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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Dinge ungeschminkt mitzutheilen. Sollte Ihnen noch irgendetwas Bemerkenswerthes aufstoßen, so werden Sie es mir ja sofort wissen lassen!“

Er trank den Rest seines Weines aus, griff dann nach seinem Hute und verließ nach einem kurz gewechselten Händedrucke mit dem Alten das Haus.

Eine Weile noch saß der Alte, wie in tiefen Gedanken den Kopf gesenkt. „Nur aus Furcht vor ihrem ausgebliebenen Manne soll sie nicht mit ihm zusammengetreten sein“, brummte er endlich mit leisem Kopfschütteln. „Sie machen sich Alles nach ihrer eigenen nüchternen Seele zurecht und wundern sich nachher, daß es noch Hoffnungen giebt, wo sie längst damit zu Ende sind. Armes Kind! Als ob sie nicht ein noch schwereres Kreuz hätte auf sich nehmen wollen, wie es ihr alter Freund getragen, als ob zwischen den beiden Kindern ein einziger böser Gedanke aufgestiegen wäre – und da soll eine Sache aufgegeben werden, die gar nicht verderben kann, wenn nicht Alles, was irdische und ewige Gerechtigkeit heißt, zur Lüge werden soll!“

Trotz einer Art leichten Unwillens aber, welcher in den letzten Worten klang, trat dennoch ein sorgenvoller Ausdruck auf seine Stirn, und er erhob sich, wie in aufsteigender innerer Unruhe. „Gott gebe nur, daß sie zur rechten Zeit stark genug ist, um Zeugniß abzulegen, sei es auch nur des moralischen Eindrucks halber!“ fuhr er dann fort, einige Male rasch das Zimmer durchmessend, und öffnete hierauf die Ausgangsthür. „Jakob, das Pferd!“

Nach einer halben Stunde bereits hatte er das Gut des Amtsraths erreicht; in dem Hofe stand der Justitiar im Gespräch mit einer jungen Frauensperson, welche bei dem Klange der Pferdetritte sich rasch umwandte und sodann davon eilte, und die Augenbrauen des Ankommenden zogen sich bei ihrem Erblicken dicht zusammen. Mit einer plötzlichen Leichtigkeit schwang er sich aus dem Sattel, warf den Zügel über die Eisenstangen des Gitters und schritt hastig auf den ihn erwartenden Gerichtsmann zu. „Wissen Sie, Herr Justitiar,“ sagte er, während ein leichtes Roth in die welken Backen trat, „wenn Sie mir die Christine hier in voller Thätigkeit lassen, so stehe ich Ihnen nicht für das Leben der Kranken. Ich halte es, gerade heraus gesagt, mindestens für eine Taktlosigkeit, bei den bewandten Umständen die Frau vom Hause unter die Obhut ihrer Anklägerin zu stellen; die Amtsräthin weiß schon aus dem kurzen Verhör, das an jenem unglücklichen Tage mit ihr vorgenommen wurde und sie auf’s Krankenlager warf, was die Creatur wider sie ausgesagt, und jeder Laut aus deren Munde, welcher zu der Kranken dringt, muß Gift für diese werden!“

Der Justitiar neigte mit einem kalten Lächeln leicht den Kopf. „Ich entschuldige Ihre Ausdrucksweise, Herr Doctor, mit Ihrem Interesse für die junge Frau,“ erwiderte er gemessen, „indessen sollten Sie bedenken, daß meine eigenen Pflichten diesem nicht nachstehen können. Im Augenblicke bin ich den Verwandten des Verstorbenen für den gesammten Nachlaß verantwortlich, denn Sie werden einsehen, daß, wenn die Untersuchung irgend einen bestimmten Antheil der Frau an dem begangenen Verbrechen herausstellen sollte, ihre Erbansprüche, welche aus dem Ehe-Contracte erwachsen, sehr in Frage gerathen dürften, Christine ist nun nicht allein die Einzige, welche seit der Verheirathung des Amtsraths einen großen Theil der Wirthschaft bereits unter sich gehabt, sondern sie hat durch ihre Aussage auch nur ihrer Pflicht genügt, um die sie am wenigsten eine Hintenansetzung erleiden darf –!“

„Ah – schön – ah!“ unterbrach ihn der Arzt, dessen Brauen und Mundwinkel wunderlich zu zucken begonnen hatten und dessen Gesichtsfarbe in raschem Wechsel gekommen und gegangen war; „die Verwandten halten es ihrem Vortheil angemessen, die junge Frau ohne Weiteres mit dem Verbrechen zu identificiren, und Sie machen sich zum getreuen Diener derselben! Schön – ich werde heute noch bei dem Gerichte in Person darauf antragen, daß die Kranke nach meinem Hause geschafft wird, damit wenigstens ein auf diese Weise voraussichtlicher zweiter Mord vermieden wird –!“

Der Justitiar wurde bleich und biß sich auf die Lippen, der Doctor schien aber kaum auf die Wirkung seiner Worte zu achten, drehte sich weg und schritt in das Haus, hier rasch die Treppe hinaufsteigend. Erst als er den oberen Corridor erreicht und ein Blick ringsum ihm Sicherheit vor fremder Beobachtung gegeben, zog sich seine Stirn in tiefe Falten, und seine Augen voll schwerer Sorgen wandten sich durch das Fenster dem Freien zu. Nur ein kaum merkliches Kopfschütteln verrieth seinen Gedankengang, und als er sich nach kurzer Weile der nächsten Zimmerthür zudrehte, kostete es ihm sichtliche Anstrengung, seinen Zügen einen Ausdruck von Ruhe zu geben.

