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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu horchen, und sagte dann halblaut zu der daneben sitzenden Mutter: „Ich will selbst gehen, um die rechte Medicin für sie zu suchen, und Gott wird helfen, daß ich sie finde!“ Und ohne auf den Ausdruck von leichter Befremdung, mit welchem die Angeredete zu ihm aufsah, zu achten, verließ er das Zimmer.

Als er mit fast jugendlichem Schritte die Treppe hinabstieg, sah er den Justitiar im Hofe auf und ab gehen und diesen, sobald er seiner ansichtig ward, auf sich zuschreiten. „Wenn Sie durchaus meinen, Herr Doctor,“ begann der Herantretende, sichtlich eine leichte Verlegenheit überwindend, „daß es vom medicinischen Standpunkte aus nöthig ist –“

„Ich denke, Herr Justitiar, ich habe Ihnen bereits meine Meinung deutlich genug mitgetheilt, als daß noch ein weiteres Wort darüber erforderlich wäre,“ schnitt ihm der Angeredete das Wort ab, „handeln Sie nun, wie Sie wollen! In Ihrem Privatinteresse aber möchte ich Ihnen rathen, sich nicht zu tief mit Leuten einzulassen, welche die natürlichen Feinde der jetzigen Besitzerin des Guts sind, in sehr kurzer Zeit aber von ihren sonderbaren Einbildungen geheilt sein werden!“ Damit kehrte er sich kurz ab, schwang sich auf sein Pferd und verließ in scharfem Trabe den Hof.

Jetzt aber nahm er die seinem Heimweg entgegengesetzte Richtung, hinunter nach dem zum Gute gehörenden Dorfe und achtete kaum auf die bereitwilligen Grüße der ihm Begegnenden und die verwunderten Blicke, welche seinem ungewohnten schnellen Ritte folgten. Erst als die Häuser hinter ihm lagen, und er den Fuß der jenseitigen Anhöhe erreichte, ließ er seinen oft unwillig den Kopf schüttelnden Klepper einen langsamen Schritt annehmen, und als er oben die Bäume der sich dort vorüber ziehenden Chaussee, dahinter aber ein aus rohen Backsteinen ausgeführtes Haus auftauchen sah, zog er wie unwillkürlich den Zügel an. Dort oben lag die ihres Aeußeren halber sogenannte rothe Schenke, und dem Reiter war es bei ihrem Erblicken plötzlich wie das Bangen vor einer schweren Entscheidung überkommen, das sich auf seine helle Stimmung wie ein dichter Nebel legte – erst jetzt drängte sich ihm ein Gefühl wie eine geschehene Ueberschätzung seines Fundes auf, und mit einem raschen Griffe holte er sein Notizbuch hervor, das darin verwahrte Papierstück und die Bruchstücke von Sätzen darauf einer neuen Prüfung unterwerfend. Ein Kopfnicken der Selbstermuthigung endigte diese indessen, und als er auf der Höhe, die Chaussee kreuzend, eine breite Figur, die Hände in den Hosentaschen geborgen, in der Thür des Wirthshauses lehnen sah, vermochte er es, dieser schon von Weitem einen launigen Gruß zuzuwinken. Langsam, aber in sichtlichem Behagen über den Besuch, trat der Mann dem Ankommenden entgegen.

„Lange nicht hier gewesen, Herr Doctor – hätte beinahe gesagt, Gott sei Dank!“ lachte Jener, als der Arzt sich aus dem Sattel schwang, und ergriff den Zügel, um das Pferd anzubinden; „man sieht Sie ja eben nur hier, wenn der Teufel in der Nachbarschaft irgendwo sein Spiel hat, und so hoffe ich jetzt wenigstens, daß Sie sich aus irgend einer andern Ursache heraufgemacht haben!“

Der Doctor lüftete den Hut und fuhr mit der Hand durch das buschige, graue Haar. „Will einmal Euer Bier hier oben versuchen und nebenbei eine Frage thun,“ sagte er, „da es sich aber nach abgemachten Geschäften ruhiger trinkt, so mag die Frage vorweg gehen. Wissen Sie wohl noch den Tag,“ fuhr er fort, langsam, von dem Wirthe gefolgt, nach dem Felde hinaus tretend, „als der unglückliche Amtsrath das letzte Mal hier war?“ Er hatte seinen Schritt angehalten, und ließ das Auge groß und erwartend auf seinem Gesellschafter ruhen.

„Der unglückliche Amtsrath?“ wiederholte dieser, sich mit der Hand hinter das Ohr fahrend, „das muß eine gute Weile her sein, denn ich möchte’s nicht einmal unternehmen, genau den Monat zu bestimmen!“

„So!“ versetzte der Alte gezogen, während sein Gesicht einen Schatten bleicher wurde, „ich hörte, er sei in derselben Nacht, in welcher er zum Tode kam, hier oben gesehen worden, und es liegt mir viel daran, die Wahrheit zu ermitteln!“

„Nicht in meinem Hause,“ erwiderte der Wirth kopfschüttelnd, „es wäre mir sonst, als die Nachricht von dem Morde kam, gewiß zuerst beigefallen.“

Der Arzt nickte langsam, den Blick zu Boden senkend. „Da ist nun eine Charlotte Meier, oder kurzweg Meier-Lotte, aus unserm Dorfe drüben, die Sie ja wohl kennen, diese soll ebenfalls an jenem Abend sich hier gezeigt haben.“

