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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


die er in Breslau mit dem größten Beifall gegeben hatte; aber seine eigene Befangenheit und vor Allen der Rath Deinhardstein’s und der Wiener Schauspieler, Maß zu halten und die Traditionen des Burgtheaters zu beachten, wirkten so erkältend auf seine Darstellung, daß er dem Publicum keinen Beifall abzugewinnen vermochte. Endlich gelang es ihm in Pesth ein eben so vortheilhaftes, als auch für seine künstlerische Entwickelung wichtiges Engagement abzuschließen. Hier fand er bald die verdiente Anerkennung und Bewunderung seines sich immer glänzender entfaltenden Talents. Zugleich lernte er daselbst Fräulein Pfefer, die Tochter einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien, kennen, die den allgemein geachteten Künstler später mit ihrer Hand beglückte. Ein Gastspiel, wozu er nach Karlsruhe eingeladen war, führte, trotzdem er von dem Publicum daselbst mit dem größten Beifall aufgenommen wurde, nicht zu dem gewünschten Resultat, das er bald darauf nach dem Abgang des ersten Liebhabers Carl Devrient unter den glänzendsten Bedingungen erlangte. Bis zum Jahre 1849 verblieb Dessoir als Mitglied des dortigen Hoftheaters, hochgeachtet als Mensch und Künstler, anerkannt von der Kritik und von der großherzoglichen Familie. Sein Leben und Wirken gestaltete sich immer freundlicher, sein Ruf verbreitete sich durch ganz Deutschland, so daß ihm zuletzt von der Berliner Hofbühne unter dem Generalintendanten von Küstner ein Gastspiel angeboten und somit sein Herzenswunsch erfüllt wurde, in der Stadt der Intelligenz aufzutreten.

Leider geschah dies zu einer höchst ungünstigen Zeit und zwar im Jahre 1847, während des sogenannten Kartoffel-Aufstands in Berlin. Die Straßen waren mit tobenden Volkshaufen gefüllt, so daß der Künstler nur mit Mühe durch die wogende Menge bis zum Schauspielhause dringen konnte, wo er, getreu seinem Schwur als Jüngling, über die große Freitreppe seinen Einzug hielt. Trotzdem unter diesen Verhältnissen die Vorstellung nur schwach besetzt war, feierte Dessoir gleich den ersten Abend einen glänzenden Triumph. Unter den Zuschauern, die den fremden Künstler durch ihren Beifall ehrten, befand sich der damalige Prinz von Preußen, der jetzige König Wilhelm I., der mit am lebhaftesten ihm applaudirte. Mit jeder neuen Rolle stieg seine Beliebtheit, und bei der letzten Gastrolle, welche Shakespeare’s Othello war, verlangte das Publicum so stürmisch seine Anstellung in Berlin, daß er sich genöthigt sah, gegen das ausdrückliche Verbot, einige Worte an die aufgeregte Menge zu richten, um dieselbe zu beschwichtigen. Wurde auch Dessoir damals noch nicht engagirt, weil alle Fächer besetzt waren, so hinterließ er doch ein so ehrenvolles Angedenken, daß die Intendanz ihr Augenmerk für den Fall einer Vacanz auf ihn gerichtet hielt. Reich an Anerkennung und Lob kehrte der Künstler nach Karlsruhe zurück, wo im Jahre 1849 der badische Aufstand ausbrach. Der Großherzog mußte flüchten, das Hoftheater wurde aufgelöst, und Dessoir gastirte in Hamburg, als in Berlin der bekannte Hofschauspieler Hoppé starb, an dessen Stelle er sogleich berufen wurde.