Es war ein kleiner, eleganter, durch die zugezogenen dichten Gardinen vor dem hellen Tageslicht geschützter Raum, welchen er betrat, und das weiße Bett im Hintergrunde, von dem sich das bleiche Gesicht der darin ruhenden Gestalt fast nur durch die unter dem Spitzenhäubchen hervorquellende Fülle blonden Haares abzeichnete, ließ das Schlafzimmer der Hausherrin sofort errathen. Vom Ende des Bettes erhob sich eine ältliche Frau und winkte dem Eintretenden, vorsichtig aufzutreten. „Meine Tochter ist kaum erst eingeschlafen,“ sagte sie mit gedämpfter Stimme, „es scheint indessen nur die gänzliche Abmattung zu sein, welche ihr die Augen geschlossen!“

Der Arzt nickte, trat zu dem Bette und schien die Kranke zu beobachten, aber sein unruhiges Auge, das kaum auf ihrem Gesichte haftete, deutete die völlige Abwesenheit seiner Gedanken an. Nach einer kurzen Weile erhob er den Kopf, rieb sich die Stirn und sagte, sichtlich zerstreut: „Ich werde das Nöthige verschreiben!“ Sein Blick durchlief das Zimmer, als suche er nach den nöthigen Materialien dazu; dann aber, wie sich seiner erst recht bewußt werdend, schritt er rasch nach der Thür zu dem anstoßenden Zimmer und öffnete diese in augenscheinlicher Vertrautheit mit der Localität. Und er hatte den Raum, welcher ihn empfing, auch so oft betreten, daß er sich darin im tiefsten Dunkel zurecht gefunden haben würde. Hierher hatte sich der Amtsrath mit den Beschwerden, welche ihm als Bodensatz einer leichtsinnig vergeudeten Jugend und der kaum mehr haushälterisch verbrachten Mannesjahre übrig geblieben waren, immer zurückgezogen, so lange er noch unverheirathet war, und hierher hatte er nach geschehener Verheirathung sein Schlafzimmer verlegt.

Das Zimmer war noch genau in demselben Zustande, in welchem es der Amtsrath bei seinem letzten Ausgange verlassen hatte; außer den Bequemlichkeiten für den Aufenthalt eines Leidenden zeigte es nur einen kleinen Tisch für die nothwendigste Schreiberei, und die Gerichts-Commission, welche sich zur Voruntersuchung des Falles an Ort und Stelle eingefunden, hatte hier nirgends etwas Bemerkenswerthes zu entdecken vermocht.

Der Doctor nahm sichtlich nur mechanisch an dem Tische Platz und stützte, anstatt nach Feder und Papier zu greifen, wie von seinen Gedanken übermannt, den Kopf in die Hand. Mehrere Minuten vergingen so, ohne daß er nur ein Augenlid bewegt hätte; da schien endlich sein Blick von einem kleinen Stück groben Papiers, welches in dem Zugloche der Ofenthür hing und jedenfalls durch einen Windstoß aus dem Innern des Ofens geweht worden war, angezogen zu werden. Es hing da, von dem leisen Luftzuge zitternd bewegt, und noch immer wie sich seines Handelns nicht völlig bewußt, erhob sich der Arzt leicht und griff danach. Gleichgültig betrachtete er es, dem schwarzen Brandrande nach war es der Rest eines größeren verbrannten Stücks, und seine Hand zeigte sich schon bereit, es ohne Umstände wieder zu beseitigen, als sich plötzlich sein Blick schärfte und einige deutlich darauf erkennbare plumpe Schriftzüge entziffern zu wollen schien. Dann schnellte der Betrachtende, wie von einem jäh aufschießenden Gedanken belebt, in die Höhe und öffnete hastig die Ofenthür, dort, ohne Rücksicht auf seine wohlgepflegten Hände, in der sich ihm zeigenden Asche umherwühlend; aber nicht das kleinste weitere Fragment zur Ergänzung des Gefundenen ließ sich entdecken; nur einzelne emporflatternde Aschenflocken zeigten durch ihre besondere Leichte, daß sie einst Papier gewesen waren, und kaum mochte der Alte sich von der Fruchtlosigkeit seiner Nachsuchung überzeugt haben, als er auch von Neuem den wenigen Worten auf dem erhaltenen Papierstück seine volle Aufmerksamkeit zuwandte.

„ – rothe Schenke erwar – arne dich wohl nicht ausz – chts wieder von mir hören und Ruhe – lbst heirathen und von hier weg – eier.“ Das war Alles, was das Feuer verschont; dennoch schien der Doctor, dem eigenthümlichen Leuchten nach, das von Secunde zu Secunde heller in seinem Gesichte aufging, ganz besondere Entdeckungen darin zu machen. Er zog endlich sein Notizbuch, verwahrte sorgfältig seinen Fund darin, rieb sich mit scharf zusammengezogenen Brauen kräftig die Stirn und schritt dann nach dem anstoßenden Zimmer zurück. Jetzt war es ein langer Blick voll wundersamer Milde, welchen er auf der Kranken ruhen ließ; er bog sich hinab zu ihr, um einen Augenblick auf ihren Athem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_402.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)