Seite:Die Gartenlaube (1863) 413.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

bewirken, daß galante Unordnungen jetzt nicht mehr in den Beguinenhöfen vorkommen, wie zur Zeit ihrer Blüthe im 13. und 14. Jahrhundert, wo auch junge Mädchen in die Beguinengemeinschaft traten. Schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts kam die Beguinage in Verfall, und jetzt gehört sie zu den wunderlichen Exuvien des Mittelalters, die, gleich Fetzen einstiger Prachtgewänder, am Staatskörper hängen geblieben sind und ohne Bedeutung für die Gewandung der Gegenwart in der Luft flattern.

Ein Gäßchen im Beguinenviertel in Gent.

Die Beguinen gehören heute mit zu den auffallenden Gegensätzen, die in constitutionellen katholischen Staaten sich immer schärfer herausbilden und den letzten schwachen Kampf einer untergegangenen Zeit mit der Gegenwart und der Zukunft repräsentiren. Die Freiheit der Verfassung gestattet den Resten mittelalterlicher Institutionen, sich bis zum vollständigen Marasmus auszuleben, und das kümmerliche Flämmchen verlischt nicht eher, als bis es das letzte Tröpfchen Oel verzehrt hat. In keinem Lande der Welt tritt dem Fremden dieser Contrast auf jedem Tritt und Schritt in die Augen springender entgegen, als in Belgien, das in dieser Beziehung ein wahrer Januskopf ist, dessen jugendliches, vorwärtsschauendes Antlitz von den großartigen Fortschritten der Neuzeit, von Preßfreiheit, Glaubens-, und Cultusfreiheit, Redefreiheit, Eisenbahnen und von einem auf republikanische Grundlagen erbauten Königsthron mit allen aus solchen Staatseinrichtungen entspringenden Pertinentien erzählt, und dessen gealtertes, rückwärtsschauendes Gesicht noch von einer nicht geringen Anzahl mittelalterlicher matt und schwach gewordener Lebenseinrichtungen weiß, von conservirten und restaurirten Institutionen, Mumien und Versteinerungen aus längst vergangener Zeit, denen nur noch ein Scheinleben beiwohnt.

Ein solcher versteinerter Zug im Greisenantlitz des Landes ist das Beguinenthum. Daß es sich bis jetzt, wenn auch nur kümmerlich, erhalten hat, läßt sich nur aus dem germanischen Volkscharakter der Niederländer erklären, der die Freiheit für das höchste Gut hält und an althergebrachten bewährten Lebensformen mit Zähigkeit hängt. Ein kritisches Urtheil des Bischoff Malderus von Antwerpen, vom Jahre 1630, paßt noch heute: „Das Beguineninstitut ist freilich kein geistlicher Orden, aber doch eine fromme Genossenschaft, und in Beziehung auf jenen vollkommneren Stand als eine Vorschule zu betrachten, in welcher das zur Andacht geneigte weibliche Geschlecht in Belgien auf eine der Sinnesart und dem Charakter des Volkes sehr angemessene Weise lebt. Denn dieses Vok ist eifersüchtig auf seine Freiheit und will sich lieber leiten, als zwingen lasten. Obgleich es ohne Frage verdienstlicher ist, sich durch die feierlichen Gelübde der Keuschheit, des Gehorsams und der Armuth dem Himmel zu weihen, und es auch sehr viele fromme Frauen in Belgien giebt, die diese Gelübde der That nach zu halten geneigt sind, so scheuen doch die meisten das unwiderrufliche Versprechen. Sie wollen lieber unverbrüchlich keusch sein, als unverbrüchliche Keuschheit geloben; sie wollen wohl gehorchen, aber ohne sich zum Gehorsam förmlich zu verbinden; lieber in mäßigem Genuß ihres Vermögens der Armuth sich befleißigen, als ihr Eigenthum auf einmal gänzlich aufgeben, wodurch sie sich auch die Möglichkeit nehmen würden, den Armen, die es verdienen, nach Kräften wohlzuthun. Sie wollen sich lieber in freier Knechtschaft stets von Neuem unterwerfen, als sich ein für allemal gefangen geben, um so durch die täglich wiederholte freiwillige Entsagung das mangelnde Verdienst der ewigen Einschließung einigermaßen zu ersetzen.“

Im Beguinenhof in Gent.
Die Kirche ist aus.

Die heutigen Beguinenhöfe, die auch hinsichtlich der Anzahl ihrer Bewohnerinnen sehr heruntergekommen sind (der große Hof in Löwen, der in seiner Blüthe über 400 Bewohnerinnen zählte, hat jetzt deren kaum 60, und der kleine gar nur 7), sind eigentlich nur Hospitäler, Versorgungsanstalten für alte Jungfern und Wittwen, und derjenige würde sehr irren, der da meinte, es ginge darin besonders idyllisch oder heilig zu.

Noch verdient bemerkt zu werden, daß man Jahrhunderte lang bemüht gewesen, auf den Grund von (falschen) Urkunden das Beguineninstitut von der heiligen Begga, Fürstin von Brabant, als Stifterin (gegen Ende des siebenten Jahrhunderts), herzuleiten. Dieser Irrthum ist in unserer Zeit mit deutscher, kritischer Gründlichkeit von Dr. E. Hallmann in Berlin erschöpfend nachgewiesen worden.

Die Beguinenhöfe in Deutschland (fast jede bedeutendere Stadt hatte einen solchen) erhielten sich unter mancherlei Bedrückungen und Verfolgungen von Seiten der Bettelorden, doch eben so oft von Päpsten, Landesfürsten und Synoden beschützt, bis über das Zeitalter der Reformation hinaus. Merkwürdiger Weise wurden die Beguinen frühzeitig Anhänger der neuen Lehre und hießen dann Seelweiber, weil sie die Seelsorge des weiblichen Geschlechts sich aneigneten. Schon im 13. und 14. Jahrhundert hatten sie die verfolgten Spiritualen der Franziskaner, die sogenannten Fratricellen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_413.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)