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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Er war Zeuge, aber ich glaube, ein Zeuge, der als Inquisit hier stehen sollte.“ 

„Er schien den besseren Ständen anzugehören?“ 

„Er ist ein Gutsbesitzer der Gegend, der Baron – der Baron –“ 

„Teufel,“ mußte ich mich gegen den Steuerrath unterbrechen. „Da hatte ich plötzlich den Namen auf der Zunge, und auf einmal ist er wieder fort. Ich habe den ganzen Abend nach ihm gesucht, seit dem Momente, da ich den Baron Föhrenbach sah. Ich konnte ihn nicht finden. Auf einmal glaube ich ihn so eben zu haben; fort ist er wieder.“ 

„Er wird Dir wieder einfallen; erzähle weiter“ sagte der Steuerrath. 

Ich erzählte weiter, was mir der Criminalrichter, der Inquirent, erzählt hatte. 

Ein paar Meilen weit war in einem Dorfe Jahrmarkt gewesen. Es war ein für die Gegend berühmter, sehr besuchter Jahrmarkt. Am meisten fanden sich die reichen Gutsbesitzer und die manchmal nicht minder reichen Viehhändler und Fleischer von weit und breit ein. Sie kannten sich; sie standen mit einander in vielfachem Geschäfts- und Handelsverkehr; sie erledigten auf dem Jahrmarkte alte Geschäfte, schlossen neue ab, gingen neue Verbindungen ein, tranken mit einander und spielten hoch, um bedeutende Summen. So war es auch an jenem Jahrmarkte gewesen. Ein reicher Viehhändler hatte die Bank gehalten; er hatte sehr viel gewonnen. Er hatte noch mehr Geld von den Fleischern eingenommen, denen er im Laufe des Jahres verkauft, und mit denen er heute abgerechnet. Man wollte ihm zwölf- bis funfzehntausend Thaler im Ganzen nachrechnen. Er war ein paar Meilen von dem Dorfe zu Hause und war zu Pferde gekommen, ohne Gesellschaft. Er ritt auch in der Nacht, als das Spiel zu Ende war, allein wieder fort; allein, aber mit seinem Gelde, seinem eigenen und dem gewonnenen. Er war nicht zu Hause angekommen. Sein Pferd wurde am anderen Morgen im Felde umherirrend angetroffen. Man suchte nun auch nach dem Reiter und fand endlich seine Leiche – ungefähr eine Meile weit von dem Dorfe, auf dem halben Wege zwischen diesem und seiner Wohnung. Er war ermordet und aller seiner Baarschaft beraubt, aber auch nur seines baaren Geldes. 

Wer der Mörder war, ist die fast bei jedem Morde zuerst sich aufdrängende und so schwer zu beantwortende und bei so wenigen beantwortete Frage. Spuren zu ihrer Beantwortung fanden sich lange nicht. Der Selbstverrath gab sie zuletzt, wie so oft. 

Auf dem Gute des Barons – der Name will mir fremd bleiben, aber so nennen wir ihn denn bei seinem jetzigen Namen, denn dieser kleine, blasse, häßliche Herr Bertossa war es – diente ein Knecht, ein seit ein paar Jahren aus der Fremde, ich glaube aus Belgien, vagabundirend herübergekommener unheimlicher Mensch, dem alle Welt alles mögliche Schlechte zutraute, den man aber behalten, weil er der tüchtigste Arbeiter war, den man finden konnte. Ein Vierteljahr nach dem Morde war verflossen, als dieser Mensch anfing, sich dem Trunke zu ergeben und Geld zu zeigen. Eines Abends in der Betrunkenheit ließ er dann in der Schenke Aeußerungen fallen, die dringend auf den Mord an dem Viehhändler hinwiesen. Er wurde sofort verhaftet und durchsucht, und man fand noch mehrere hundert Thaler in Gold bei ihm, und eine Börse, die dem Ermordeten zugehört hatte. Er wollte anfangs von dem Morde nichts wissen, verwickelte sich aber bald in so viele Lügen und Widersprüche, daß er nicht ferner leugnen konnte. Er legte ein Geständniß des Mordes ab und gab als Mitschuldigen, oder vielmehr als Hauptschuldigen, den Inspector des Gutes an, auf dem er diente. Und dieser Inspector – auch sein Name will mir ja nicht wieder beifallen; ich weiß nicht einmal ob der Inquirent ihn mir nannte; nennen wir ihn deshalb gleichfalls bei dem Namen, den er jetzt führt – er war der Bräutigam des heutigen Polterabends, der Baron Theobald von Föhrenbach. Baron – in der That – es steht mir vor – ja, ja, es fällt mir ein, ich erinnere mich bestimmt, daß der Inquirent mir sagte, er sei von Adel; Du wirst es gleich hören; nur den Namen hat er mir nicht genannt. 

Der Knecht hatte Folgendes zugestanden und angegeben. 

Er war ebenfalls auf dem Jahrmarkte gewesen. Sein Herr hatte ihm die Erlaubniß ertheilt. Er hatte in einer Schenke getanzt. Um Mitternacht auf einmal hatte der Inspector ihn herausgerufen, war mit ihm auf die Seite gegangen und hatte ihn gefragt, ob er zwei bis dreihundert Thaler verdienen wolle. 

