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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

denke ich, auch Deine Befürchtungen zerstreuen. Geh’ und suche die Worte Deiner Begleiterin zu mildern.“

Letzteres war nicht möglich. Der Anblick, der Empfang, der ihnen im Hause der Malerin zu Theil wurde, schlug jede gehegte Erwartung und Voraussetzung nieder. Elise stand vor ihrer Staffelei. Sie war mit ihren Gedanken, mit ihren Ideen bei ihrer Arbeit. Wie unwillig, ob der Störung, starrte sie die Eintretenden an. Wie kalt, wie majestätisch ernst blickte sie auf! Nur als Alexandrine mit ihrer kindlich, scheu mädchenhaften Freundlichkeit ihr nahe trat und sagte: „Herr Nordheim sprach von Ihnen; es drängte mich, Sie kennen zu lernen!“ glitt ein Hauch milder Freude über ihr Angesicht.

Als Alexandrinen bei Nennung des Namens eine feine liebliche Röthe unwillkürlich die Wangen überzog, ein leises Zittern in der Stimme sich bemerkbar machte, wurde ihr ernstes, dunkles Auge größer, und es war, als ob sie das Herz der Sprecherin bis auf den Grund erforschen wollte. Es war ein kurzer, aber peinlich-entscheidender Augenblick. Bei Beiden hatte der Name eine Fluth von Gedanken hervorgerufen; jede von ihnen schien erforschen und fragen zu wollen: was ist Dir der Genannte?

In diesem Augenblick trat die Mutter ein. Sie sah die Fremden, sie erkannte aber sofort die Aeltere und sagte, einen Schritt vortretend und Frau von Werner erstaunt ansehend: „Fanny!“ Es lag in diesem Worte unendlich viel.

Die Angeredete antwortete nicht; sie, die sonst nie um Worte verlegen war, die stets das Rechte, wenn auch schroff und entschieden, zu finden meinte, hatte verlegen, bleich den Blick gesenkt; sie, die kostbar, elegant Gekleidete, die stets Dominirende, stets Befehlende, stand vor der Kleinen, ärmlich Gekleideten, die in diesem Augenblick aber so hoch, so erhaben, so menschlich rein, voll weiblicher Würde und Größe, und doch mit gramdurchfurchten Zügen vor ihr stand, mit niedergeschlagenen Augen. Diese Minute zeigte, wer von Beiden im Leben das Rechte gethan.

Und wieder sprach die ärmlich Gekleidete, die Arme zur Reichen: „Fanny, müssen wir uns so wieder sehen? Denkst Du der Zeit, wo wir mitsammen Freude und Leid, als glückliche, nachbarlich zusammenwohnende Frauen, getheilt? Denke der Stunde, wo Du zum ersten Mal Dein Landgut betratest, das Dein Gatte Dir heimlich zum Geburtstagsangebinde gekauft hatte, und wo die transparenten, mit Blumen umkränzten Inschriften Dir entgegenleuchteten: „Willkommen, Fanny!“ Es ist anders geworden! Du stehst vor mir reich, vornehm, eine Andere, des Namens Deines Gatten Dich schämend. Er lebt im Exil. Der adlige Mann, der treue, liebende Gatte, der einst reiche Gutsbesitzer, fühlt sich glücklich, als unbedeutender Commis eines Handlungshauses sein Leben zu fristen, während Du – –! Laß mich schweigen! O Fanny! Du hast mich geschmäht, als ich treu, entschieden zu meinem Gatten hielt, unbekümmert um die Meinung der Welt, nur meinem Herzen, meiner Pflicht folgend. Wie hattest Du Deinen Gatten auf die Bahn des Fortschritts mit geleitet, als derselbe Aussicht auf Erfolg hatte – und wie nanntest Du es Thorheit, als er auch im Unglück seiner Ueberzeugung treu blieb! Ist dies Eure gerühmte Politik, Euer adliges Sein und Wesen?“

Die kleine Marie, die bislang scheu, verschüchtert an der Thür gestanden, während Alexandrine, keines Wortes mächtig, mit leuchtendem Blicke auf die Sprechende geschaut hatte, tief im Herzen den eigenen Muth wachsen fühlend, die Größe und Macht der Liebe erkennend, hatte sich herangeschlichen und die Mutter am Rock zupfend, während sie ihr Auge scheu, verschüchtert auf die Präsidentin gerichtet hielt, flüsterte sie laut, vernehmlich: „Mutter, das ist die Frau, die nach der Schule kam. Will sie uns doch in’s Armenhaus bringen?“

Frau Sandow zuckte bei diesen Worten heftig zusammen, ein unsagbarer Schmerz lagerte sich um ihren Mund, und rasch sich niederbeugend und ihren Liebling aufhebend, sagte sie bitter: „Fanny, spricht der Anblick dieses Kindes nicht mit Flammenschrift zu Dir? O Ihr reichen Leute, Ihr meint den Armen mit Eurem Gelde seine Schmerzen vergessen zu machen und wißt es nicht, wie tiefe Wunden Ihr damit schlagt. Gedenke, wenn Du wieder am Weihnachtsbaum stehst, daß auch der Arme ein Herz, eine Ehre hat, daß ein Wort der Liebe mehr Balsam enthält, als eine Jacke, mit der Du mein Kind für das Armenhaus einzukleiden gedachtest. Frau von Werner, unsere Wege trennen sich!“

Die Genannte, noch immer keines Wortes mächtig, trat einen Schritt näher; es war, als wolle auch sie das Kind erfassen, als wolle sie sprechen – doch die Thür ging auf, und Banquier Wallbot und der Assessor traten ein.

