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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Zeugniß ablegt. Hier ist jeder Zug dem Leben abgelauscht, wahr und natürlich, ohne jede Uebertreibung, ein vollendetes Genrebild.

Auf Empfehlung eines ihm befreundeten Engländers reiste Döring im Jahre 1836 nach Hamburg zu einem Gastspiele bei dem originellen Theaterdirector Friedrich Ludwig Schmidt, der ihn jedoch keineswegs ermuthigend empfing. Die Jahreszeit war sehr ungünstig gewählt, da im heißen August das Theater nur wenig besucht wurde; außerdem war der fremde Künstler in Hamburg wenig oder gar nicht bekannt. Alle diese Umstände stellte der wackere Director in seiner derben Weise Döring vor, ohne daß dieser sich davon abschrecken ließ. Endlich wurden ihm drei Gastrollen mit einem Honorar von zwölf Friedrichsd’or bewilligt, wenn auch nur mit großem Widerstreben. Döring trat in Hamburg auf und zwar mit einem so großen und unerwarteten Erfolg, daß er statt der zugestandenen drei Rollen siebenzehmnal vor überfülltem Hause spielen mußte. Das Publicum war entzückt und hingerissen, der tüchtige Kritiker Reinhold sprach offen seine Bewunderung und sein Erstaunen aus, daß ein so genialer Künstler so lange in Deutschland unbekannt bleiben konnte. Der alte Schmidt, selbst ein ausgezeichneter Schauspieler und der würdige Nachfolger des berühmten Schröder, bot ihm einen Contract auf zehn Jahre mit einer jährlichen Gage von 2500 Thaler, eine für die Hamburger Bühne und die damaligen Verhältnisse ungeheuere Summe. – Drei Jahre verweilte Döring in seiner neuen Stellung unter dem Director Schmidt, dem er seine künstlerische Vollendung und Abrundung zu verdanken hatte. Manche Rolle, wie zum Beispiel der „Dorfrichter Adam“ in dem „zerbrochenen Krug“ von Heinrich Kleist, worin Döring noch jetzt die größten Triumphe feiert, zeigen deutlich die Spuren der Schmidt’schen originellen und stets bedeutenden Auffassung. – Auch auf dem Hofburgtheater in Wien eröffnete Döring ein mit dem glänzendsten Erfolge gekröntes Gastspiel, das jedoch zu keinem Engagement führte, da das von ihm beanspruchte Rollenfach anderweitig besetzt wurde. Unterdeß erhielt Döring, nachdem Seydelmann einem Rufe nach Berlin gefolgt war, den ehrenvollen Antrag, dessen Stelle in Stuttgart zu ersetzen. Trotzdem er noch auf mehrere Jahre in Hamburg gebunden war, entband ihn der wackere Schmidt von seinem Contract, um ihn nicht in seinem Fortkommen zu hindern. In Stuttgart gefiel zwar Döring dem Publicum, aber er selbst hatte mit manchen Theatercabalen zu kämpfen, welche ihm seinen Aufenthalt verleideten, so daß er nach Pauli’s Tod sich nach Dresden wendete, wo ihm ein lebenslängliches Engagement mit einem ansehnlichen Gehalt geboten wurde. Seine Stuttgarter Gegner hatten jedoch an den sächsischen Generalintendanten, Grafen von Lüttichau, Briefe geschrieben, worin sie vor Döring wegen seines unverträglichen und unzufriedenen Charakters warnten. Als Graf Lüttichau diesen Verleumdungen Glauben zu schenken schien und ihn deshalb zur Rede stellte, zerriß der leicht verletzte Künstler den eben unterschriebenen Contract mit den Worten: „Wenn Sie so mit mir sprechen, so zwingen Sie mich, Herr Graf, auch Ihnen meinen unzufriedenen Charakter zu zeigen.“

Vergebens eilte der gutmüthige Hofrath Winkler dem zornigen Döring nach, um ihn zu beschwichtigen. Dieser verließ sogleich Dresden und reiste nach Hannover, wohin er ebenfalls eine Einladung erhalten hatte. Hier wurde er unter glänzenden Bedingungen engagirt; sein Künstlerruf steigerte sich von Tag zu Tag, so daß der bekannte Generalintendant Herr von Küstner sich veranlaßt sah, ihn zu einem Gastspiel an der Berliner Hofbühne aufzufordern, wo Seydelmann’s Tod einen entsprechenden Ersatz dringend forderte. Zum zweiten Mal in seinem Leben sah sich jetzt Döring berufen, der Nachfolger des berühmten Seydelmann zu werden, ein Beweis seiner eigenen Künstlerhöhe. Es war jedoch keine kleine Aufgabe für ihn, das für Seydelmann[1] mit Recht begeisterte Berliner Publicum zu gewinnen. Indeß gelang dies Döring bei seinem ersten Gastspiel so vollständig, daß ihm ein lebenslänglicher Contract an dem Berliner Hoftheater angeboten wurde. Indeß erhob sich eine neue große Schwierigkeit, da der damalige König von Hannover, der bekannte Ernst August, ihn nicht aus seiner bisherigen Stellung gutwillig entlassen wollte, so dringend auch Döring ihn darum wiederholt ersuchte.

