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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Farbenpracht ihren Kranz von Fühlfäden und läßt uns nicht Zeit auf den Regenwurm zu achten, den alten Bekannten vom Festlande her, der sich mit seiner gemeinen Gestalt unter diese farbenprangenden, beweglichen Gebilde drängt. Aber was ist das? Welche Verwandlung geht mit dem unscheinbaren Wurme vor? Er schwillt an, er wird größer und größer. Ein Kranz von weitverzweigten blattförmigen Fühlern tritt aus dem Mundwerk hervor und bewegt sich tastend hin und her. Er sammelt Nahrung im Sande und führt sie der Mundhöhlung zu. Der dürftige Leib wird ein weiter rosenfarbener Schlauch, durch dessen Haut, wie durch eine feine Gaze, die thätig arbeitenden Eingeweide deutlich durchscheinen. Fünf weiße Muskelstreifen ziehen sich vom Kopf bis zum unteren Ende des Thieres hinab, das bald eine Länge von 1½ Fuß und einen Durchmesser von fast einem Zoll erreicht. Jetzt schnüren sich die Muskelbänder an einer Stelle des Leibes zusammen und dehnen sich wieder aus. So hebt sich das zarte Geschöpf höher und höher und bald wiegt es sich leicht und schwebend im Wasser hin und her. Beugen wir uns leise näher zu ihm nieder. Die glasartig durchscheinende Haut gönnt uns einen Blick in das Innere. Wir sehen Muscheln und Steinchen langsam durch den Verdauungscanal niedergleiten und ihn oft von der verschlungenen Beute knotig anschwellen.

Jetzt nähert sich das Thier den breiten Blättern der Alge und heftet sich plötzlich mit einem Theile des Körpers fest an das Blatt. Nun ist es Zeit es zu fangen. Wir haben Dich, Synapta! Wir strecken unsern Hakenstock aus, wir ziehen das lange bewegliche Blatt langsam zu uns heran, wir heben es dann rasch aus dem Wasser an’s Land. Die Synapta haftet noch fest daran, aber sie schrumpft wieder zu dem unscheinbaren Wurme zusammen, der bei der ersten Entdeckung zwischen Sand und Steinen hervorkroch. Der Fühlerkranz ist eingezogen, der rosenfarbene Schlauch, die weißen Emailstreifen sind verschwunden, aber indem wir das Thier ergreifen und vom Blatte trennen wollen, bleibt uns ein Stück desselben in der Hand, das andere am Blatte zurück, von dem wir es nur mühsam losreißen und die zerstückelte Beute zu unsern andern Schätzen in ein Gefäß mit Seewasser legen, um es daheim mikroskopisch zu untersuchen.

Die nebenstehende Zeichnung der Synapta ist von der kundigen Hand des bekannten Pariser Naturforschers de Quatresages nach dem Leben entworfen, aber das wunderbar zarte, glasartig durchscheinende Geschöpf selbst vom leichten Roth mit seinem vielverzweigten Fühlerkranze bleibt unerreichbar für den Zeichner. – Bringen wir nun ein Stück der Haut des Thieres unter das Mikroskop. Da sehen wir auf einer Fläche von wenigen Linien im Quadrat, für das bloße Auge kaum als staubfeine Punktirungen erkennbar, in regelmäßigen Reihen 30–40 Krystallanker, deren jeder mit einem zierlich gegitterten Gestelle verbunden ist. Wenn wir die Haut auf chemischem Wege auflösen, so bleiben die Kalkkörperchen, welche in der Haut abgelagert sind, die Anker und Gestelle, glashell zurück und zeigen unter dem Mikroskope die Gebilde auf der nebenstehenden Zeichnung. Zunächst ziehen die Anker unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die elegante und schöne Form dieser von der Natur auf eine einzelne Synapta zu Tausenden vertheilten Haftorgane übertrifft bei weitem die vom schöpferischen Menschengeiste zu ähnlichen Zwecken, zu Haftwerkzeugen im Meere, erdachten Schiffsanker. Ihr cylindrischer Stab ist nach unten eine Strecke weit leicht angeschwollen, um dann wieder verdünnt in die Handhabe auszugehen. Diese fällt durch ihren convexen gezähnelten Rand auf. Am oberen Ende des Ankers befindet sich stark gekrümmt der Bogen. Sein Außenrand ist oft glatt, oft in der Mitte oder gegen die Spitze hin mit feinen Zacken, vergleichbar den Zähnen einer Säge, besetzt. Man begreift leicht, wie es dem Thiere möglich wird, sich mit Hunderten von diesen Ankern zugleich so fest an einen Gegenstand zu heften, daß auch der stärkste Wellenschlag es nicht loszureißen vermag. Mit dem untern Theile des Stieles, der gezackten Handhabe, greift der Anker in die Löcher des hinteren Theiles der Krystallplatte ein, die wir neben dem Anker gezeichnet sehen. Bei den meisten Arten der Synapten erhebt sich über den hinteren Theil der Gestelle oder Platten ein Bügel, unterhalb dessen der Anker in die Locher eingreift, offenbar dazu bestimmt, den Anker in einer schrägen festen Richtung zu erhalten.

