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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und sich für ihren Lebensberuf immer gründlicher auszubilden. Um diesen Zweck zu erreichen, faßten die Rheder Hamburgs den Entschluß, das Seemannshaus zu erbauen, ein Gebäude, das eine Zierde der Stadt geworden ist und dessen innere Einrichtung von allen Fremden, welche sich für Seehandel und Schifffahrt interessiren, in Augenschein genommen zu werden verdient.

Die Ufer der Niederelbe sind bekanntlich sehr flach. Nur auf einzelnen Punkten am rechten Ufer des Stromes steigen hie und da hügelartige Erhebungen empor, die einige Abwechselung in das so monotone Landschaftsbild der Stromniederung bringen. Zu einer fortgesetzten Reihe kleiner, zum Theil anmuthig bebuschter und selbst von lieblichen Thälern durchschnittener Hügel erhebt sich das rechtseitige Stromufer erst im Westen Hamburgs wieder und begleitet die immer breiter werdende Wasserstraße bis unterhalb Blankenese. Dicht vor dem Hafenthore springt eine früher als Befestigungswerk dienende Höhe, das Hornwerk genannt, bis hart an den Strom vor, nach allen Seiten hin eine weite und an Abwechselungen reiche Aussicht eröffnend. Hier überließ die Munificenz des Senates und der Bürgerschaft behufs Erbauung des Seemanns-Asyls ein umfangreiches Stück Land den Unternehmern gegen eine jährlich zu erlegende ganz winzige Grundheuer. Auf dieser Stelle nun erhebt sich jetzt das schmucke, aus rothen Backsteinen ausgeführte Gebäude, das elbaufwärts segelnden Schiffen schon unterhalb Altona in Sicht kommt.

Das zum Bau erforderliche sehr bedeutende Capital brachten die Rheder dadurch auf, daß sie von jedem Thaler, welchen sie Heuerlohn bezahlten, einen Schilling abgaben und noch jetzt einen halben Schilling fortzahlen. Ganz auf dieselbe Weise ward schon früher durch die Seeleute der jetzt bereits auf mehrere hunderttausend Thaler angewachsene Fonds zusammengebracht, welcher die Seemannswittwen, und die Pensionscasse für diejenigen bildet, welche 56 Monate zu Schiffe gedient haben.

Am 1. März dieses Jahres fand die Eröffnung des gewaltigen Gebäudes, das einen großen Winkel bildet, statt, eine Feierlichkeit, zu welcher alle in Hamburg anwesende Schiffscapitaine etc. besonders eingeladen waren, und welcher im Ganzen wohl gegen zweitausend Personen beigewohnt haben mögen. Macht das Gebäude von außen schon einen guten Eindruck, so überrascht das Innere durch die geräumigen Corridore, das prachtvolle Treppenhaus, das, von einfallendem Licht erhellt, bis zum Dache in doppelten Treppenwindungen hinaufsteigt, und durch die hohen und luftigen Säle und Zimmer, deren Fenster fast ohne Ausnahme einen Ausblick auf die mit Segeln stets belebte Elbe gewähren.

Das ganze Parterregeschoß ist, einen Raum für den Oekonomen des Hauses, der früher selbst längere Zeit als Capitain weite Seereisen machte, und die für den Portier bestimmte Loge abgerechnet, ausschließlich zu Zimmern für Steuerleute und Matrosen eingerichtet, zu denen noch ein Billardzimmer, verschiedene Speisesäle, ein besonderes Rauchzimmer und der große mit einem wahren Riesenbüffet verzierte Conversationssaal kommen. In der ersten Etage finden Schiffscapitaine besonders für sie eingerichtete comfortable Wohnräume, denen sich ein Lehrsaal und das vortrefflich gelegene Lesezimmer mit einem Balcon anschließt, welcher die schönste Rundschau über den Hafen, die verschiedenen großen Elbinseln und den Strom selbst, soweit das Auge ihn verfolgen kann, gestattet. Außerdem befinden sich noch 36 Schlafzimmer für Capitaine und Steuerleute daselbst, die so eingerichtet sind, daß jeder ein genugsamen Raum darbietendes Cabinet für sich hat, obwohl mehrere in einem und demselben geräumigen und luftigen Gemache die Nacht zubringen.

Im zweiten Stockwerke, dessen einzelne Zimmer übrigens eben so eingerichtet sind, wie die in der Bel-Etage gelegenen, können 92 Matrosen schlafen. Das Souterrain des Hauses enthält alle Vorratskammern, Räumlichkeiten für die sehr große Küche, Vorrichtungen zum Reinigen, Trocknen, Mangeln und Plätten der Wäsche, Schlafgemächer für das Dienstpersonal, und endlich die sieben Bacon’schen Oefen, durch deren Heizung im Winter das ganze Haus bis hinauf in die oberste Etage mittelst Wasserheizung gleichmäßig erwärmt wird.

