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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

das Augen heben, mußte die Arme ausbreiten, ihn umfangen, sie konnte nicht anders – und ihre Lippen ihm zum ersten Kusse bieten.

Wie heilig still, wie schön war es im Zimmer! Zwei Herzen hatten sich gefunden.

Jetzt begann Alexandrine von selbst nach der Malerin zu fragen; und Nordheim erzählte seine Begegnisse, seine Erlebnisse mit derselben und deren Mutter. Er sprach von dem Unglück der Familie so beredt, so überzeugend, daß Alexandrine den Wunsch nicht unterdrücken konnte, die Familie zu besuchen, Elisen kennen zu lernen. Sie kam mit diesem Ausspruche dem Wunsche Nordheim’s entgegen.

Bald darauf kehrte die Mutter von ihrem Ausgange zurück. Nordheim empfahl sich. Er that es wie sonst, wie immer, freundlich zuvorkommend. Er hatte der Mutter Alexandrinens nichts gesagt, auch die Tochter hatte geschwiegen. Die Liebenden hatten es unter sich abgemacht, ihr Geheimniß noch einige Zeit für sich zu behalten.

Sie waren der Billigung ihrer Liebe von Seiten der Mutter gewiß – und dennoch schwiegen sie! Wer kennt nicht die heilige, süße Scheu der Liebe? Nordheim eilte zur Ausstellung. Es war ihm jetzt Bedürfniß, das Bild Elisens noch einmal zu betrachten. Er fand den Saal gedrängt voll.

Der Kunsthändler bemerkte sein Eintreten, und ihm freundlich entgegenkommend und ihm die Hand zum Gruße reichend, sagte er: „Besten Dank! das Bild ist verkauft – Banquier Wallbot –“

Mehr sagte er nicht, denn der Genannte trat soeben selbst heran, und den Assessor erkennend, rief er lachend, mit dem Finger drohend:

„Nun, Sie Sünder und Verführer des Volks! Ist’s auch recht, Jemandem das Geld so aus der Tasche zu locken? He! Was sollte anders die Recension? Hab’s gekauft, damit ein aufkeimendes Talent ermuntert werde. So hieß es ja wohl in Ihrer Beurtheilung? Aber kommen Sie nur und trinken ein Glas Wein mit mir. Können für das Bild mir daheim den besten Platz aussuchen.“

Wallbot sprach Alles in Hast, kurz abgebrochen; und Nordheim, der wohl fühlte, daß mit diesem kurzen Abbrechen der Sätze mehr Gefühl unterdrückt, als zu Tage gefördert werden sollte, und dem selbst daran lag, mit dem Banquier in nähere Berührung zu kommen, ging natürlich sofort auf seine Einladung ein. Gemeinsam verließen sie die Ausstellung.

Wallbot fand auch in seinem Hause im Anfange die gewünschte notwendige Ruhe nicht. Unruhig rückte er auf seinem Sessel, seinem Gaste gegenüber, umher. Endlich sagte er, einen neuen Blick auf das Bild werfend, welches der Diener gebracht und ihm gegenüber hatte aufstellen müssen: „Was ist es nur, das mich beim Anblick des Gemäldes so tief ergreift? Ihre Worte allein können dies nicht gemacht haben. Sie haben warm, anerkennend gesprochen, aber dies macht es nicht. Das Bild ist mehr als Copie. Aber aus dem Gesicht der Tochter, zur Seite der Mutter, heimelt es mich an, als hätte ich dies Gesicht einmal schon früher gesehen.“

Der Assessor hatte bis jetzt geschwiegen; nun sagte er: „Giebt der Name der Künstlerin Ihnen vielleicht einen Anhaltpunkt?“

Wallbot blickte bei diesen Worten verwundert auf, und die Augen seines Gastes auf sich ruhen sehend, rief er, sich mit der Hand über die Stirn fahrend und wie aus ernstem Sinnen erwachend: „Der Name: Elise Sandow! – Sandow! Hat die Künstlerin sich vielleicht auf dem Bilde in der Tochter selbst gezeichnet? – Sie müssen’s wissen! Und Sandow! Sandow heißt sie?“

Der Banquier schien wieder in sein nachdenkendes Sinnen verfallen zu wollen, doch Nordheim, der den Zeitpunkt gekommen meinte, wo er für die Genannte handeln und eingreifen müsse, sagte ruhig, bestimmt: „Sie mögen im Einzelnen Recht haben! Aber nicht die Tochter, die Künstlerin selbst, hat zu jenem Bilde gesessen; ich denke mir. so muß die Mutter vor Jahren ausgesehen haben. Vielleicht wurde sie als junges Mädchen gezeichnet, und die Tochter hat jetzt diese Zeichnung zu ihrem Bilde benutzt. – Aber hatten Sie nicht einen Bekannten, einen Freund, der Sandow hieß? – Es ist mir, als hörte ich einmal davon!“

