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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Frauen. Sie konnte es, trotz Allem, was wir vorhin gesehen und gehört hatten, trotz allen Unglücks, aller Sorge, aller Angst, die ihr das Herz mochten erdrücken wollen. Aber sie war blaß zum Erschrecken. Sie war eine Dame, die ebenfalls zu leben wußte; man sah es ihrem ganzen Wesen an. So auch begrüßte sie meinen Freund.

Der Steuerrath stellte dann mich ihr vor:

„Kreisjustizrath – aus – mein alter Freund. Ich traf ihn drei Meilen von hier in einem elenden Kruge, aus dem er nur durch mich zu erlösen war. Darf ich um die Erlaubniß bitten, gnädige Frau, ihn Ihnen als Gast zuzuführen?“

„Die Herren sind mir Beide willkommen,“ antwortete sie.

Aber es war ein so sonderbar zuckender Ton, mit dem sie die wenigen Worte sprach, sie schien sie kaum beendigen zu können. Sie war bei der Nennung meines Namens plötzlich zusammengezuckt und war noch bleicher, als sie selbst unter jenen Schmerzen in der Laube gewesen war.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, gnädige Frau,“ sagte ich, „für Ihre freundliche Aufnahme eines Eindringlings, der freilich der Gewalt eines despotischen Freundes – Sie kennen ja unsern Steuerrath – folgen mußte, der ihm aber auch gern zu einem Freudenfeste und in eine liebenswürdige Familie folgte.“

Sie hatte sich während meiner Worte erholt, gefaßt. Ich hatte offen, unbefangen gesprochen. Der Ton meiner Stimme, mein rückhaltsloser Blick schienen sie beruhigt zu haben.

„Ich bedaure nur,“ sagte sie, „daß die Herren meinen Mann nicht hier finden. Er mußte heute früh unerwartet eine nicht aufzuschiebende Reise antreten, von der er noch nicht zurück ist. Ich erwarte indeß seine Rückkehr jeden Augenblick.“

Sie war doch roth geworden, wie sie das sprach. Sie hatte aber auch unterdeß – ich merkte es wohl – forschend in mein Gesicht geblickt. Sie konnte nichts darin gelesen haben. Ich war unbefangen geblieben.

„Darf ich um die Erlaubniß bitten, gnädige Frau,“ sagte ich, „dem Brautpaare meine Glückwünsche darzubringen?“

„Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie hinzuführen,“ erwiderte sie.

Sie sah sich nach den Brautleuten um. Auf einmal war sie blaß, wie eine Leiche. Ich folgte ihrem Blick. Meinen ganzen Körper durchfuhr etwas. Es war eine furchtbare, gleichsam wilde Ahnung, die mich zu Boden drücken wollte, aber sie schnellte mich heftig wieder empor. Der Blick der unglücklichen Frau und der meinige, sie hatten beide den Bräutigam getroffen, und sie trafen beide in seinen Blick, der nicht auf uns Beide, der aber auf mich gerichtet, und in diesem Augenblick nicht glühend, nicht finster, nicht durchbohrend war.

Der Baron Theobald von Föhrenbach stand wie ein plötzlich vernichteter Mensch da. Sein Gesicht war tief blaß geworden; die kräftige Gestalt war ineinander gesunken, die Augen starrten glanzlos, sie starrten nach mir, noch immer. Neben ihm stand ein Gutsbesitzer der Gegend, der mich kannte. Er hatte sich mit ihm unterhalten. Hatte ihm der Mensch gesagt, wer ich war, und hatte ihn darauf jener heftige, tödtliche Schreck erfaßt? Oder hatte er mich selbst schon früher gekannt und jetzt plötzlich wieder erkannt, und nun hatte der jähe Schreck ihn ergriffen?

Jene furchtbare, wilde Ahnung sagte es mir. Aber wer er war, ob ich ihn schon früher gesehen hatte, und wo und unter welchen Verhältnissen, das konnte auch sie mir nicht sagen, und sie blieb immer nur eine unbestimmte, in dem unbegrenzten Gebiete der Möglichkeiten und der dunkelsten Vermuthungen umherschweifende Ahnung.

Die Hausherrin hatte sich wieder gefaßt. Sie führte meinen Freund und mich zu dem Brautpaare. Die Braut war in der Nähe des Bräutigams; sie hatte sich während einer Tanzpause mit einigen jungen Mädchen unterhalten. Auch der Baren Föhrenbach hatte sich zusammengenommen. Als er uns ankommen sah, wandte er sich zu seiner Braut, nahm ihren Arm und erwartete uns so. Die Braut war noch jenes stille Bild des Leidens, das ich durch den Nußbaum und das Pförtchen gesehen hatte. Sie war in der Mitte der Gesellschast nur stärker, muthiger, milder. Der Bräutigam war ein ganz vornehmer und stolzer Mann. Finster, streng, herrisch sah er nicht wieder aus, aber desto kälter, gemessener, vornehmer. Welch’ ein Contrast, das schöne, blasse, leidende, junge Mädchen und dieser kalte, unheimliche Mann.

