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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

wohl auch vor dem Abschied etwas Kalk von der heimischen Heerdmauer oder bewahrt eine Rinde des letzten Stückes Brod, das ihm die Hausfrau geschnitten, jahrelang im Ranzen und kaut daran, wenn er im fremden Lande mehr Hunger als Geld hat; ein Krümchen des Heimbrodes stillt den Hunger besser als sieben fremde Braten. Wer möchte so rührend tiefe gemüthinnige Züge in der Empfindung unsres Volkes missen? Die Zeit von Weihnachten bis zum Dreikönigstag heißt die Zwölften, „die zwölf Nächte“, auch die „Klöpfels“-, „Anroller“-, „Geb-Nächte“, in diesen Tagen ist aller Geisterspuk entfesselt, alle bösen, guten, muthwillig-neckenden und indifferenten Götter, Riesen, Elben, Kobolde, Wichtel, Gespenster, Hexen, Truden, Teufel haben jetzt gleichsam Carneval oder Freinacht, nach Herzenslust auf Erden ihr Spiel zu treiben; in dieser Zeit sind sie sogar den profanen Augen von Nicht-Sonntags-Kindern sichtbar. Es erklärt sich die besondere mythologische Bedeutung dieser Tage leicht daraus, daß die Heiden zu dieser Zeit das Hauptfest des Jahres, die Winter-Sonnenwende (im Norden „Jul“ genannt) feierten mit großen Opferschmäußen, welche sieben Tage währten und alle Nachbargemeinden an der heiligen Ding- und Opfer-Stätte zu Gericht, Berathung, Andacht und Spiel vereinten. An jenen Tagen hielten denn auch alle großen Götter des Landes Umzug durch die Marken des Gaus, verkehrten mit den Sterblichen, kehrten ein an deren Heerd, vertheilten Lohn und Strafen an fleißiges und faules Gesinde etc. Erst jüngern Datums ist die drollige christliche Legende, welche, nachdem man den ursprünglichen Grund der besondern Geisterwirthschaft jener Tage vergessen hatte oder nicht mehr erwähnen durfte, eine kirchliche Erklärung dieser Erscheinung zu geben suchte.

Sanct Petrus war nämlich einst von dem lieben Gott auf die Erde gesendet worden, ausgerüstet mit den Gaben des heiligen Geistes und begleitet von einem stattlichen Corps handfester Engel, um dem unverschämten Treiben der Teufel aller Art auf Erden ein gründliches Ende zu machen und Lucifer selbst sammt all seinem Schwarm von Unholden in die Hölle zu sperren auf Nimmerwiederkehr. Sanct Peter machte seine Sache gut, die Dämonen flohen vor seinen himmlischen Heerschaaren von einem Land zum andern bis ans „Ende der Welt“, welches bekanntlich in Tirol bei dem Paß Finstermünz zwischen Vintschgau und dem Innthal ist, und warfen sich dort mit großem Geheul durch einen tiefen See in die Hölle hinunter. Sanct Peter war nicht faul, schickte die Engel mit einem etwas renommistischen Schlachtbericht nach Hause in die himmlische Garnison und ließ dem lieben Gott sagen, er, Petrus, sei in die Hölle hinabgestiegen und werde die Sache mit dem Gesindel da unten allein fertig machen. Petrus machte die Höllenthür sorglich hinter sich zu und steckte den Schlüssel in sein Wamms unter ein wunderthätiges Bild der Muttergottes von Einsiedeln, „denn,“ sagte er zu sich, „der Teufel ist schlau, aber ich bin schlauer.“ Er suchte sofort Lucifer auf, der sehr kläglich und demüthig that, die Heldenthaten seines Ueberwinders bewunderte und ihn bat, sich doch im Himmel, wo sein Einfluß jetzt ja größer sein müsse als je, für ihn zu verwenden, daß es mit der einfachen Einsperrung in der Hölle abgethan sei und er nicht wieder wie bei früheren Vergehen die beiden furchtbarsten Strafen durchmachen müsse, nämlich: „Nonnen hüten“ und „Bauern laufen“. St. Petrus fühlte sich sehr geschmeichelt und versprach das Beste. Da wurde der Teufel froh und bat den Apostel mit vielem Lob und Dank, doch ein halb Dutzend Flaschen alten Klosterweins mit ihm zu trinken, den ihm die Herrn Benedictiner von Benedictbeuren aus ihrem Keller verehrt hatten. St. Petrus ließ sich das nicht zweimal sagen, und der Sieger und der Besiegte fingen an zu poculiren.