„Teufel, das ist viel!“ 

„Aber es kostet Blut!“ hatte der Inspector gesagt. 

„Herr, damit habe ich nichts zu thun!“ 

„Ich hätte Dich für keine feige Memme gehalten.“ 

„Herr –“ 

„Prahlen kann Jeder; tanze weiter, ich werde einen Anderen finden, der mehr Muth hat.“ 

„Herr, sprechen Sie.“ 

„Zu sprechen ist nichts, nur zu handeln. Willst Du mir folgen?“ 

Der Knecht folgte ihm. Sie verließen das Dorf und gingen querfeldein durch Wiesen, über Aecker, durch Waldungen. Der Inspector machte den Führer. Nach einer starken Stunde machten sie Halt. Sie waren an einer Landstraße, in der Nähe eines Gehölzes. Zu beiden Seiten der Straße standen Weidenbäume. An einen der Bäume stellte der Inspector den Knecht. 

„Hier bleibst Du stehen, ohne Dich zu rühren, bis es Zeit ist. In einer Viertelstunde, vielleicht auch erst in einer halben, wird ein Reiter die Straße herauf kommen, von dem Jahrmarkte her. In dem Augenblicke dann, wenn Du einen Schuß fallen hörst, springst Du auf ihn zu, fällst dem Pferde in die Zügel und, reißest den Menschen vom Pferde, wenn der Schuß ihn nicht schon heruntergeworfen hat.“ 

Der Knecht stellte sich an den Baum. Der Inspector begab sich zu einem anderen Baume, dem zweiten oberhalb dessen, an dem der Knecht stand. Sie standen eine halbe Stunde so. Es war unterdessen Alles ruhig geblieben. Nur einmal meinte der Knecht ein leises Schleichen vernommen zu haben. Es war in der Nähe des Baumes gewesen, an dem der Inspector stand. Er hatte geglaubt, der Inspector gehe vielleicht ungeduldig auf und ab. Sehen konnte er in der Finsterniß der Nacht nichts. Da war es ihm aber gewesen, als wenn er ein leises Sprechen höre, als wenn Jemand dem Inspector etwas zuflüstere und dieser eben so leise antworte. Gleich darauf hatte er aber nichts mehr gehört, und er hatte gedacht, er habe sich vielleicht geirrt. 

Wenige Minuten darauf hörte man den langsamen Schritt eines Pferdes auf der Landstraße herankommen, in der Richtung von dem Jahrmarkte her, wie der Inspector gesagt hatte. Der Reiter mußte zuerst an dem Baume vorbei, an dem der Inspector stand. Als er den Baum erreichte, fiel ein Schuß. Das Pferd machte einen Satz – setzte sich in Galopp. Der Knecht sprang ihm entgegen, fiel ihm in die Zügel und hielt es auf. Der Reiter glitt von dem Pferde, er hatte nur noch halb darauf gehangen; der Schuß hatte ihn getroffen. Der Inspector sprang herbei und warf sich über ihn her. 

„Halte das Pferd, bis ich fertig bin,“ sagte er zu dem Knechte. 

Der Knecht hielt das Pferd. Der Inspector durchsuchte die Taschen des Reiters und plünderte ihn. 

„Laß das Pferd laufen,“ sagte er zu dem Knechte, als er fertig war. 

Der Knecht ließ das Pferd laufen. 

„Hilf anfassen,“ sagte der Inspector dann zu dem Knechte. 

Sie nahmen Beide den Körper des Reiters auf, der todt war, und trugen ihn zu einem Graben, der zwanzig Schritte seitab durch eine Wiese floß, und warfen ihn in denselben. 

„Hier hast Du Dein Geld,“ sagte darauf der Inspector zu dem Knechte. Er zählte ihm dreihundert Thaler in Gold, sechzig Stück Friedrichsd’or, in die Hand. 

„Wie viel haben Sie, Herr?“ fragte ihn der Knecht. 

„Geht es Dich etwas an? – Geh’ nach Hause, aber auf dem geradesten Wege, nicht durch das Dorf zurück. Laß Dich von keinem Menschen sehen. Sieht Dich einer, so wirst Du geköpft.“ 

„Und Sie mit, Herr,“ sagte der Knecht. 

„Pah!“ lachte der Inspector. 

Sie trennten sich. Der Inspector kehrte auf die Landstraße zurück. Der Knecht nahm den geradesten Weg nach Hause durch Wiese, Acker, Gehölz. An der Hecke der Wiese, in der sie den Leichnam in den Graben geworfen hatten, blieb er stehen, sah sich um, sah aber nichts mehr, auch den Inspector nicht. Aber er glaubte wieder, unter den Bäumen der Landstraße ein leises Flüstern zu vernehmen. Dahin zurückzukehren, hatte er nicht den Muth. 

„Der Inspector,“ sagte er im Verhöre, „konnte sein Pistol wieder geladen, oder noch ein zweites bei sich haben. Es konnte dann um mich geschehen sein. Er ist ein Mensch, der zu Allem im Stande ist. Und wer wußte, wer bei ihm war?“

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