Ein besonderer Eckflügel des Seemannshauses, nur zwei Stock hoch, ist als Krankenhaus für Seeleute so überaus splendid und zweckmäßig eingerichtet, daß der Leidende, welcher hier Quartier zu nehmen genöthigt ist, wohl vertrauensvoll ärztlicher Behandlung und Pflege sich unterwerfen kann. Diese Krankenstation, von dem Wohnhause der Gesunden völlig abgeschieden, hat einen besondern Eingang. Zur Einrichtung derselben überwies der Senat ein disponibel gewordenes Capital der ältesten Archangelfahrer-Gesellschaft im Betrage von 65,000 Mark Banco. Dadurch wurde es möglich, für die Ausstattung selbst Vortreffliches zu leisten und namentlich auch die neuesten zu Operationen erforderlichen Instrumente etc. in bester Qualität anzuschaffen. Badezimmer giebt es in beiden Etagen des Hospitales wie in den von Gesunden bewohnten Räumen. Endlich hat man auch im Seemannshause für Abhaltung eines regelmäßigen Gottesdienstes an Sonn- und Festtagen Sorge getragen, zu welchem Zwecke mehrere Damen eine niedliche Orgel geschenkt haben.

Es versteht sich von selbst, daß es jedem Seefahrer vollkommen überlassen bleibt, ob er von den mancherlei Bequemlichkeiten, Genüssen und sonstigen Vortheilen, welche das Seemannshaus bietet, Gebrauch machen will oder nicht. Die Erbauer desselben haben und hatten weder die Absicht, den in Hamburg weilenden Seeleuten irgend welchen Zwang aufzulegen, noch den Schlafbaasen, deren bereits gedacht wurde, ihren Verdienst zu schmälern. Es kann also nach wie vor jeder Matrose, Steuermann und Capitain, der es vorzieht, statt sich im hochgelegenen Seemannshause einzulogiren, eine Privatwohnung zu nehmen, um ganz nach seinem Belieben zu leben, dies gern thun. Viele werden sich wahrscheinlich noch lange von den so einladend ihnen zuwinkenden Fenstern und Zimmern desselben fern halten; denn die Gewohnheit übt auf die Mehrzahl der Menschen eine wahrhaft tyrannische Gewalt aus. Wer aber die stilleren Freuden geselligen Zusammenlebens, wer den freien Gedankenaustausch liebt, wer in Erzählung froher und trauriger Erlebnisse geistigen Genuß sucht und findet, wer sich belehren und auf alle Weise durch eigene Lectüre wie durch das anregende Wort Anderer, an Bildung und Wissen ihm selbst Ueberlegener, seine Kenntnisse erweitern will, der wird bald und wiederholt im Seemannshause einkehren, wo er stets eine Heimath und gewiß immer passende Gesellschaft findet.

Allerdings sind mit der Einkehr in dasselbe einige Beschränkungen verknüpft, die manchem Seefahrer, der am Lande kein anderes Gesetz kennt, als den eigenen Willen, bedenklich erscheinen mögen. Indeß sollten wir doch meinen, daß es Männern und Jünglingen, die an strenge Disciplin und unbedingte Subordination unter den Willen eines Einzigen durch den Schiffsdienst gewöhnt seien, nicht schwer fallen könnte, sich ihrer selbst wegen zu beherrschen und freiwillig auf eine schrankenlose Freiheit zu verzichten, die selten Gewinn bringt, wohl aber häufig allerhand Fatalitäten in ihrem Gefolge hat. –

In einem so großartigen Karawanserai, wie das Seemannshaus sie darstellt, muß das Leben einen geregelten Gang gehen, und wer daran Theil nehmen will, der hat sich ohne Widerrede den Anordnungen zu unterwerfen, die man zu erlassen für nöthig erachtete. Es kann demnach jeder Bewohner des Seemannshauses nur bis zu einer gewissen Stunde in der Nacht (Sommer und Winter bis 11 Uhr) Einlaß in dasselbe erhalten, während die Oeffnung in den Sommermonaten früh 5, im Winter früh 6 Uhr stattfindet. Streng untersagt ist jeder weibliche Besuch. Ferner haben diejenigen, welche sich vom Oekonomen des Hauses beköstigen lassen und an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten in den betreffenden Speisesälen Theil nehmen wollen, der festgesetzten Zeiteintheilung sich zu fügen, d. h. zum Frühstück entweder 5½ oder 8 Uhr Morgens, zum Mittagessen 12½, zum Kaffee um 2 Uhr Nachmittags, und Abends 7 Uhr zum Abendbrod im Speisesaale gegenwärtig zu sein. Für volles Logis incl. der Beköstigung hat bis auf Weiteres jeder Matrose wöchentlich 9 Mark Hamburger Cour. (3 Thlr. 18 Sgr.) zu entrichten. Speisen und Getränke, welche besonders verlangt werden, desgl. Tabak oder Cigarren sind sogleich nach der im Speisesaale ausgehängten Taxe zu bezahlen.

Sparsame, welche ihren Verdienst nicht vergeuden wollen, wie dies leider nur zu häufig gerade bei jungen Matrosen vorzukommen pflegt, finden als Einlogirer des Seemannshauses jederzeit Gelegenheit, ihre Ersparnisse in eine besondere Sparcasse zu legen, die an jedem Werkeltage Vormittags zwischen 9 und 12 und Abends zwischen 6 und 7 Uhr behufs der Empfangnahme solcher Gelder geöffnet ist. Auch können dieselben Gelder und andere Werthsachen nicht nur während der Dauer ihres Aufenthaltes in Hamburg, sondern auch wenn sie wieder auf Reisen gehen, gegen einen vom Oekenom des Hauses auszustellenden Schein in wohlverschlossener,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_294.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)