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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Winkel des civilisirten Lebens. Von seinem Mitschuldigen, dem Inspector, hatte er sich zugleich trennen müssen. Ihr ferneres Beisammensein hätte schon für sich allein einen neuen Verdacht, wenigstens gegen den Baron, begründen müssen. Noch mehr mußte es ihm ein Bedürfniß sein, sich des rohen, übermüthigen Burschen zu entledigen, der schon vorher – wer weiß durch welche andere gemeinsam verübte Niederträchtigkeiten? – eine Gewalt über ihn gewonnen hatte, und in dessen Hände er, in Folge jenes Verbrechens, sich ganz und gar gegeben hatte. Aber der Fluch des Verbrechens weicht nicht von dem Menschen; er verfolgt ihn überall hin und er wächst im Verfolgen lawinenartig. Jener Elende hat ihn aufgesucht, hat ihn wiedergefunden, hat sich wie ein Alp, wie das Unglück auf ihn gelegt, hat ihn und seine Familie tyrannisirt, hat sie Alle zu willenlosen Werkzeugen und zugleich Opfern seines Uebermuthes, seiner Rohheit, seiner Gemeinheit gemacht; er will morgen das arme, blasse, von Schmerz und Leiden schon halb aufgezehrte Kind an den Traualtar schleppen, damit sie ihm ganz, wie dem Moloch, geopfert werde. Welch’ ein Elend, welch’ ein Jammer! Und es ist keine Rettung, keine Hoffnung, kein Lichtstrahl in diesem Labyrinthe von Verbrechen und von Unglück, von der Strafe, die der Himmel sendet, und die auch, oft noch mehr als die weltliche Strafe, den Unschuldigen mit dem Schuldigen trifft. Und nun der Sohn, der nicht da ist, und über den sie in Schmerzen Nachrichten erwarten! Ist da nicht auch wieder eine jener Strafen der ewigen Gerechtigkeit? – Laß uns zu dem armen Holm gehen, den diese Gerechtigkeit so schwer mittrifft; vielleicht theilt er uns etwas mit.“

Wir verließen den Garten, um wieder auf den Gutshof zu gehen, auf dem der junge Mann noch warten mußte, wenn nicht unterdeß die Frau des Hauses schon zu ihm gekommen war. Unser Weg führte uns durch das Haus, in welchem uns die Hausfrau begegnete. Ihr Mann war nicht mehr bei ihr; sie war allein und sah fast verstört aus. Sie mußte eine schwere Schreckensnachricht erhalten haben. Als sie uns sah, kam sie auf uns zu.

„Sie wollten mich vorhin zu Holm führen,“ sagte sie zu dem Steuerrath. „Ich habe ihn noch nicht gesprochen. Ich war auf dem Wege zu ihm. Darf ich bitten, mich zu begleiten?“

„Auch wir waren gerade auf dem Wege zu ihm,“ sagte der Steuerrath.

Sie sah uns zweifelhaft an, besonders mich.

„Darf ich fragen, zu welchem Zweck?“ fragte sie dann den Steuerrath.

„Gnädige Frau,“ antwortete dieser, „Ihr Herr Gemahl hatte Ihnen offenbar keine angenehme Nachricht zu bringen. Da fürchtete ich, Sie hatten Holm vergessen, und wir wollten ihn bitten, noch zu warten.“

Der Steuerrath sprach die Worte theilnehmend, sorglich, wie ein Freund. Die unglückliche Frau mußte Einem leid thun. Es schien ihr leichter um das Herz zu werden. Sie faßte Muth, Vertrauen, anfangs nur noch halb.

„Mein Mann hat mir in der That keine angenehme Nachricht gebracht,“ sagte sie. „Und wenn Holm –“ Sie stockte und sah mich noch einmal zweifelhaft an. Sie konnte in meinem Gesichte nur das aufrichtigste Mitleid lesen. Aus dem ihrigen verschwand der letzte Rest des Mißtrauens. Sie mußte sich das Herz ganz erleichtern.

„0 meine Herren,“ sagte sie, „darf ich vorher ein paar Worte mit Ihnen reden? Besonders mit Ihnen, Herr Kreisjustizrath, dem Criminalrichter des Kreises? Wollen die Herren die Güte haben, mir zu folgen?“

Wir waren noch im Hause. Sie schloß ein Zimmer auf.

