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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Das eine große Gehöft ist die Wechselstelle für die Reisepferde, und darauf zu trabt vergnügt das kundige Rößlein. Zwischen reifenden Getreidefeldern und blühenden Hagen, zwischen Gärten und Häusern hindurch geht der Weg zum Stift. Ohne Verzug erhalte ich ein frisches Pferd, und dieses jagt mit mir nach dem nahen Wasser. Dort ist das Boot rasch bestellt und noch ein zweites, welches eine sanglustige Gesellschaft aufnimmt, wird gebracht, und mit gleichmäßigem Schlage treiben die Ruderer beide Fahrzeuge durch die grünen Wogen. Mehr und mehr erstirbt der Gesang aus dem andern Boote, welches sich weiter von dem meinen entfernt. Aber neuer Klang tönt von allen Bergen hernieder. Glatt und ruhig liegt der See vor mir, doch dröhnt und donnert es ohne Unterlaß; das Wasser, welches von den Bergen stürzt, rauscht und braust seine gewaltigen Weisen. Welch’ eine Landschaft! Grün und Schwarz und blendend Weiß sind die Farben des Bildes: grün sind die Wellen des Sees, grüner kaum die Wände des Thales; aber dunkel sind die Berge wie früher, und nur die Wildbäche ziehen ihre lichten Streifen. In der Ferne raucht es, als ob ein gewaltiges Feuer brenne; es ist der Wasserstaub über dem prächtigen Fall der Tesse, welche einen See verläßt, um sich in den andern zu stürzen. Eine Viertelmeile weit hört man den Donner der sich zu Gischt auflösenden Wassermassen. Jede neue Biegung des Sees rollt andere prächtige Bilder auf, aber jedes einzelne ist gleich großartig und gleich bezaubernd. Die Gehöfte am Ufer zeigen von dem behäbigen Wohlstand ihrer Bewohner. In dem größten Hofe dort wohnt der reiche Engländer, welchen die schönste Bewohnerin des Sees hier fesselte, welcher einem Bauermädchen zu Liebe norwegischer Bauer wurde.

Stetig und ruhig schwimmt das Boot weiter, der Wechselstelle Gardmoe zu, welche endlich in dem Grün der Birken sichtbar wird. Das ist ein echt norwegisches Haus! Alle Giebel und Gesimse sind mit Schnitzwerk geziert, und zwar mit Schnitzwerk, welches einem Bildhauer zur Ehre gereichen würde, so schmuckvoll und mannigfaltig sind die Arabesken. Die Schränke im Innern der großen Stube sind nur eine Schnitzerei. Einzelne Gebäude stehen, wie es hier Sitte ist, auf hölzernen Säulen, aber auch diese sind zierlich gearbeitet worden. Das Gehöft ist still und leer, denn fast alle Bewohner sind ringsum mit der Ernte beschäftigt. Doch jetzt ruft sie die in einem Vorbau wie in einer Siedelei hängende Glocke heim zur Erfrischung und Erquickung. Auch ich finde köstliche Milch und gutes Brod zum Mittagsmahl.

Gardmoe ist keine feste Wechselstelle, sondern nur eine Vermittlungsanstalt zwischen den Reisenden und den Bauern, welche verpflichtet sind Erstere weiter zu befördern. Der Mann, an welchem heute die Reihe ist, erscheint und befördert mich mittelst seiner entsetzlichen Stolkjärre in kurzer Zeit nach Lom.

Das hölzerne Gotteshaus dieses ausgedehnten Kirchspiels bezeigt durch seine dunkle Färbung, daß es schon vor Jahrhunderten erbaut wurde, und die merkwürdigen Drachenköpfe, welche alle Firstenenden des mehrfach abgesetzten und immer höher steigenden Daches krönen, scheinen an jene Zeit erinnern zu wollen, in welchem die nordländischen Könige in ihren Meerungeheuern die salzige Meeresfluth durchzogen, um den Ruhm ihrer Waffen weithin durch die Lande zu tragen. Rings um das Gebäude breitet sich der frischeste, grüne Wiesenteppich aus, und selbst an den Felsen weben die Birken lichtgrüne Blüthen und die Bäche lichte, silberne Bänder ein. Neben der Kirche liegt der Pfarrhof, ein stattliches und gar freundliches Holzgebäude.

Im nahen Stift klappert der Webstuhl, die Tochter des Bauers sendet mit gewandter Hand das emsige Schifflein durch die selbst gesponnenen und gefärbten Wollfäden, um das bunte Zeug zu bereiten, aus welchem sie für sich und die Ihrigen Kleider fertigen will. Ein neuer Wagen wird bestellt und rasch bespannt, und weiter geht die Fahrt der tobebden Bäbra entgegen. Immer höher werden die Felsen, immer steiler werden die Wände, immer enger wird das Thal. Die Felder schmelzen zu kleinen Beeten zusammen, welche hier und da zerstreut zwischen den Blöcken liegen und nur mit wenig Garben die schwere Arbeit lohnen können; die Gehöfte hängen wie Adlerhorste an den Steilungen. Eine wahrhaft großartige Gebirgswelt rollt sich vor dem trunkenen Auge auf und läßt dem Blick in Einem die Frische und den Reichthum der Tiefe und die schimmernde Anmuth und Kälte der Höhe erfassen. Die eisigen Gletscher hängen über den grünen Wiesen und fruchttragenden Feldern.