Wir haben bis jetzt neun verschiedene Arten von Synapten untersucht und bei jeder Art anders geformte Anker und Platten gefunden, die bei den größten Arten schon mit bloßem Auge erkennbar sind, weil sie eine Länge von einer Linie erreichen. Die größten Arten leben im indischen Ocean und werden mehrere Fuß lang. Häufig sind zwischen den Ankern viele unregelmäßig, oft sternförmig geformte kleinere Kalkgebilde abgelagert. Noch bei weitem zierlicher und bis in die feinsten Details kunstvoll ausgearbeitet sind die Kalkräder der den Synapten verwandten Chirodota, über die wir uns in einem andern Briefe mit Ihnen unterhalten werden.




Eine Erinnerung aus den dreißiger Jahren.

Mit dem Jahre 1830 wurde die alte Ruhe der Welt zu Grabe getragen. Auf die Juli-Revolution folgte die belgische, dann die polnische Erhebung, beide die Trennung aus den unnatürlichen Banden erstrebend, in welche die Diplomatie sie geschmiedet hatten. Während Belgien, durch das Bürgerkönigthum unterstützt, seinen Zweck erreichte und unter dem gewählten Könige zu einem wahren Musterstaate sich ausbildete, unterlag das unglückliche Polen, von Europa verlassen, seinen Erbfeinden, denn die Regierungen von Oesterreich und Preußen, auf altes Unrecht neues häufend, halfen das unglückliche Land wieder in die alten Fesseln schlagen und überlieferten es der Rache seines Feindes. Diese Schuld trifft aber nur die Cabinete – die öffentliche Meinung hielt es mit dem verfolgten Rechte, und die polnischen Flüchtlinge, welche so glücklich waren, der russischen Rache zu entrinnen, wurden von dem deutschen Bürger überall mit offenen Armen aufgenommen.

Das bisher so stille und ruhige Deutschland wurde durch alle diese Begebenheiten nicht wenig aufgeregt: der deutsche Michel erinnerte sich wieder lebhaft, daß noch nicht alle Versprechungen erfüllt seien, welche ihm feierlich geleistet waren, und es gährte heftig vom Fuße der Alpen bis zu den Dünen der Nordsee, so daß Polizei und Bureaukratie gewaltig beschäftigt waren, einen Ausbruch zu verhüten und die aufgeregten Gemüther nach und nach wieder zu beruhigen. Aber während äußere Ruhe nach und nach wiederkehrte und die Streitpunkte nur noch auf den Rednerbühnen der deutschen Ständekammern, wo solche bestanden, und in den Spalten der liberalen Presse, soweit die Censur dies gestattete, erörtert wurden, gährte es unter der Oberfläche desto heftiger fort, und die neuen Ideen waren tiefer gedrungen, als die äußerliche Ruhe vermuthen ließ. Der 20. März 1833 schreckte die Machthaber auf: der verunglückte Angriff auf die Constabler-Wache in Frankfurt a. M. zeigte plötzlich, daß es noch Leute in Deutschland gebe, welche im Nothfall entschlossen waren, ihr Leben für ihre Ueberzeugung und für die gehoffte Freiheit hinzugeben.

Vergebliches Bemühen! Der kleine Haufen unterlag, und die jetzt beginnende Untersuchung entdeckte, wie der spätere Bericht sagte, eine weitverzweigte Verschwörung zum Umsturz der gegenwärtig bestehenden Zustände und Errichtung einer deutschen Republik! Auch nach dem gesegneten Würtemberg war das Gift dieses revolutionären Geistes gedrungen und hatte neben vielen Belialssöhnen aus allen Ständen und Altern sogar unter dem Militär Theilnehmer gefunden, ja ein Officier des königl. Armeecorps stand an der Spitze der Würtemberger Verschwornen, welche, nach der officiellen Darstellung, nichts Geringeres im Sinne hatten, als in Würtemberg die Republik zu proclamiren und bei etwaigem Widerstande Stuttgart niederzubrennen, als warnendes Beispiel für Alle, welche der neuen Bewegung sich widersetzen sollten!

Ein unruhiges, geheimnißvolles Treiben regte die sonst so zufriedenen Gemüther der guten Schwaben auf: Feldjäger trabten in der Stille der Nacht durch die Dörfer, Befehle gingen und kamen zwischen den Garnisonstädten in rascher Folge, und irgend ein ungeheures Ereigniß schien bereit, über die Welt hereinzubrechen – da kreißte der Berg, und das erstaunte Land erfuhr die Verhaftung des Oberlieutnants v. Koseritz und ungefähr eines Dutzends

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_365.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)