Seite:Die Gartenlaube (1863) 323.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

beginnen, als wenn man die genialen Schöpfungen der Kunst betrachtet. Bitte, kommen Sie, Alexandrine!“

Und ohne eine Antwort oder Gegenrede abzuwarten, trat er in das Haus und öffnete die Thür zur Ausstellung. Dieselbe war besuchter, als man am heutigen Tage hätte erwarten sollen. Lessing hatte eine seiner prächtigen Landschaften ausgestellt, während J. Schrader seinen König Karl I. von England gesendet hatte.

Alexandrine fühlte mit dem Eintritt in die Ausstellung ihre Befangenheit, in die der Ausruf des Knaben sie versetzt hatte, mehr und mehr weichen. Nordheim, als tüchtiger Kunstkritiker dem Besitzer des Locals, wie auch den meisten Künstlern der Stadt bekannt, sprach so klar und gediegen, daß ihr Blick sich mehr und mehr erweiterte, sie ein innigeres, tieferes Verständniß der Bilder gewann und ihre Herzensfreude und Sicherheit bedeutend zunahm.

Die Anwesenden standen in einzelnen Gruppen bald vor diesem, bald vor jenem Bilde.

Nordheim, von einigen der Anwesenden erkannt und freundlich begrüßt, ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, bis er plötzlich am Ende desselben den Kunsthändler traf, der prüfend ein kleines Gemälde betrachtete, während eine junge Dame an seiner Seite mit erwartungsvoll ängstlichem Auge seines Ausspruchs zu harren schien. Die Dame war sauber, aber nicht elegant gekleidet, ihr Anzug zeigte, daß derselbe hin und wieder nur mühsam einige durchbrechende Schäden zu verdecken vermocht hatte – und so vermuthete Nordheim gewiß nicht mit Unrecht in ihr die Verkäuferin, wo nicht gar die Malerin des Bildes. Von Neugier oder Theilnahme ergriffen, ging er den beiden sich unbemerkt Glaubenden zu. Alexandrine, mit einer Freundin plaudernd, die sie zufällig getroffen, war zurückgeblieben. Jetzt war er dem Kunsthändler nahe, und er hörte, wie derselbe sich zu dem jungen Mädchen wendend sagte: „Schon gut, ganz gut! Wäre das Bild nur acht, vierzehn Tage früher eingeliefert worden, hätte ich Hoffnung haben können, es in der Masse, die zum Fest gekauft wird, loszuschlagen. Wer aber kauft jetzt noch eine Copie und zumal von der Hand einer gänzlich Unbekannten?“

Nordheim, der mit einem Blick die Güte und Feinheit des Bildes erkannt hatte, aber auch zugleich den Schmerz, die Hoffnungslosigkeit auf dem Gesicht des jungen Mädchens bemerkte, sagte rasch, entschieden vortretend: „Sieh da, Herr Sohr, welch’ eine prächtige Copie des François Navez haben Sie hier?“

Der Kunsthändler, durch die Worte des Assessors sichtlich verlegen gemacht, entgegnete zögernd: „Halten Sie diese Copie wirklich für gelungen?“

„Nun wohl!“ lachte Nordheim sarkastisch, „ein Meisterwerk erster Classe ist sie nicht, man sieht derselben vielmehr einzelne kleine Fehler an, die eine Anfängerin als Verfertigerin vermuthen lassen; aber das ganze Gemälde bekundet auch zugleich ein so entschieden festes jugendliches Talent, daß ich mich wundere, daß Sie dem Bilde nicht bereits einen Platz in Ihrem Saale gegeben haben. Hier, dächte ich, wäre der Ort, jugendliche Talente zu ermuntern.“

Und ehe der Kunsthändler noch Einzelnes zu entgegnen vermochte, fuhr er fort, nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit, indem sein Auge die Gestalt des jungen Mädchens gestreift, das mit gesenkem Blick erröthend stand und doch zugleich in fieberhafter Erregung seiner ferneren Worte zu lauschen und zu harren schien: „Ich weiß, was Sie sagen wollen: Copie! Maler unbekannt! Als ob, wie gesagt, nicht eben diese Ausstellung dazu angethan wäre, junge, strebsame Talente in die Oeffentlichkeit einzuführen. Oder sind Sie vielleicht auch der Ansicht, nur die Noth, die Hemmniß, die Zurücksetzung erzeuge den Künstler? Anerkennung, lieber Sohr, ist das Brod des Geistes. Sehen Sie hier, wie schön, wie treu, wie wahr betet die Mutter zur Madonna, vor deren Standbild sie ihr todtkrankes Kind niedergelegt hat, während sie selbst sich auf die blühend schöne, erwachsene Tochter zur Seite stützt! Hier, namentlich in der Tochter, ist mehr als bloße Copie. Erlauben Sie mir das Bild dort drüben aufhängen zu dürfen, wo noch bis vor Kurzem die schlechte Landschaft eines sonst nicht unberühmten Mannes hing.“

Mit diesen Worten ergriff Nordheim das Bild und trug es selbst nach der bezeichneten Stelle hin, während daß die junge Dame mit leuchtendem, verklärtem Blick seiner Rede gelauscht hatte. Der Kunsthändler jedoch, wie es schien wenig erbaut von den Worten des Assessors, aber als bekannten Kritiker ihn fürchtend, wandte sich zu der Künstlerin und sagte, rasch zur Nebentür hinausschreitend: „Bitte, folgen Sie mir, Fräulein! Wir werden unser Geschäft hier ruhiger abmachen konnen.“