Ein Bewohner des Thales gesellt sich zu mir mit freundlichem Gruß und legt vertraulich die Hand an den langsam bergansteigenden Wagen, um allerlei Fragen an mich zu richten und zu erfahren, ob im großen Deutschland das Volk ebenso frei und glücklich sei, wie in seinem Norge; ob denn wirklich die Deutschen gegen Gesetz und Recht den Dänen ihr Land nehmen und den ganzen Norden überschwemmen wollten, wie er in den Zeitungen gelesen; ob es in meinem Vaterland auch so „häßliche“ Berge gäbe wie hier u. s. w. Erst nach langem Zwiegespräch wendet sich der freundliche und redselige Mann von mir und wandert seinem Hause zu, welches er mir vorher zeigte mit allem Stolz und aller Freude eines glücklichen Besitzers.

Immer einsamer wird das Thal, immer seltener werden die Gehöfte, mehr und mehr verdrängt die wilde Natur den Menschen. Plötzlich endet der Weg. In einer Gebirgsschlucht hat das Wasser ungeheure Massen von Blöcken und Steinen von der Höhe herab in das Bett der Bäbra getragen und dabei das ganze Thal verschüttet und in eine Wildniß verwandelt. Diesseits des Wildbachs stehen Hunderte von Karren und Wagen, der Besitz aller Landleute, welche im Sommer oder jahraus jahrein oberhalb dieser Orte im Thale wohnen, aber ihr Fuhrwerk erst von hier aus benutzen können. Dorthin wird auch mein Karjol gestellt, und das davor gespannte Pferd von nun an als Saumthier benutzt, denn die Wechselstelle Rödsheim liegt noch weiter oben im Thal, dort wo die wilde Bäbra sich mit der aus den Gletschern des Galdhaaspiggen geborenen Wiesendalelf vereinigt.

Der Besitzer von Rödsheim verspricht, selbst mit mir über die Gebirge zu reisen, und führt am andern Tage das starke Saumpferd vor, welches mein Gepäck und, wenn der Weg es erlaubt, auch mich über das Fjeld tragen soll. Wir nehmen Abschied von der freundlichen Hausfrau und ziehen weiter nach oben, der Bäbra entgegen. Anfangs führt der Weg noch an mehreren Gehöften vorüber, doch erhebt er sich bald mehr und mehr und läßt den Menschen und sein Treiben unter sich, dafür aber das Gebirg den Blicken erschließend. Die gewaltigen Massen, welche sich westlich von uns zusammenbauen, um den Riesen des Landes zum Fuß zu dienen, sind sämmtlich mit Gletschern bedeckt; das ewige Eis der Höhe breitet sich meilenweit vor dem Auge aus und zeigt sich überall, in der Nähe wie in der Ferne. Die Birken krüppeln und verkümmern, aber noch deckt die niedliche Zwergbirke mit dem Wachholder und der wie Abendroth schimmernden Haide die Bergflächen und Gehänge. Ein Volk Morastschneehühner läuft über den Weg und zeigt sich in seiner bunten Sommertracht, wenn auch nur auf Augenblicke dicht neben den einsamen Wanderern – ein gar seltenes Schauspiel! Sonst begegnet man nur noch dem überall gegenwärtigen munteren Steinschmätzer und hier und da einem Falken, alle übrigen Thiere meiden die Höhe.

Mild und heiter senkt sich der Abend nieder, und sein Schimmer spiegelt sich wieder auf den krystallenen Dächern der Berge; aus der Tiefe tönen noch leise die Heerdenglocken wie fernes Abendläuten herauf; dann wird es still und dunkel, und nur die Gletscher leuchten noch der geschiedenen Sonne nach, bis auch sie im grauen Nebel der Nacht verschwimmen. Der Weg führt wieder in die Tiefe herab, und das verständige Saumthier prüft jetzt vor jedem Schritte die Stelle, auf welcher es fußen will. Das Wasser allein ist noch lebendig und rauscht seine ewigen Weisen in die Stille der Nacht. Endlich zeigt uns ein schimmernder Lichtstrahl das Ziel der Wanderung. Zwei Sennhütten liegen am Ufer des Sees, sie sind ärmlich und unfreundlich, und von dem dicken Schmuze, welcher sie umgiebt ist ein guter Theil auch in ihr Inneres gekommen, aber sie sind die einzigen Wohnungen weit und breit und deshalb willkommen. Die Aufnahme läßt Vieles zu wünschen übrig, ja, die Besitzerin ist sogar recht unfreundlich; doch Keiner von uns kehrt sich daran. Wir richten uns ein, so gut es gehen will, bereiten uns selbst das einfache Abendbrod und suchen dann trotz alles Käsegeruchs im Raume auf unserm erbärmlichen Lager die Ruhe. Am andern Morgen belehrt uns die Unverschämtheit unserer Wirthin, daß Engländer auch hier schon die angestammte Gastfreundschaft durch ihr Gold zu verbannen wußten.

Wir steigen noch immer längs der Bäbra bergan. Die Landschaft wird öder und trauriger mit jedem Schritte. Die Pflanzenwelt scheint bis auf Moose und Flechten erstorben, nur hier und da zeigen sich einzelne verkümmerte Büsche in dem Morast, welcher sich überall bildete, wo das Wasser nicht raschen, freien Abzug fand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_390.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)