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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

(ein geborener Böhme, der mit einem österreichischen Werbecommando nach Thüringen kam und da zurück blieb) und dessen Frau, die als Bote und Bötin in Dienst genommen wurden, aber in Hildburghausen wohnten und von da täglich nach Eishausen gingen. Auch sie mußten jeden vertrauten Verkehr mit den Menschen möglichst meiden, und sie thaten dies mit unerschütterlicher Treue und mit fast abergläubischer Verehrung gegen den Grafen, weil eine Zigeunerin ihnen einst geweissagt, es werde ein Fremder aus fernen Landen kommen und sie glücklich machen. – Die dritte Person war eine Aufwärterin, ein Mädchen, das im Dorfe wohnte und das Schloß nie betreten durfte, sondern jeden Morgen die Milch durch ein Fenster an die Köchin abgab und auf demselben Wege ihre sonstigen Auftrage erhielt.

So lebten nun diese vier Menschen allein und vor jedem Zutritt von außen verriegelt in dem Schlosse, der Graf und die Gräfin meist im zweiten Stock, der Kammerdiener und die Köchin in der Bel-Etage. Wenn wir nun erfahren, daß selbst diese in das Schloß gleichsam lebendig eingemauerte Köchin das Antlitz der Gräfin binnen sechsundzwanzig Jahren nur zwei Mal sah, ja, daß sogar der anscheinlich in so hohem Vertrauen stehende Kammerdiener niemals selbst die Gräfin in ihrem Zimmer bediente, sondern daß er z. B. die Speisen nur in das Vorzimmer trug, wo der Graf sie in Empfang nahm, so werden wir, trotz aller vom Grafen allein ausgehenden Befehle, doch bald in der Gräfin die Hauptperson zu erkennen haben, um deren Schicksal das Geheimniß sich lagert, das so außerordentliche Vorsichtsmaßregeln gegen seine Enthüllung in Anspruch nimmt.

Ehe wir zur Betrachtung der in vieler Beziehung sehr bedeutenden Persönlichkeit des Grafen und zu der schier märchenhaften der Gräfin übergehen, wollen wir ein für allemal die streng regelmäßige Ordnung und Gewohnheit des täglichen Lebens im Schlosse angeben. Früh zwischen 4 und 5 Uhr klopfte die „Aufwärterin“ die Köchin auf und brachte die Milch. Um 9 Uhr kam die „Bötin“ aus der Stadt mit den bestellten Nahrungsmitteln und den Briefen und Zeitungen der Morgenpost und besorgte die Reinigung der Zimmer, während der „Bote“ den Dienst Nachmittags hatte. Um 10 Uhr hielt der Wagen vor der Schloßthür. Der Kammerdiener thronte wieder, in dreieckigem Hut und silberstrotzender Livree, als Kutscher auf dem Bocke, wie denn auch die Wartung der Pferde sein Amt mit war. Die Fahrt ging Tag für Tag bis in die Nähe des coburgischen Landstädtchens Rodach.

Hierher gehört eine Bemerkung, die das Dunkel dieser Geschichte noch verstärkt und auf die ebenfalls bis heute noch kein Strahl Aufklärung gefallen ist. Auch in der Dorfeinsamkeit wurden die uns bereits bekannten Vorsichtsmaßregeln beim Ein- und Aussteigen der Gräfin beibehalten. Keine Seele durfte sich in den Gängen, auf den Treppen, hinter den Thüren oder Fenstern zeigen, wo die tiefverschleierte Dame ging. Auf der freien Landstraße fiel der Schleier und öffneten sich oft auch die Fenster des Wagens. Und da will ein alter Chausseewärter, der ein nüchterner, zuverlässiger Mann genannt wird, mit seinen guten Augen deutlich gesehen haben, daß bald eine ältere, bald eine jüngere Dame beim Grafen im Wagen war. Mit voller Bestimmtheit sagte er: „Heute ist die Alte mit ihm ausgefahren,“ oder: „Heute hat die Junge bei ihm gesessen.“

Wo ist diese „ältere“ Frau her-, wo ist sie hingekommen? Der Graf hat bis zu seinem Tode Eishausen nie eine Nacht verlassen, das Schloß verrieth von der Lebenden keine Spur, und die Todte hier in unserm Berggrabe kann nur die damals „jüngere“ gewesen sein.

Und doch ist es unmöglich, in dem Charakter des Grafen, wie er aus vielen einzelnen Andeutungen zu erkennen ist, wie er in der Freude am Wohlthun und wie er in dem energischen Auftreten gegen jede obrigkeitliche Nachforschung, wie er in der Art seiner classischen Studien und in geistreich humoristischen Briefnotizen sich aussprach, die Flecken zu finden, die ihm unverkennbar anhaften mußten, wenn ein schweres Verbrechen auf seiner Seele gelastet hätte.

Als Graf Vavel nach Eishausen zog, schätzte man ihn für einen angehenden Vierziger. Er wird geschildert als ein hoher kräftiger Mann, der, wo er sich allein, auf den sehr seltenen einsamen Spaziergängen zeigte, stets in uraltem Filzhut, langem dunklem Rock und weißen Strümpfen erschien; „sein kräftiges, scharfgezeichnetes Gesicht, die frische dunkle Farbe, beschattet von rabenschwarzem Haar und starkem Backenbart, die blitzenden Augen, der entschiedene rasche Gang“ blieben Jedem, der sie einmal gesehen, unvergeßlich.