Der Banquier schnellte bei dieser Frage auf, schlug sich, wie sich selbst anklagend, mit der Hand vor die Stirn und rief, den Assessor zugleich beim Arme erfassend: „Herr, Sie wissen mehr, als Sie mir sagen wollen. Sie haben Recht! Wo war ich nur mit meinen Gedanken? Daher also die mir unerklärliche Zuneigung zu dem Bilde! – Ich hatte einen Freund, der Sandow hieß, Geschäftsfreund – war Fabrikant. Wir traten in Verbindung. Sie wissen, Banquiers und Fabrikherren müssen zusammenhalten. Er war ein ehrenwerther Mann, liebte seine Arbeiter und that mehr für sie, als sich mit seiner Casse vertrug. Das Sturmjahr 48 brachte sein Geschäft in’s Stocken, ihn bei seinen Ansichten und Ideen in Conflict mit der Meinung Höherer. – Ging mit nach Baden, war dumm! – Und das Uebrige wissen Sie!“

„Ja, ich weiß!“ sagte Nordheim ernst. Entschiedener setzte er hinzu: „Aber wollen Sie mir nicht dennoch das Weitere mittheilen?“

Wallbot lachte, nicht ohne Bitterkeit. Er stand auf und durchschritt einige Male unruhig das .Zimmer. Plötzlich jedoch blieb er stehen. „An Ihnen ist ein Pfaffe verdorben,“ sagte er sich wieder niederlassend; „sitz’ ich zur Beichte? Herr, ich wollte fast wünschen, das Bild nicht gekauft zu haben! Aber warum schreiben Sie auch solche Recensionen?“ setzte er nach einigem Schweigen, gezwungen lachend, hinzu. „Und nun kommen Sie noch und regen Gedanken auf –“

„Die doch gekommen wären!“ fiel Nordheim gelassen ein. „Hätten meine Worte und das Bild diese nicht schon hervorgerufen, würde mein Besuch, der ohne Ihre heutige Einladung Ihnen doch geworden wäre, sie geweckt haben. Warum sich einer Erinnerung entschlagen, die sich nicht abweisen läßt?“

Der Banquier blickte finster, fast erzürnt, grollend auf und sagte, seinen Verdruß unter wildem Humor verbergend: „Der Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich zu werden! – Was wollen Sie?“

Nordheim that, als höre er die Frage nicht. „Sie sind mir noch die Fortsetzung Ihrer Erzählung schuldig,“ sagte er gelassen. „Mich dünkt, Sandow floh nach der Schweiz. Und seine Frau?“

„Folgte nach,“ entgegnete Wallbot grollend, wie im Innern noch verletzt. Plötzlich jedoch sprang er auf und rief, wie zu sich selber redend: „Hol’ Alles Dieser und Jener! Was hilft das Drehen und Wenden, es muß doch zu Tage!“ und sich zu dem Assessor wendend, lachte er: „Warum sind Sie nicht ein Pfaff geworden? Aber Sie thun Recht. mich an die Frau zu erinnern. Brave Frau! Muß sie achten. Frau von Werner, die Dame „comme il faut“, deren Mann Reichstagsabgeordneter war. Wusste sich besser zu betten. Die Sandow folgte ihrem Gatten treu in’s Exil und –“ Er vollendete den Satz nicht. Erregt, wüthend lief er umher und schrie: „Zum Teufel, Herr, warum kamen Sie nur, um mich an den schuftigsten Tag meines Lebens zu erinnern? Sandow starb arm in der Fremde. Das sagt Alles, er und seine Frau aßen das Brod der Verbannung! Sandow hatte mir vor seiner Flucht ein Capital übergeben, oder es lag vielmehr noch, von unserer Geschäftsverbindung her, in meiner Casse. Er ließ es dort. Und als sich im fremden Lande nichts Passendes für ihn fand, er vielmehr fürchten mußte, dies Wenige noch zu verlieren, ließ er es mir, bis – bis – ich selber in die Brüche kam und endlich fallirte. Warum ließ er auch sein Capital bei mir? Es waren schlechte Zeiten. Herr, glauben Sie mir, wenn man so jahrelang redlich geschafft und gewirkt hat und sich dann plötzlich um alle seine Mühe und Anstrengung betrogen sieht, wenn man, wo man noch vor Kurzem stolz durch die Straßen fuhr, nun demüthig zu Fuß, um Gnade bettelnd, von einem Gläubiger zum andern laufen muß – das Herz versteint, man wird hart, ja momentan schlecht. O Herr, man sollte Verbrecher nicht zu hart beurtheilen, der Augenblick kann den Besten fallen machen! Und solch ein Tag, solch eine Stunde war es, wo die Sandow kam, um das Capital zu heben. Ihr Mann war gestorben, sie war in die Heimath zurückgekehrt. Noch seh’ ich im Geiste die Frau vor mir, wie sie so ruhig, durch Schmerz geläutert, von dem Verstorbenen sprach. Nur die innigste Liebe redete aus ihren Worten, und wie bleich, wie marmorbleich wurde sie, als ich ihr sagte, daß ich bankerott, daß ihr Geld verloren sei! Ihre letzte Hoffnung war vernichtet. Arm, bettelarm ging sie von mir. Wohin? ich habe es nie erfahren. Herr, warum betrog ich damals nicht, warum gab ich der Unglücklichen, die so treu, so gewissenhaft, so menschlich rein an der Seite ihres Gatten ausgeharrt und geduldet hatte, und die keinen Fluch, kein böses Wort mir gesagt, daß ich ihr das Geld nicht gerettet, nicht das Capital vorweg, bis zum letzten Heller! Hätte es den übrigen reichen Gläubigern geschadet, wenn sie einige Procente weniger aus der Masse erhalten? Sie, die Arme, ging gänzlich leer aus, denn ihr Vermögen stand nur in meinem Privatbuche

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