Das ist in Richtigkeit,“ war die eifrige Erwiderung, „sie war ihrem Schatze, dem Fleischergesellen, nachgegangen, der am selben Tage ein Kalb bei mir geschlachtet hatte – sie haben Beide bis spät bei einander gesessen.“

„Und können Sie sich dabei auf nichts Besonderes in dem Benehmen Beider besinnen? Strengen Sie Ihr Gedächtniß an, Mann, Sie wissen nicht, wie wichtig jeder kleine Umstand werden kann.“ sagte der Doctor fast ängstlich; „ich muß Ihnen sagen, ich glaube den sichern Beweis in der Hand zu haben, daß die Meier den Amtsrath, mit dem sie es verschiedene Jahre gehalten, an jenem Abend hier heraus bestellt hat – möglich, daß der Mann aus einer natürlichen Rücksicht gegen sich selbst das Haus nicht betreten; es würde dies auch erklären, daß alle Nachforschungen über seinen Verbleib an jenem Abend fruchtlos blieben –“

Der Andere hatte wie in plötzlicher Spannung den Kopf gehoben. „Sie haben doch nicht etwa Gedanken, Dortor, daß – um Gotteswillen, lassen Sie mich dabei aus dem Spiele, ich mag mit keinem Gerichte in derartigen Sachen etwas zu thun haben –“

„Und auch nicht, wenn es gälte, einen unschuldigen Menschen zu rerten?“ rief der Alte mit aufblitzenden Augen und faßte kräftig den Arm des sich halb wegwendenden Wirths; „wenn Ihr Sohn ein ansteckendes bösartiges Fieber hätte, dann würden Sie vom Doctor verlangen, daß er auf die Gefahr hin, das eigene Leben daran zu setzen, zu Hülfe eilte; ihr Menschen auf unsern Dörfern hier aber könntet einen Nebenmenschen ruhig zu Grunde gehen sehen, nur um nichts mit dem Gerichte zu thun zu bekommen.“

Der Andere zog das Gesicht in wunderliche Falten. „So ganz schlimm ist es nun nicht mit mir,“ versetzte er mit einem Lachen, das zwischen Humor und Verlegenheit mitten inne stand, „aber der Teufel allein mischt sich gern in Dinge, die ihn nichts angehen. Mag’s denn in Gottes Namen drum sein,“ fuhr er fort, sich dem Arzte wieder voll zuwendend und zugleich seine Stimme dämpfend, „es ist mir bei Ihren Worten da allerdings Einzelnes durch den Kopf gefahren, was mit Ihrer Vermuthung wegen des Amtsraths stimmen könnte. Wir hatten denselben Abend bis spät Gesellschaft hier, es waren mehrere von den Verwaltern aus der Umgegend da, und die Meier-Lotte saß mit dem Fleischer in einer Ecke, anscheinend in ganz gutem Einvernehmen. Ich hatte ein Auge auf sie, da ich solche Frauenzimmer nicht gern hier sehe und nicht wußte, was sie hier so lange zu suchen habe; auch ihr Liebster hätte längst auf dem Heimweg sein müssen; er ist eine Stunde von hier, drüben im Flecken zu Hause. Da sah ich also, daß die Lotte, als es spät wurde, öfters durch das Fenster sah, als erwarte sie Jemand – es war heller Mondschein – und anfing, unruhig zu werden, daß sie aber nach einer Weile aufsprang und aus der Stube ging. Der Fleischer mußte jedenfalls um ihre Sache wissen, denn er blieb ruhig allein sitzen und bestellte auch noch für Beide zu trinken. Es dauerte aber wohl eine halbe Stunde, und das war schon nach zwölf, gerade als die Verwalter ihr letztes Spiel anfingen, ehe sie wiederkam, und nun ging zwischen den Beiden in der Ecke ein hastiges, kurzes Gespräch los; der Fleischer stand mit einem Male von der Bank auf, als wolle er nichts mehr mit ihr zu reden haben, bezahlte mich kurz und ging; sie aber machte ein wüthendes, freches Gesicht, packte, was um sie her lag, in ihren Handkorb und schoß dem Andern nach; ich meinte erst, sie werde ihn draußen noch fassen wollen, und sah durch’s Fenster; aber der Fleischer ging ruhig die Chaussee fort, und die Meier-Lotte kam mir nicht wieder vor die Augen. – Das ist aber Alles,“ schloß der Erzähler, „was ich selbst auf dem Todtenbette aussagen könnte – und nun machen Sie damit, was Sie wollen!“

Der Arzt rieb sich mit zusammengezogenen Augenbrauen die Stirn. „Und wie heißt der Fleischer?“ fragte er nach einer kurzen Weile.

„Wir nennen ihn nur Christian, aber er ist die einzige Hülfe des alten Krause drüben, gleich das dritte Haus, wenn Sie von hier nach dem Flecken kommen, wo Sie ihn jedenfalls finden können!“

Um den Mund des Alten zuckte es, als wolle er noch eine Frage thun, aber er schien sie zu unterdrücken. „Das Bier probiren wir, wenn ich zurückkomme, und sorgen Sie auch, daß ich dann etwas zu essen finde,“ sagte er, dem Wirthe die Hand reichend, „danken will ich Ihnen später, wenn Sie erst selbst wissen werden, wofür!“

In der nächsten Minute hatte er bereits sein Pferd wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_403.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)