Alexandrine athmete freudig auf; alle Scheu überwindend, nur froh, daß sie einen Schutz, einen Beistand habe, eilte sie dem Geliebten entgegen und flüsterte, sich leise an ihn schmiegend: „Wie gut, daß Du kommst!“ Elise hatte dies Entgegenkommen bemerkt, sie hatte es gesehen, mit welcher Innigkeit, mit welcher zutraulichen Herzlichkeit Nordheim das junge Mädchen umfing, und in ihrer Brust zuckte es, als ob ein Messer durch ihre Seele ginge. Rasch fuhr sie sich mit der Hand über das Auge, als müsse sie einen schönen Traum, liebliche Bilder und Gedanken von hinnen scheuchen.

Wallbot aber hatte mit einem Blick das ganze Verhältniß der beiden Frauen, die sich in diesem Augenblick so kalt, so fragend gegenüberstanden, errathen. Er sah aber auch den unwilligen, ernsten Blick, mit dem er selbst von der Mutter der keinen Marie empfangen wurde, und rief, ihr seine Hand hinhaltend: „Schlagen Sie nur immer ein, meine liebe Frau Sandow. Herrn Nordheim habe ich bereits gebeichtet, und er wird gelegentlich meinen Fürsprecher machen. Ich komme als Mann, der ein begangenes Unrecht nach Kräften wieder gut machen will. Ihr Capital liegt für Sie bereit – und die Zinsen –“

Der starke, kräftige Mann, er konnte nicht weiter sprechen, er mußte sich mit der Hand über die Augen fahren, um seine Rührung zu verbergen. Er hatte das Aermliche der Wohnung erkannt – und fühlte, was die Frau bereits gelitten haben mußte. Rasch wendete er sich zu Elisen und sagte, gezwungen lachend: „Ihr nächstes Bild gehört mir, ich lege feierlich Beschlag darauf! Dem Assessor aber müssen wir den Kopf waschen, er allein hat mich verleitet, Ihren Navez von dem Sohr zu kaufen. Er ist der Urheber der ganzen Geschichte! – Ich würde sagen, Kind, fragen Sie ihn nicht allein bei Ihrer Kunst um Rath, sondern wenden Sie sich auch in allen andern Lebensverhältnissen an ihn; müßte ich nicht fürchten, daß seine kleine Nachbarin, die ihn so fest hält, als fürchte sie ihn zu verlieren, dagegen Einspruch thun würde. Die kleine Schelmin hat sein Herz gefangen!“

Alexandrine ließ den Arm ihres Begleiters rasch fahren und eilte hocherröthend zu Elisen. Sie umfing sie stürmisch und rief: „Wir wollen Freundinnen, herzinnige Freundinnen sein!“

Elise sagte nichts; sie umfing lautlos, still das junge Mädchen und drückte es fest an ihre hochklopfende Brust, indeß ihr Auge groß, sinnend, wie in eine endlose Leere hinstarrend, ausschaute.

Frau von Werner, die dem Ganzen mit wachsendem Interesse zugeschaut und längst ihre frühere Ruhe und Energie wieder erlangt hatte, wendete sich kalt, spöttisch lachend zur Thür und sagte hinausschreitend, wie zu sich selber sprechend: „Ridicül! Das hat man davon! Solche Leute wissen nichts von Ehre, Anstand; – Liebe – und immer Liebe! – Ridicül! – Der Wallbot ist ein Narr!“

Der Banquier sah sie gehen; er hörte seinen Namen und sagte, sich zu Nordheim wendend: „Kommen Sie, Frau von Werner hat das Weite gesucht. Lassen Sie uns ein Gleiches thun. Spätere Besuche werden Alles regeln!“ Und der Mutter und Elisen die Hand zum Abschiede reichend, sprach er. „Ade! Gott erhalte Sie. Auf Wiedersehen!“

Draußen aber sprach er zu Nordheim und seiner Begleiterin, der kleinen, still gewordenen, glücklichen Alexandrine: „Welch einen Schatz hat der Sandow an dieser Frau und seinen Kindern gehabt! Dagegen die Werner!“

Er sagte nichts weiter; Jeder dachte sich das Seinige. Drinnen im Zimmer aber ließ Marie ihre Puppe tanzen, fröhlich derselben erzählend, daß sie nun nicht in’s Armenhaus kämen. Die Mutter hatte wie betend die Hände gefaltet, und sich zu ihrer ältesten Tochter wendend, sprach sie: „Elise! es wird besser werden! Nun kannst Du froher, freudiger Deiner Kunst leben!“

Die Tochter umfaßte die Mutter, sie wollte nicht weinen und mußte es doch, leise, tiefgepreßt. Endlich sagte sie, mit Kraft sich aufrichtend und zu ihrer Arbeit gehend: „Es war ein Traum! – Ich habe ja noch Dich, Dich meine Kunst! – Ich will weiter schaffen!“


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