in der Kreuzbergschen Menagerie befindliche prachtvolle Thiere von wahrhaft königlicher Haltung und ungebrochenem Muth. Eine fast ganz schwarze nur an den Backen hellere Mähne bedeckte nicht blos Hals, sondern auch Schultern des Männchens, sich dann noch breit am Bauch desselben hinziehend; es ist dies die Tracht der südafrikanischen Race. Und doch, sollte man es meinen, erschien dieser Löwe, bei aller Pracht seiner imposanten Erscheinung, einmal in einer höchst komischen Situation. Es geschah dies bei der Reinigung des Käfigs. Bei derselben dient ein langstieliger Besen, dessen Handhabung auch der Löwe gewöhnlich ruhig mit ansah. Einmal fiel es ihm aber doch ein, die Sache nicht zu dulden. Mit einem Sprunge packte er den Besen und riß ihn dem Wärter aus der Hand. Sehr oft zersplittern in einem solchen Fall die Thiere den eroberten Gegenstand; unser Löwe aber, als er sah, daß man ihm den Besen wieder abjagen wollte, nahm denselben in den Rachen und wandelte nun mit stolzerhobenem Haupte, seinen Besen im Maul und mit demselben überall anstoßend, unaufhörlich im Käfig hin und her, so daß über diesen komischen Anblick selbst das Menageriepersonal, welches sonst nicht sehr empfänglich für dergleichen ist, herzlich lachen mußte. Später, als er den Beweis hinreichend geliefert hatte, daß er sich die freie Verfügung über den Besen gewahrt, ließ er sich denselben gutwillig wieder abnehmen.

Wie überhaupt im Leben das Tragische und Lächerliche oft hart nebeneinander liegt, so ist es auch hier. So erinnere ich mich einer gleichfalls sehr komisch abgelaufenen Begebenheit in der Liphard’schen Menagerie, wenn auch da die Löwen nicht selbst die komische Rolle spielten. Von zwei sehr schönen, einer seltenen Art angehörigen, langschwänzigen Papageien war der eine aus seinem Bauer entflohen und flog nun in der Bude umher. Ich war ganz allein und rief schnell den Wärter, aber gerade in demselben Augenblick, als derselbe herbeikam, flog der Papagei an das Gitter der beiden südafrikanischen Löwen, welche, erst ruhig daliegend, sofort auf den Vogel losstürzten. Dieser ließ aber schnell genug das Gitter los und rettete sich auf das davor angebrachte Bret, an welchem die Lampen aufgehängt wurden, während die Löwen dastanden und ihn gierig anglotzten. Der Wärter, um nun den Papagei zu fangen, stieg langsam, damit er den Vogel nicht verscheuche, auf die Schranke, welche den ersten Platz von den Thieren trennt, und ich hielt ihn dabei. Leise richtete er sich auf, streckte den Arm aus und plötzlich packte er den Papagei fest am Schwanz. Er hielt ihn auch wirklich ganz fest – den Papageischwanz nämlich, während der Vogel selbst, der wahrscheinlich wußte, daß derselbe ihm wieder wachsen würde, kreischend und unbeschwänzt fortflog, wobei er einer ganz andern Art anzugehören schien. Die nachschauenden Löwen, das verblüffte Gesicht des jugendlichen Wärters und das sehr lebhafte des eintretenden Herrn Liphard bildeten dabei eine sehr interessante Abwechselung.

Ich sprach schon im Eingang von den zwei Löwen, welche man im vorigen Jahre für den Dresdener zoologischen Garten kaufte, um nur das Publicum zu befriedigen. Dieselben gehörten zu einer Sammlung blos afrikanischer Thiere, welche Herr Casanova, der Besitzer des früheren in Moskau abgebrannten Affentheaters, persönlich aus Afrika geholt hatte. Außer Giraffen, einer Masse gefleckter Hyänen, einem echten afrikanischen Elephanten (dem ersten nach Deutschland gekommenen), vielen Leoparden etc. fehlten auch Löwen nicht, und zwar waren es lauter junge Thiere. So war ein noch ganz kleiner Löwe, als Herr Casanova auch in Leipzig sich aufhielt, mit einem noch kleineren Leoparden und vier etwas größern Hyänen zusammengesperrt. Es war immer Krieg unter der Gesellschaft, und zwar hielten es Löwe und Leopard miteinander. Dem letzteren, dem das Kauen noch sehr schwer wurde, wollten die Hyänen immer sein Fleisch entreißen, wobei aber der junge Löwe kräftig für den Bedrohten eintrat. Das kreischende, widerwärtige Geschrei der Hyänen, vermischt mit dem Knurren ihrer Feinde, bildete dabei eine schauerliche Musik.

L.



„Wie er die Kirche schwänzt und die Mess’“ –
(Hierzu die Abbildung auf dem ersten Bogen dieser Nummer.)

Diese Sünde hat schon den Capuziner in Wallensteins Lager in Feuereifer gebracht, und so ist’s nach ihm Tausenden seiner weißen, braunen und schwarzen Collegen ergangen. Alle Achtung vor den Strafpredigten dieser geweiheten Herren, aber eine Frage ist’s dennoch, ob die Rede, welche soeben vom Munde der jungen und alten Frauen unseres Bildes zu strömen theils beginnt, theils droht, der des zornsprudelndsten Capuziners im Geringsten nachstehen wird. Denn etwas so Abscheuliches, als hier geschehen, wo drei Bauern ihren braven Weibern wahrscheinlich an der Kirchthür untreu geworden sind und sich in’s Wirthshaus geschlichen haben, um die Stunde des Gottesdienstes mit einem offenbar heillosen fremden Stromer bei Bierkrug und Kartenspiel zu verbringen, – etwas so Abscheuliches macht die Zungen der Gerechten feurig.

Der erste Blick auf die vorliegende Situation der Betheiligten überzeugt uns, daß hier der Capuziner die Wette verlieren würde, denn nicht auf dem gemüthlichen Gebiete des Wortspiels treibt sich die schöne Rede unserer erzürnten Frauen umher, sondern mit der Geradheit und Schärfe des Schwerts fährt sie auf die verblüfften Opfer los. Seht nur die hübsche Junge! Ist es schon die Gattin, oder ist es noch die Braut des jungen Bauern, der in größerer Verlegenheit sich noch nie seine Pfeife gestopft hat? Er sieht schwerlich, was er soeben verrichtet, denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_286.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)