Seitdem zählt Dessoir zu den beliebtesten und angesehensten Mitgliedern des Berliner Schauspiels; vorzugsweise gilt er für den würdigen Repräsentanten und Vertreter des classischen Drama’s. In den Tragödien Shakespeare’s, Schiller’s und Goethe’s befriedigt er in gleicher Weise den Kenner wie das Publicum durch die Tiefe seiner Auffassung, die innere Kraft seiner Darstellung und die Energie des leidenschaftlichen Pathos. Sein Richard III., Othello, Coriolan, Hamlet, Brutus, Butler etc. sind in jeder Beziehung Meisterwerke, in denen er den Zuschauer überrascht und mit sich fortreißt. Nicht minder glänzt er in den Werken neuerer Künstler als „Caligula“ in Halm’s „Fechter von Ravenna“ und als „Narciß“ in dem gleichnamigen Drama von Brachvogel, eine Rolle, die er geschaffen hat und die kein zweiter Darsteller in Deutschland mit ähnlicher Vollendung giebt. Diese Erfolge sind um so höher zu veranschlagen, da Dessoir, wie sein berühmter Vorgänger Seydelmann, von der Natur nicht besonders begünstigt ist; sein Organ klingt rauh, seine Gestalt ist für den Heldenspieler zu klein und gedrungen. Wie Seydelmann hat auch er Alles sich selbst und seinem Geiste zu verdanken. Von den meisten seiner Collegen unterscheidet er sich durch das geistige Gepräge, das er jeder seiner Rollen zu geben weiß, und selbst da, wo der Kenner mit seiner Auffassung nicht einverstanden sein kann, wird er doch der immer interessanten Leistung mit Spannung folgen und den echten Künstler, auch wo er irrt und sich vergreift, sogleich erkennen. Dessoir verschmäht die kleinen Hülfsmittel, die gewöhnlichen Theaterkunststücke; stets ergreift er seine Rolle in ihrer Totalität, in großen Zügen, indem er jede kleinliche Detailmalerei und Effecthascherei mit Absicht vermeidet. Seine Charaktere sind aus einem Guß, historische Bilder von mächtiger poetischer Wirkung und Wahrheit, keine Genregemälde der modernen Schule, die den Sinn für das höhere Drama und die classische Tragödie verloren zu haben scheint. Er dringt in die Tiefe seiner Aufgabe mit seltenem Scharfblick und läßt sich nicht wie die Mehrzahl seiner Collegen an der Oberfläche genügen. Deshalb tragen alle seine dramatischen Gebilde den Stempel der Innerlichkeit und Gediegenheit. Immer sind seine Intentionen groß und von einem idealen Hauch durchweht, wenn auch zuweilen das Maß seiner Kräfte ihre vollendete Ausführung nicht zuläßt. Man erkennt zu jeder Zeit in ihm den philosophischen Künstler, der mit dem Dichter Hand in Hand geht und den Schatz der Poesie zu heben sucht, wodurch er einen besondern Reiz auf jeden gebildeten Zuschauer ausüben muß. Die männliche Energie, welche ihn auch als Menschen charakterisirt und gleichsam das Geheimniß seiner Erfolge enthält, bewahrt ihn jedoch vor der gewöhnlichen Schwäche der sogenannten denkenden Schauspieler und verleiht seinen Leistungen die nöthige plastische Kraft und Leidenschaft. Deshalb gelingen ihm auch solche Rollen am besten, in denen eine dämonische Natur gewaltsam hervorbricht und die tiefe zurückgehaltene Leidenschaft plötzlich emporschießt, wie im Othello Shakespeare’s und in dem Schiller’schen Butler, oder die Helden des Gedankens, wie Hamlet.

Diesen Eigenschaften verdankt Dessoir seine Stellung am Hoftheater und die Anerkennung des Publicums und der Kritik, welche in ihm den würdigsten Darsteller Shakespeare’s und der deutschen classischen Dichter erblickt. Ganz besonders war es der ausgezeichnete Dramaturg Rötscher, der die Verdienste des Künstlers in ausführlicher Weise gewürdigt und die einzelnen Rollen Dessoir’s eingehend besprochen hat; weshalb wir auf ihn verweisen müssen, da der uns gestattete Raum eine weitere Behandlung der verschiedenen Rollen nicht erlaubt. – Im Jahre 1853 erhielt Dessoir die Aufforderung, sich einer Gesellschaft der vorzüglichsten deutschen Schauspieler anzuschließen, die in London eine Reihe von Vorstellungen mit großem Beifall eröffnete. Hier in der Heimath Shakespeare’s gab der Künstler den Othello; kein geringes Wagstück, nachdem der berühmte Edmund Kean in dieser Rolle die höchsten Triumphe gefeiert hatte, so daß kein Schauspieler, selbst nicht der eigene Sohn Kean’s, es wagte, nach ihm in derselben Rolle aufzutreten. Trotzdem Dessoir mit solchen fast unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang es ihm, das von traditionellen und nationalen Vorurtheilen erfüllte Publicum nach und nach zu begeistern und in dem Maße zu befriedigen, daß die englische Kritik und besonders Lewes, der berühmte Verfasser von „Goethe’s Leben“, ihn als den würdigen Nachfolger Kean’s, des besten englischen Schauspielers, anerkannten und ihm an die Seite stellten. – In dem Atelier des ausgezeichneten Hofphotographen L. Haase ist vor Kurzem ein Album erschienen, welches Dessoir in seinen Hauptrollen darstellt. Diesem Album ist das der Gartenlaube zu diesem Zwecke überlassne Bild des Künstlers als Richard III. entlehnt.

Max Ring.



Vor- und Rathschläge zu Sommercuren.

Wer’s irgendwie möglich machen kann, mag er kank oder gesund sein, der sollte es auch stets thun, nämlich in schöner Jahreszeit sein Haus und Geschäft auf einige Zeit verlassen, um in Gottes schöner freier Natur seinen Körper recht ordentlich abzumausern und zu restauriren. Denn nichts fördert die Reinigung unseres Körpers von unbrauchbaren, durch ihre widernatürliche Anhäufung im Blute sogar gefahrbringenden Stoffen (Organenschlacken) mehr, als eine zweckmäßige Bewegung bei passender Kost und erquickender Ruhe (des Geistes, Gemüthes und Körpers) in reiner (zumal sonniger Wald-) Luft.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_344.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)