Das war gerade am Weihnachtsabend, und deutlich hörte man, als sie anfingen zu trinken, die Vesper läuten in dem Kloster zu Stamms, denn die Glocke Claudia daselbst hat so hellen Ton, daß er bis in des Teufels Keller vernommen wird. Sie fingen also an zu pochen, und ich weiß nicht, ging es mit rechten Dingen zu, war der Klosterwein zu stark oder hat der Wirth etwas aus seiner Hausapotheke hineingeworfen, kurz der fromme Gast schwur bei der ersten Flasche, solches Gewächs habe er nie, weder zu Jerusalem, noch bei der Hochzeit zu Kana, noch zu Rom, noch im Himmelreich getrunken, bei der zweiten rief er, der Teufel sei gar nicht so schwarz, als man ihn male, und bei der vierten versprach und gelobte er, zum Lohn für diesen Trank solle der Teufel und seine Schaaren jährlich so lange Freinacht haben auf Erden, als sie beide brauchen würden, den Klosterwein zu vertrinken und zu verschlafen, und als Lucifer zweifelte, ob der liebe Gott darauf eingehen werde, rief der Gast: „Das wollen wir schon sehen, ich habe Generalvollmacht mit Dir abzuschließen, wie ich will, und wenn mein Wort im Himmel nicht gilt, komme ich wieder herunter und bleibe als Geisel bei Dir.“ Da schenkte ihm der Teufel das letzte Glas ein, und alsbald fiel St. Petrus in tiefen Schlaf. Endlich wachte er, mit etwas Kopfweh, wieder auf, es weckte ihn die Glocke von Stamms. „Teufel,“ sagte Petrus, „was läutet’s da?“ „Die Hora,“ sagte Lucifer, der eben auch zu erwachen schien. „So muß ich fort,“ sagte Petrus und stand auf und griff nach dem Höllenschlüssel in seinem Wamms: zum Glück hatte das Amulet nicht auch geschlafen, und der Schlüssel war noch da. „Und was ist mit unsrem Pact?“ fragte Lucifer. „Der gilt,“ rief Petrus, „von der Vesper bis zur Hora! B’hüt’ Dich Gott, Teufel.“

Und Petrus fuhr hinauf in den Himmel. Da begegneten ihm an der Thüre die heiligen drei Könige und sagten: „Das ist schön, Petrus, daß Du gerade recht kommst, noch unsern Tag mit zu feiern. Mach’ nur, es geht schon an’s Kuchen schneiden, leicht wirst Du Bohnenkönig.“ „Dummes Zeug,“ sagte Petrus erschrocken, „heut’ ist ja Christtag.“ „Nein,“ sagten die drei Weisen aus Morgenland, „heut’ ist Dreikönigstag, das müssen wir doch besser wissen.“ „Gott steh mir bei,“ rief Petrus, „so hab ich getrunken und geschlafen von der Weihnacht-Vesper zur Dreikönigshora, macht zwölf Tage und zwölf Nächte, daß der Teufel wieder Gewalt hat über die Erde. Das macht der verfluchte Klosterwein.“ Und man sagt, daß Petrns diesmal keinen Orden bekam für seine diplomatische Mission und daß der liebe Gott nicht übel Willens war, den Gesandten lieber als Geisel in die Hölle zu schicken, als den Pact anzuerkennen, und nur zu Achtung der heiligen drei Könige, welche an ihrem Ehrentag für ihn baten, gab er nach. St. Peter trinkt seitdem nie mehr Klosterwein, aber wir Menschen müssen’s alle Jahre zwölf Tage büßen, daß er damals dessen getrunken hat. –

Wenn diese schnurrige Legende ziemlich keck mit dem Fürsten der Apostel umspringt und ihn in der wenig ehrenvollen Rolle eines „Uebertrunkenen“, d. h. durch Trunk Ueberlisteten und einigermaßen auch als Renommisten darstellt, so ist dies vielleicht für Protestanten eher befremdlich oder ein Aergerniß, als für Katholiken, welche den Styl der Legende kennen, nach welchem auch die Heiligen harmlosen Spaß verstehen müssen. Uebrigens lehnt sich eine ganze Gruppe solcher Legenden, welche Christus in Begleitung einiger Apostel auf Erden wandern, bei den Menschen ansprechen und die heilige Natur des Gottes ebenso schön als die menschliche Schwäche der Begleiter humoristisch hervortreten lassen, ebenfalls an Grundzüge heidnischer Göttersage. Denn nicht nur die Lieder der Edda berichten wiederholt von solchen in Verkleidung wandernden Göttern, meist in der Dreizahl, wie Christus, Petrus und Johannes meist mit einander wandern, wir wissen auch sonst, daß Umzüge des Wodan, des Donar, der Berahta (Berchta) im deutschen Alterthum mit Liedern und mimischen Darstellungen gefeiert wurden, und in denselben Tagen, da man die Götter in Bildern oder auch nur auf verhülltem Wagen unsichtbar um die Marken der Landschaften führte, traten sie in unscheinbarem Gewand strafend und lohnend in die Häuser der Sterblichen ein. Reminiscenzen an diese heidnischen Götterumzüge stecken in vielen Gebräuchen der Kinder, ja selbst in manchen Zügen, Wallfahrten, Processionen, Bittgängen der Erwachsenen, welche die Kirche mit anderer Bedeutung erfüllt hat.

So finden in ganz Alt-Baiern, Schwaben und einem großen Theil von Deutsch-Oesterreich zu Weihnachten, Neujahr und Drei König mehr oder weniger complicirte Umzüge von Kindern, Armen, jungen Burschen in scherzhaften Vermummungen statt, dabei wird gesungen, es werden Sprüche recitirt und kleine Dramen improvisirt. Insbesondere in Giemgau, an den schönen Ufern der Alz, der Traun, der Mangfall singen die Kinder noch heute uralte Hirten- oder Sternlieder an den bezeichneten Tagen, Lieder von rührender Einfalt und echtester Volkspoesie, sie ziehen von Haus zu Haus und ersingen sich kleine Gaben von Obst, Nüssen, Kücheln u. dgl., der Stern der heiligen drei Könige wird sehr naiv dargestellt: ein Knabe trägt eine von Papier geschnittene Sonne an einem Stabe der Schaar voran, und obwohl das alte Fest zu diesen ärmlichen Resten herabgesunken ist, hat sich doch die Erinnerung seiner alten Heiligkeit in dem Glauben erhalten, daß die Hand, welche ein solches „Dreikönigskindel“ während seines Singens schlägt, dereinst aus dem Grabe herauswächst.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_299.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)