Die Hausfrau nannte mich ihm, den Steuerrath kannte er. Wir sagten der Braut und ihm unseren Glückwunsch. Er dankte mit einer kalten, stummen, vornehmen Verbeugung, dem Einen von uns nicht anders, als dem Anderen. Aber meine Ahnung wollte mich nicht verlassen, und auch die Hausfrau sah ich verstohlene ängstliche Blicke bald auf mich, bald auf den Mann werfen, der morgen der Gatte ihrer einzigen Tochter werden sollte. Er kümmerte sich um mich nicht weiter. Es konnte Absicht sein. Um so weniger ließ ich ihn aus den Augen. Es wurde wieder getanzt. Er nahm Theil an dem Tanze und tanzte mit der Braut.

Der Steuerrath war mit vielen der Anwesenden bekannt, wenn nicht mit den meisten. Er ließ sich mit seinen Bekannten in Gespräche ein und verfolgte dabei meine Zwecke. Er that es mit Gewandtheit, ohne irgend etwas zu verrathen, ohne nur irgend Jemanden stutzig zu machen. Sein Humor und seine Jovialität kamen ihm zu Hülfe. Wir erfuhren nichts. Ich war umsonst mit ihm gefahren, sagte ich mir.

Mitten während der Unterhaltung kam ein Diener des Hauses zu dem Steuerrath und sprach heimlich ein paar Worte zu ihm. Der Steuerrath machte eine kurze zusagende Bewegung des Kopfes. Dann trat er zu mir. „Auf ein Wort.“

„Was giebt’s?“

„Der Inspector Holm ist draußen, vor dem Hause. Er wünscht mich dort zu sprechen.“

„Und was soll mir das?“

„Ich wollte Dich bitten, mich zu begleiten. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber es ist mir, als hätte der eine Nachricht, die nicht blos die arme Frau dort, die auch Dich interessiren könnte.“

Er konnte Recht haben. Neugierig war ich ohnehin geworden. Wir verließen die Gesellschaft, und nun sah ich, daß der unheimliche Bräutigam sich in der That sehr wohl um mich gekümmert hatte. Seine Blicke verfolgten uns, als wir uns entfernten. Ich sah die dunklen Augen, prüfend, durchbohrend, auf mich gerichtet. Wir gingen durch den Garten in das Haus und durch dasselbe in den Gutshof. Hinter einem Baume trat der Inspector Holm hervor und kam auf uns zu. Er war ein hübscher, frischer, gutmüthiger, aber entschlossen aussehender junger Mann. Er stutzte, als er mich in der Gesellschaft des Steuerrathes sah.

„Mein Freund,“ sagte der Steuerrath. Er nannte meinen Namen.

Der junge Mann stutzte noch mehr. Er wurde unruhig. Ich bemerkte durch die Dunkelheit, wie er mich zweifelnd, unentschlossen ansah. Er wandte sich an den Steuerrath.

„Verzeihen Sie, daß ich Sie zu mir her bitten ließ. Ich war in großer Verlegenheit. Da sah ich hier Ihren Wagen, und nun mußte ich mich an Sie wenden.“ Er sprach eilig, dringlich.

„Und was wünschen Sie von mir, Herr Holm?“ fragte ihn der Steuerrath.

„Ich habe nur eine unbedeutende Bitte.“

„Die wäre?“

„Der Frau Bertossa zu sagen, daß ich hier sei und sie erwarte.“

„Aber, mein lieber Herr Holm,“ sagte der Steuerrath, „warum gehen Sie nicht direct zu der Frau Bertossa? Warum sind Sie überhaupt nicht in der Gesellschaft?“

„In diesen Kleidern?“ fragte er, und er lächelte schmerzlich.

Er trug bestaubte Reisekleidung.

„Aber warum diese Kleidung?“ fragte mein Freund.

Er wollte antworten, besann sich aber und antwortete etwas Anderes, als er zuerst auf der Zunge gehabt hatte.

„Ich gehöre nicht dahin,“ sagte er. „Ich gehöre überhaupt nicht mehr zum Hause.“

„Sie haben es verlassen?“

„Ich habe meinen Abschied bekommen – nein, nein, ich habe ihn genommen. Ich mußte es, freilich – doch das gehört nicht hierher.“

„Es gehört wohl hierher, lieber Herr Holm. Wer und was zwang Sie, dieses Haus zu verlassen?“

„Was? Ah, Sie wissen es. Sie waren öfter hier – Sie müssen gesehen haben –“ Er sprach mit dem tiefsten Schmerze seines Herzens.

„Ja, ja, armer Holm,“ unterbrach ihn der Steuerrath. „Ich sehe es noch, und ich sah es vorhin im Garten –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_435.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)