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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

den Weltstädten, kann es sich in keiner Hinsicht vergleichen. In Folge seiner überaus glücklichen Lage an einer tiefen, den größten Seeschiffen leicht zugänglichen Wasserstraße, und vermöge der reichen Mittel, über die es zu verfügen hat, kann und wird es aller Wahrscheinlichkeit nach dereinst auf dem europäischen Continente eine ähnliche Rolle spielen, wie sie London so lange schon für das britische Inselreich zugefallen ist.

Wie sehr die Bedeutung Hamburgs als Welthandelsstadt in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, zeigt ein einziger Blick in die Tabellen, welche alljährlich mit großer Gewissenhaftigkeit von dem handelsstatistischen Bureau veröffentlicht werden. Da finden wir, daß im Jahre des verhängnißvollen großen Brandes, also 1842, die Hamburger Rhederei 214 eigene Seeschiffe zählte mit einer Tragfähigkeit von 17,000 Commerzlasten, immerhin eine

Das Seemannshaus.

stattliche Handelsflotte für eine kleine Republik von wenig über 200,000 Einwohnern. Zwanzig Jahre später, d. h. am Schlusse des Jahres 1862, war die Zahl der Hamburger Seeschiffe mit Inbegriff der Dampfschiffe auf 506 gestiegen, mit einer Tragfähigkeit von zusammen 69,000 Commerzlasten! Es giebt schwerlich eine zweite Stadt in Europa mit so geringem Territorium, die sich eines so gewaltigen Aufschwunges in Bezug auf eigene Verkehrsmittel in so kurzer Zeit rühmen kann.

Diese Marine bemannt Hamburg großenteils mit seinen eigenen Söhnen. Es ist wenigstens Thatsache, daß auf hamburgischen Schiffen an eingeborenen Kapitänen, Steuerleuten und Matrosen zusammen 6000 Personen dienen. Zu diesem stattlichen Contingent von eingeborenen Seeleuten kommen an fremden, welche mit nach Hamburg bestimmten Schiffen einlaufen, jährlich etwa noch 50.000 hinzu, von denen die Mehrzahl wochenlang daselbst lebt und während der Zeit ihres Aufenthaltes geeignetes Unterkommen beansprucht.

In früherer Zeit ergaben sich eine Menge Individuen dem Seemannsleben, die zu andern bürgerlichen Beschäftigungen keine rechte Lust hatten. Auf der See konnte man allerhand Abenteuer erleben, im unglücklichen Falle allerdings darin umkommen, im glücklichen aber auch nach einer Reihe unter Mühen und Strapazen aller Art verbrachten Jahren als gemachter und wohlhabender Mann zurückkommen. Damals bildete häufig die Praxis allein schon, verbunden mit tüchtigen Anlagen und gutem Willen, brauchbare Seeleute. Mit der fortschreitenden Bildung, welche von einem guten Schiffscapitain eine Menge gründlicher Kenntnisse verlangt, ist das anders geworden. Kein der Seefahrt Beflissener kann jetzt eine Stelle als Steuermann erhalten, ohne vorher eine Zeit lang die Navigationsschule besucht und seine Befähigung zur Uebernahme eines so schweren und wichtigen Postens im Steuermannsexamen erhärtet zu haben.

Mit dem erwähnten großen Aufschwunge der Hamburger Rhederei und dem damit nothwendig verbundenen größeren Bedarf an Seeleuten machte sich der Mangel eines Verkehrsmittelpunktes für dieselben, wenn sie kürzere oder längere Zeit am Lande verweilen mußten, immer fühlbarer. Die von Alters her bis auf den heutigen Tag den Seeleuten bequem gewordene Art sich einzulogiren zeigt mancherlei Schattenseiten, obwohl sie ohne Zweifel von der Mehrzahl der fremden Matrosen noch lange beibehalten werden dürfte. Für den Matrosen war und ist noch der Schlafbaas Herbergsvater, Speisewirth und Zahlmeister in einer Person, wenn es verlangt wird. Er sorgt wohl auch dafür, daß seine Einlogirer und Pfleglinge eine neue Heuer bekommen, wenn sie abgemustert worden sind. Kurz, ein erfahrener Schlafbaas ist sorgloser, leichtlebiger Seeleute unentbehrliches Factotum. Nur für die Vermehrung nautischer Kenntnisse seiner Einlogirer sorgt der Schlafbaas schwerlich, wie er sich auch kaum um das Treiben derselben bei Tag und Nacht viel kümmern wird.

Je mehr nun aber der Seeverkehr Hamburgs wuchs, je größer die Ansprüche wurden, die man an alle Seeleute machte und zu machen berechtigt ist, desto mehr war es geboten, daß man daran dachte, den hier weilenden Seeleuten Gelegenheit zu geben, sich gesellig zu einigen, cameradschaftlich unter einander zu verkehren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_293.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)