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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

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„Still, still, Herr Steuerrath! Darum bin ich nicht hier. Es ist etwas Anderes. Aber Sie wollten noch wissen, wer mich von hier vertrieben hat, eigentlich, wer mich vertreiben wollte. Der Herr Bertossa war es nicht, auch die Frau nicht. Sie wollen mir Beide wohl, und wenn es von ihnen abgehangen hätte – Auch Ulrich war es nicht; wir waren Freunde. Aber jener Baron – Er befiehlt dem ganzen Hause und ist der Herr hier – Am Tage vor der Verlobung ging ich. Meine Liebe, meine Ehre, die Ruhe, das Leben der armen Rosalie, der Friede des Hauses, Alles, Alles forderte es von mir. Sie wissen jetzt Alles, Sie waren immer freundlich gegen mich, auch gegen Rosalien. Werden Sie mir jetzt meine Bitte erfüllen?“

„Gewiß, mein lieber Herr Holm.“

„Aber noch Eins muß ich hinzufügen. Sie müssen die Güte haben, es der Frau Bertossa allein zu sagen, und so, daß der Baron es nicht bemerkt. Er würde sie nicht gehen lassen. Darum durfte ich keinen Bedienten zu ihr schicken.“

„Seien Sie ruhig, Holm. Der Baron wird nichts gewahren, und sollte er auch, so führe ich die Frau zu Ihnen, und zwar ohne ihn.“

Dem jungen Manne schien ein Stein vom Herzen zu fallen. Der Steuerrath hatte aber noch etwas auf dem Herzen, und er brachte es an, wie ein kluger Steuerbeamter, der verdient hätte, Polizei- oder Criminalbeamter zu sein.

„Noch vorher eine Frage, Herr Holm,“ sagte er gleichgültig genug, „ich habe den Herrn Bertossa nicht gesehen. Er wird doch an dem heutigen Tage nicht verreist sein?“

„Er ist nicht hier,“ sagte offen der junge Mann.

„Und auch der junge Bertossa, Ulrich, scheint nicht da zu sein.“

„Nein, nein!“ rief der Herr Holm schnell.

„Und auch von ihm wissen Sie?“

„Nein, nein,“ war die langsamere Antwort.

Der Steuerrath fragte nicht weiter. Er ehrte das Geheimniß, das nur dem jungen Manne und der unglücklichen Frau gehören mochte. Ich durfte nicht fragen, schon um mich nicht zu verrathen.

„Die Frau Bertossa soll in zehn Minuten hier bei Ihnen sein,“ versprach der Steuerrath.

Damit kehrten wir in den Garten zurück. Der Tanz, während dessen wir ihn verlassen hatten, war zu Ende. Es wurde ein kleiner Polterabendscherz aufgeführt. Es waren deren vorher schon mehrere gegeben, wie man uns erzählt hatte. Freunde und Freundinnen der Braut trugen allerliebst eine freundliche ländliche Scene vor, die auf irgend eine Begebenheit aus dem Leben der Braut Beziehung haben mochte.

Alles sah und hörte gespannt zu. Auch der Baron Föhrenbach. Vor ihm und der Braut, die an seiner Seite saß, wurde ja eigentlich das Stück aufgeführt. Die Mutter der Braut saß seitwärts von ihnen, so daß der Baron sie immer im Auge haben konnte. Dem Steuerrath war es dennoch gelungen, unbemerkt von ihm, hinter den Stuhl der Frau zu gelangen. Ich war ihm gefolgt. Er bückte sich zu ihr nieder und sprach leise zu ihr.

„Gnädige Frau, es wünscht Sie Jemand zu sprechen.“

„Wer?“ fragte sie erschrocken.

„Sie wissen es: Holm.“

„Hat er Ihnen gesagt, was er von mir will?“

„Nein.“

„Wo ist er?“

„Auf dem Hofe vor dem Hause. Befehlen Sie, daß ich Sie zu ihm führe?“

Sie sah sich scheu nach dem Baron um. Er blickte nicht nach ihr hin und hatte weder den Steuerrath noch mich gesehen.

„Ich bitte!“ sagte einwilligend die Frau zu dem Steuerrathe. Sie stand auf, trat zwei Schritte zurück, um hinter ihrer Umgebung aus dem Bereiche der Augen des Mannes zu sein, der hier befahl und der sie mit Argusaugen hütete. Er sah sie, wie sie aufstand, sah hinter ihrem Stuhle den Steuerrath, und zuckte zornig auf. Er wollte aufspringen, aber er mußte sitzen bleiben, wollte er nicht Aufsehen erregen.

Ich sollte gleich darauf nicht minder heftig erschrecken.