Und ehe Nordheim, das Bild aufhängend, noch einen Blick rückwärts wenden konnte, waren Beide aus dem Saal verschwunden. In diesem Augenblicke trat auch Alexandrine zu ihm, der mehrere der Anwesenden folgten, so daß er das Verschwundensein des Kunsthändlers mit der jungen Dame nicht sogleich bemerkte. Ohne Auskunft über die Künstlerin erhalten zu haben, mußte er die Ausstellung verlassen. Nordheim that’s in sichtbarer Verstimmung und Zerstreutheit, die beide erst wichen, als er hie und da einen brennenden Weihnachtsbaum erblickte und, durch die erleuchteten Scheiben die Lust und Freude der Kinder schauend, selbst der Jugend gedenkend, froh und heiter wurde.

Alexandrine jedoch war stiller und ernster geworden; sie wußte selber nicht woher es kam, aber es wollte ihr bedünken, als habe eine unzeitige Hand den schönen bunten Schmetterlingsstaub von den Flügeln ihrer Freude, ihres Glücks gestreift. Mechanisch trat sie am Arm ihres Begleiters zur Mutter ein. Und als sie hier auf dem Tisch, von der sorgenden Hand der Mutter, ihre Weihnachtsgaben vorfand und unter diesen auch ein prächtiges Murillo-Album, von der Hand Nordheim’s dargebracht, war es ihr, als müsse sie, statt aufzujauchzen vor tiefer innerer Freude, gemischt mit namenlosem Schmerze, weinen und immer wieder weinen. Mit Mühe nur vermochte sie ein Wort des Dankes zu sagen und ihre Thränen zu verbergen. Was hatte sie nur so trüb gemacht?



Die Tage darauf war es rauh und kalt.

Die kleine Marie hatte in das mit Eisblumen überzogene Fenster sich ein Gucklöchelchen gehaucht, durch das sie glückselig zufrieden nach der Straße schaute. Sie lachte hell auf ob ihrer Kunst und Wagniß, während sie zugleich ihr Blauauge an die gehauchte Oeffnung brachte. Jeden Vorübergehenden rapportirte sie treulich der Mutter, die still gedrückt nicht fern vom Ofen saß. Erst ging ein Knabe vorbei, Nachbars Fritz, dann kam sein Pudel; auch die Köchin des gegenüberstehenden Hauses trat heraus und holte Wasser. Alles Gegenstände von Wichtigkeit.

Jetzt aber lugte sie wieder heraus, und es war, als ob sie mit ihrem kleinen Guckauge die Scheibe durchbrechen wollte, so legte sie es an die Oeffnung, die sie vorher noch rasch sich klar gehaucht; dann aber war sie auch mit einem Satz vom Stuhl herab und lief zur Thür hinaus, ehe noch die Mutter sie halten und erinnern konnte, indem sie laut jubelnd schrie: „Der Puppenmann kommt! Der Puppenmann kommt!“

Und sie hatte sich nicht geirrt. Nordheim ging vorüber. Er hatte wohl nicht daran gedacht, daß hier sein kleiner Schützling wohne, wenigstens fuhr er, wie aus tiefen Gedanken geweckt, auf, als die kleine Marie plötzlich an seiner Seite war und ihm jubelnd die Hände entgegenstreckte. Er hob sie auf, küßte sie auf den Mund und wollte seinen Fuß dann weiter setzen. Doch in diesem Augenblick trat auch die Mutter aus der Thür und bat ihn mit gewinnendem Anstande, näher zu treten.

„Sie haben,“ sprach sie, „meinem keinen Quälgeiste eine so innige Freude bereitet, daß Sie es der Mutter nicht verargen werden, wenn sie sich darnach sehnt, dem Geber des Geschenks auch ihren Dank abzustatten. Darf ich bitten?“

Nordheim, wenn er nicht als unhöflich erscheinen wollte, mußte der Einladung folgen; und was ein Blick auf die Frau ihm gezeigt, fand er im Innern der Wohnung bestätiget: die Dame gehörte den gebildeteren Ständen an und war, wie es schien, nur durch Unglücksfälle in eine Lage gekommen, die ihrer früheren entgegengesetzt war.

Wie sah es so traut, so heimisch, trotz aller Aermlichkeit in dem Stübchen aus! Die kleine Marie hatte ihm ihre Puppe und Spielsachen gebracht, und wurde nicht müde zu plappern und zu plaudern. Die Mutter aber, die einen Augenblick ernst und sinnend geworden war, gleichsam als kämpfe sie mit sich selbst, sagte endlich, wie zu einem Entschluß gekommen: „Ich freue mich, daß mir Gelegenheit wird Ihnen danken zu können; nicht so wohl für das, was Sie meinem Kinde gethan haben, sondern für das, was Sie verhindert haben.“ Und als sie sah, wie Nordheim bei diesen Worten aufschaute und sie einen Augenblick wie prüfend ansah, sprach sie: „Mein Kind, das seit wenigen Wochen erst nach der Schule ging, kam glückselig mit der Nachricht nach Hause, daß der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_323.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)