„Warum,“ fragte ihn bei solcher Gelegenheit eines Tages der König in seinem gebrochenen Englisch-Deutsch. „warum willst Du fort von mir?“

„Eure Majestät,“ erwiderte der Künstler, „ich bin ein geborener Preuße und finde in meinem Vaterlande einen größeren Wirkungskreis.“

„Dummer Kerl!“ sagte der originelle Fürst wörtlich, „ich möchte auch lieber König sein von Engeland und muß doch hier bleiben in Hannover.“

Nur durch die Verwendung einer hochgestellten Dame, welche dem Könige sehr nahe stand, gelang es endlich Döring, seinen Abschied zu erhalten. Im Jahre 1844 kam er nach Berlin, wo er bald der Liebling des Publicums wurde und zu den ersten Künstlern nicht nur der Hofbühne, sondern in Deutschland überhaupt gerechnet wird. – Döring ist der geborene Schauspieler, eine wahrhaft geniale Künstlernatur, die in ihrer Vielseitigkeit unwillkürlich an den unübertroffenen Ludwig Devrient erinnert, mit dem er auch in seiner äußeren Erscheinung und Gesichtsbildung manche Aehnlichkeit zeigt. Wie dieser tritt auch Döring in den verschiedensten Fächern, in der ernsten Tragödie und im heiteren Lustspiel, mit gleichem Erfolge und gleicher Meisterschaft auf, indem er heute den „Franz Moor“ und „Shylock“, morgen den „Falstaff“ oder den schon erwähnten „Banquier Müller“ mit hinreißendem Talente spielt. Im höchsten Grade besitzt er das erste Erforderniß des darstellenden Künstlers, die proteische Gestaltungskraft und Verwandlungsfähigkeit, unterstützt durch sein ausdrucksvolles Gesicht und ein von Jugend auf geübtes und wunderbar entwickeltes Mienenspiel. Ohne Perrücke und Schminke, ohne alle gewöhnliche Hülfsmittel vermag Döring jeden beliebigen Charakter, jede Leidenschaft sogleich, blos durch die Gewalt, mit der er seine Züge beherrscht, vollkommen wahr und überraschend auszudrücken. Mit Hülfe eines weißen Taschentuches verwandelt er sich in eine alte Frau von so täuschender Aehnlichkeit, daß man das Gemälde eines niederländischen Meisters zu sehen glaubt. In demselben Grade, wie sein Gesicht, beherrscht er auch sein Organ, besitzt er die Fähigkeit jede Stimme, jeden Dialekt nachzuahmen, den er nur einmal gehört hat. Durch diese Eigenschaften übt er schon außerhalb der Bühne im alltäglichen Verkehr einen ganz eigentlichen Zauber auf seine Umgebung und seine näheren Bekannten und Freunde aus. Man kann sich nichts Interessanteres und Amusanteres denken, als wenn Döring irgend eine Geschichte, eine ganz gewöhnliche Begebenheit erzählt. Seine Züge beleben sich dabei, seine Mienen sind in fortwährender Spannung und begleiten jedes seiner Worte in sprechender Weise; man sieht die Personen, um die es sich handelt, man hört sie reden, und verkörpert steht ihr Bild vor unsern Augen. Das alltäglichste Ereigniß erhält daher in Döring’s Mund einen dramatischen Reiz, ein eigenthümliches Leben, eine fesselnde Gewalt. So oft der Künstler in der Weinhandlung von Luther, die er, wie der große Ludwig Devrient, gerne besucht, eine kleine Geschichte erzählt, sammelt sich ein Kreis von bewundernden Zuhörern um den vollendeten Mimiker. – Auf dem Theater verbindet Döring mit den genannten Eigenschaften eine lebendige, schöpferische Phantasie und eine wahrhaft geniale Gestaltungskraft. Den darzustellenden Charakter faßt er mit einer ihm eigenthümlichen Schärfe auf, die freilich zuweilen das Maß des Schönen überschreitet und ihm den Vorwurf der Carricatur, besonders in komischen Rollen, zuzieht. Immer bleiben aber seine Schöpfungen originell und von hinreißender Wirkung, und selbst sein „Elias Krumm“ in Kotzebue’s „Der gerade Weg ist der beste“, sein „Commissionsrath Frosch“ im „Verschwiegenen wider Willen“ sind trotz der Ausstellungen einer strengen Kritik nur unumstößliche Beweise einer Genialität, wie sie kein zweiter Schauspieler in Deutschland gegenwärtig aufzuweisen hat. Sein angeborener Humor, sein natürliches Gefühl für das Lächerliche, seine scharfe Charakteristik und ursprüngliche Komik weisen ihn vorzugsweise auf das Lustspiel an, wo er auch stets die glänzendsten Triumphe feiert.

Rollen wie „Falstaff“ und „Malvolio“ in Shakespeare’s „Was ihr wollt“ sind Döring’s Meisterstücke; hier entwickelt er einen unübertroffenen Humor, ein wahres Raketenfeuer von sprudelndem Witz, von bezaubernder Laune, von hinreißender Komik. Jede Miene, jede Bewegung, jeder Blick, jedes Lächeln übt einen unwiderstehlichen Zauber auf das Publicum, und selbst ein Cato wird sich des Lachens nicht enthalten, selbst der eingefleischteste Hypochonder nicht länger finster sehen, wenn Döring auf der Bühne erscheint. Oft reicht schon seine stets charakteristische Maske, seine bloße, stumme Erscheinung hin, um einen allgemeinen Jubel hervorzurufen. Aber auch im ernsten Schauspiel und selbst in der höheren Tragödie erzielt der Künstler ähnliche, wo nicht noch größere Erfolge. Sein

  1. WS: Im Original Seidelmann
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_455.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)