Die Frau war hinter ihren Stuhl zurückgetreten. Der Steuerrath bot ihr seinen Arm. Indem sie ihn nahm, warf sie noch einmal einen Blick auf die Gesellschaft zurück, wohl um zu sehen, ob ihre Entfernung bemerkt werde. Sie zuckte plötzlich auf. Ich folgte wieder ihrem Blicke. Da sah ich zuerst den Baron Föhrenbach erblassen, dann ihm gerade gegenüber einen kleinen, ältlichen, häßlichen, blassen Mann stehen, den ich bisher noch nicht gesehen hatte, der im Augenblicke vorher angekommen sein mußte. Ueber seinen Anblick war der Baron erblaßt, die Frau zusammengezuckt, hatte ich mich plötzlich so heftig erschreckt.

„Mein Mann!“ sagte die Frau. Sie nahm hastig ihren Arm aus dem des Steuerraths zurück, verließ uns, ohne ein Wort weiter zu sagen, und eilte zu der Gegend, wo wir den fremden Mann gesehen hatten.

Der Fremde – er war der Hausherr, der Gatte, der Vater – stand noch ein paar Secunden ruhig, dann ging er seiner Frau entgegen, die er auf sich zukommen sah. Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Auch ihn hatte ich schon früher gesehen. und ich wußte, wo ich ihn gesehen hatte, und nun wußte ich auch auf einmal, wo ich den Baron Föhrenbach gesehen hatte, und ein jäher, heftiger Schreck ergriff und durchfuhr mich.

Die kleine Gestalt des Mannes stand vor meinem Gedächtnisse, das blasse, häßliche Gesicht, die fest zusammengebissenen Lippen. Aber wie alt war der Mann geworden, in den wenigen Jahren, seitdem ich ihn gesehen hatte – wenn ich ihn wirklich gesehen hatte! Wie war sein Haar gebleicht, das damals noch rabenschwarz gewesen war! Welche tiefe Runzeln durchfurchten das Gesicht und machten es noch häßlicher, machten es häßlich zur Entstellung! Und dennoch, und wenn mir auch der Name Bertossa völlig unbekannt blieb, und wenn sich auch kein Zug in seinem Gesichte veränderte, als er mich erblickte, als er mich an der Seite seiner Frau sah, und er sah mich plötzlich und unerwartet, und er warf einen scharfen Blick auf mich – und dennoch und trotz alledem mußte er derselbe sein, den ich meinte, den ich schon früher gesehen hatte. Das Bild stand zu lebhaft in meiner Erinnerung vor mir, und es paßte, trotz Runzeln, trotz schnellen Alterns. Und wie wäre sonst er und der Baron Föhrenbach wieder hier zusammengetroffen? Und daß sie beide andere Namen führten, und daß ihre früheren Verhältnisse und Beziehungen zu einander fast geradezu umgekehrt waren, das paßte erst recht. (Fortsetzung folgt.)


In der Gruft eines deutschen Kaisers.

Einer der herrlichsten Genüsse, welcher den Besucher des Germanischen Museums im ehemaligen Karthäuserkloster zu Nürnberg überrascht, ist das unvermuthete Erblicken einer der vorzüglichsten Schöpfungen neuerer deutscher Kunst, das pracht- und effectvolle Wandgemälde, welches Wilhelm v. Kaulbach in der zu einer reichen Kunsthalle umgewandelten Klosterkirche als das werthvollste Geschenk in hoher Vaterlandsliebe und Künstlerbegeisterung stiftete.

Die treffliche Wahl des Stoffes, die pikante Composition und Ausführung der meisterhaft vollendeten Darstellung, bringen auf den unvorbereitet eintretenden Beschauer einen fesselnden Eindruck hervor und nehmen ihn mit allen Zaubern und Schauern ehrwürdigen deutschen Alterthums gefangen, in deren Banne er hernach die herrlich aufgestellten werthvollen Sammlungen der Relicten deutscher Vorzeit in Hallen, Sälen und Gängen auf das Vortheilhafteste betrachten kann.

Das stereochromatisch auf die südliche Wand des Langhauses gemalte große Bild stellt den Besuch Kaiser Otto’s III. in der Kaisergruft Karl’s des Großen zu Aachen, im Jahre 1000 nach Christi Geburt, in großartiger Wirkung dar. Im vollen Krönungsornate, die Kaiserkrone auf dem Haupte, das Reichsschwert in der Rechten, das Evangelienbuch, als Schirmherr der Kirche, auf den Knieen, in all der sagenhaften Herrlichkeit thront die alte blasse Kaisergestalt beinahe 200 Jahre in geschlossener Gruft den ewigen Schlaf schlafend, nachdem mit ihm heimgegangen des Reiches Herrlichkeit und die weltgebietende Macht seines Namens, seines Geschlechtes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_436.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)