„Wir vermissen unseren Sohn Ulrich,“ sagte sie, nachdem wir in das Zimmer getreten waren, „unseren einzigen Sohn. Vor acht Tagen verließ er uns. Er hätte schon vor drei Tagen zurück sein müssen und ist nicht zurückgekommen; wir haben nicht die geringste Nachricht von ihm. Doch. Er ist schon seit vier Tagen von dem Ort seiner Bestimmung fort. Mit dieser Nachricht ist heute Abend mein Mann zurückgekehrt, der in unserer Angst ihm gestern nachgereist war. Ihnen, Herr Kreisjustizrath, wird so Manches angezeigt. Hätten Sie nichts vernommen, was auf ihn Bezug haben könnte?“

Mir wollte eine Centnerlast auf das Herz fallen. Sollte ich etwa den Ermordeten entdecken?

„An welche Art von Nachrichten denken Sie, gnädige Frau?“ fragte ich. „Ich bin Criminalrichter.“

„Ich weiß es,“ sagte sie. Aber sie hatte nicht den Muth, mehr zu sagen.

„In welchem Alter ist Ihr Sohn?“ mußte ich sie endlich fragen.

„Er ist fünfundzwanzig Jahre alt.“

„Wohin war Ihr Sohn gereist?“

Sie nannte eine kleine Stadt der Gegend, etwa sieben bis acht Meilen entfernt.

„Und er ist seit vier Tagen von da fort?“

„Um direct nach Hause zurückzukehren, wie er gesagt hat. Niemand hat ihn wieder gesehen.“

„War er in Geschäften hingereist?“

„Um Korn zu verkaufen. Es sind große Kornmärkte dort.“

„Und allein?“

„Allein, und zu Fuße. Es war seine Liebhaberei. Er streifte gern im Lande umher, bald hier, bald dort einen Abstecher machend.“

„Ich könnte Ihnen keine auf ihn zu beziehende Nachricht mittheilen, gnädige Frau, obwohl ich theilweise aus jener Gegend komme.“

„Aber Ihre Fragen waren so speciell, als wenn sie sich doch auf etwas bezögen.“

„Sie sollten nur meinen morgen anzustellenden Nachforschungen eine bestimmtere Richtung geben. Darf ich bitten, jetzt den Herrn Holm aufzusuchen?“

Sie war bereit, ihre eigene Unruhe trieb sie. Wir gingen zu Holm, auf den Gutshof hinaus. Er mochte nicht gerne das Haus wieder betreten wollen, aus dem er doch immerhin vertrieben war, und die Frau wollte es ihm nicht zumuthen. Er stand wartend am Ende des Hofes, hinter dem Baume, bei dem wir ihn vor einer halben Stunde verlassen hatten. Die Frau eilte auf ihn zu.

„Sie haben Nachrichten von Ulrich, Holm?“

„Nachrichten und keine Nachrichten, gnädige Frau.“

„Gute?“

„Ich weiß es nicht –“

„Es sind schlimme. Ich höre es an Ihrer Stimme. Aber was es auch sei, theilen Sie es mir mit, vollständig.“

Die Stimme, wie die Zurückhaltung des jungen Mannes, Beides ließ auf gute Nachrichten nicht schließen. Darin hatte die Frau Recht. Aber ihre Aeußerung ließ auch nicht auf einen Mord schließen, wenigstens nicht auf eine Furcht, daß ihr Sohn ermordet sei. Holm wollte noch einmal zweifelnd auf mich sehen. „Der Herr darf Alles wissen,“ sagte sie schnell. „Er muß Alles wissen. Erzählen Sie.“

„Ulrich ist schon am Sonnabend vom Kornmarkte abgereist.“

„Ich weiß es. Mein Mann hat ihm dort nachgeforscht. Haben Sie eine andere Spur von ihm?“

„Lassen Sie mich Ihnen ausführlich erzählen, gnädige Frau. Am Mittwoch, heute vor acht Tagen, war Ulrich bei mir. Sie wissen, wir waren befreundet. Er kam von Hause und brachte mir Nachrichten und Grüße von –“

Er stockte. Der Freund hatte ihm wohl Grüße, die letzten Grüße von der Schwester gebracht.

(Fortsetzung folgt.)

Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
2. Theodor Döring.

Auf seinem Krankenbette lag ein vierjähriger Knabe; der Arzt hatte ihn so eben verlassen, und die Mutter, eine sanfte Frau mit feinen, milden Zügen, war damit beschäftigt, ihrem Liebling den verordneten Heiltrank zu bereiten, ab und zu einen sorgsamen Blick auf den kleinen Patienten werfend. Dieser befand sich bereits in der Besserung, und da er ein sehr lebhaftes Temperament besaß, quälte er die gute Mutter mit seinen unaufhörlichen Wünschen und Fragen, so daß diese zuletzt sich genöthigt sah, ihm mit dem Arzte zu drohen, der ein alter, sehr ernster Herr war.

„Weißt Du auch Mama,“ fragte das frühreife Kind, ohne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_452.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2018)