Auch die Dame wurde in der ersten Zeit des neuen ländlichen Aufenthalts aus der Ferne beobachtet. Sie ging mit dem Grafen auf der Wiese beim Schloß einige Male spazieren. Die wenigen Leute aus Eishausen, die sie sahen, erzählten mit Bewunderung von der schlanken Figur, dem zierlichen Gang und den lebendigen Bewegungen der Gräfin und fügten die den richtigen Takt des Volkes verrathende Bemerkung hinzu: man habe es an Allem gesehen, daß sie die Vornehmere sei; der „gnädige Herr“ habe ordentlich wie ihr Untergebener ausgesehen.

Einer der treuesten Berichterstatter über diese „Geheimnisvollen im Schlosse zu Eishausen“, der lange Zeit in dem Dorfe wohnte, hat ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, die Dame in nicht zu großer Entfernung und mittelst eines Glases zu beobachten. Er erzählt: „Die Gräfin stand am offenen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze, die unter dem Fenster war. Sie erschien mir wunderschön; sie war brünett; ihre Züge waren ausnehmend fein; eine leise Schwermuth schien mir eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem Augenblicke, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit im Fenster, den feinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem Thiere unter sich beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am Taschentuche abwischte.“ – Diese Beobachtung datirt vom Jahre 1818. Als die Dame im Jahre 1810 nach Eishausen kam, hatte man ihr Alter auf höchstens 18 Jahre geschätzt.


(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.

Gerstäcker über die peruanische Auswanderungsangelegenheit. Nachstehende Briefe, die ich schon vor einiger Zeit aus Südamerika erhielt, bringen so manches Interessante, daß ich Ihnen, lieber Keil, wenigstens im Auszuge für die Gartenlaube mittheilen möchte. Sie sind von dem seiner Zeit noch angegriffenen und verleumdeten Demian v. Schütz, der jene Colonisten nach Peru schaffte und die dortige deutsche Colonie am Pozuzu gründete.

D. v. Schütz hatte dadurch allerdings einen großen Fehler begangen, daß er den Versprechungen, ja selbst dem Contract einer peruanischen Regierung glaubte. Er selber handelte aber stets als ehrlicher und braver Mann, und die Colonisten selber bestätigten mir damals an Ort und Stelle, daß er sein letztes eigenes Geld ausgegeben, ja in Cerro de Pasco sogar seine Uhr versetzt habe, um den Einwanderern das Nöthigste zu verschaffen, was er, trotz aller Versprechungen und Zusicherungen, von den Beamten nicht erlangen konnte. Die Sache ist zu verwickelt, um sie hier noch einmal zu erwähnen; nur so viel sei wiederholt, daß sich die peruanische Regierung damals verbindlich gemacht hatte, einen Weg bis zu jener Stelle bauen zu lassen, wohin die deutsche Colonie gelegt werden sollte, indessen D. v. Schütz die Colonisten von Europa holte. Als er aber mit ihnen ankam, hatte die Regierung das Geld für den Weg allerdings an die Präfecten auszahlen lassen, diese aber dasselbe in anderer Weise verwandt und mit der Straße kaum begonnen. Ihm selber wurde später ebensowenig gehalten, was ihm zugesagt worden, und nachdem er sich in Lima eine Zeit lang kümmerlich mit Unterrichtgeben durchgebracht, verließ er das Land wieder. Eben darüber schreibt er in den beiden Briefen.

Der erste von diesen enthielt nur die besonders für mich interessante Nachricht, daß mein Besuch bei dem Präsidenten Castilla doch etwas genützt habe, indem dieser auf alle meine Vorschläge eingegangen war. Für den Wegbau nach der Colonie war eine bedeutende Summe monatlich bewilligt worden, und zum Weg-Inspector der einzige mögliche Mann, der wirklich etwas vom Wegbau verstand, und die Wälder und Berge dort so genau wie seine Cocatasche kannte, ernannt und entsprechend besoldet worden. Es war derselbe, den ich damals dem Präsidenten vorgeschlagen. Bis dahin war ein verunglückter Minenspeculant mit monatlich 50 Dollar dazu angestellt gewesen, der seinen Gehalt ruhig verzehrte und klug genug war, sich um etwas gar nicht zu bekümmern, was er doch nicht verstand. Natürlich bekamen die Colonisten aber auch dadurch keinen Weg. Der arme Teufel, der zugleich als Gobernador oder oberste Polizeiperson in der Colonie fungirte, nahm aber ein trauriges Ende, denn beim Urbarmachen seines eigenen Landes erschlug ihn ein stürzender Baum, und der Indianer Leon Cartagena konnte ohne Weiteres sein Amt als Weginspector antreten. So weit schien Alles gut zu gehen, und wenn die Colonisten über Huancabamba den directen Weg nach Cerro de Pasco gebaut bekamen, so durften sie hoffen, ihre Producte weit besser verwerthen zu können, als dies jetzt bei dem bedeutenden Umwege über Huanaco der Fall war. Präsident Castilla hielt auch darin wirklich Wort, denn der Betrag für den Weg zeigte sich doch noch immer als ein sehr kleiner Posten gegen die ungeheueren Einnahmen des Landes, die nach Millionen zählten, und er nahm in der That Interesse an der deutschen Colonie, wie überhaupt an allen Fremden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_302.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)