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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Häusern und auf den nächsten Büschen ruhig ihren gemüthlichen Gesang ohne Ende. Denn wenn der eine endigte, begann ein anderer, und so hörte man die Vorträge in einem fort. Und in einer Nacht war er mir besonders erfreulich: das war, als ich mich einmal verirrt hatte, mitten in einem Steppenwalde übernachten mußte, von Hyänen umheult, aber wegen des heftigen Windes kein Feuer machen konnte und mein erschreckendes Kameel zu beruhigen hatte. Als da vier bis sechs langschwänzige Nachtschatten um meine einfache Lagerstätte schwebten und mit bewunderungswerther Ausdauer ihr Gesangsstück vorzutragen begannen, da war ich getröstet ob alles Ungemachs der Nacht, denn ich wußte, daß der Morgen nicht mehr fern war und von den Sängern begrüßt werden sollte.“

Der eigenthümliche Gesang unseres Ziegenmelkers ist zugleich auch die hauptsächlichste Waffe, welche er gegen einen etwaigen Nebenbuhler – wer hätte denn solche nicht! – zu verwenden weiß. Doch kommt es manchmal auch noch zu ernsteren Thätlichkeiten. Wüthend stoßen zwei Männchen aufeinander, und gar grimmig und bösartig pfauchen sie einander an. Und wenn auch das nicht viel sagen will, sie erreichen doch ihren Zweck. Der eine schlägt den andern in die Flucht und eilt dann beglückt zu seinem Weibchen zurück, um mit diesem die Spiele der Liebe von Neuem zu beginnen. Gar artig sieht es aus, wenn dann beide Gatten neben- oder hinter einander herfliegen. Sie erscheinen noch einmal so groß als sie sind und verdienen jetzt ihren Namen Nachtschatten vollständig. Wie Gespenster schweben sie vorüber, die Flügelspitzen hoch über den Körper emporgehoben, oft auf lange Strecken hin ohne allen Flügelschlag.

Wenn der Ziegenmelker einmal munter geworden ist, kommt es ihm gar nicht darauf an, auch seinen lieben Wald zu verlassen. Er erscheint während der Nacht gar nicht selten in den Dörfern oder kleinen, nahe am Walde gelegenen Städten. So heimisch, wie in den Walddörfern Afrikas oder in den Gärten der Stadt Madrid, wird er freilich bei uns nicht, denn er kehrt immer und immer wieder nach seinem Walde zurück. Dort befindet sich ja das, was ihn am meisten zu fesseln weiß, sein Nest, oder richtiger sein Nestplatz.

Unser Ziegenmelker macht nicht besondere Umstände mit seiner Brut. Sein Weibchen legt die zwei gleichhälftigen, länglichen, glattschäligen, schwachglänzenden, auf bräunlichem oder schmuzigweißem Grunde mit erdfarbigen oder braunen Flecken bestreuten Eier ohne Weiteres auf den bloßen Boden hin. Niemals trägt er sich einen Halm oder ein Würzelchen zum Neste zusammen. Das Nest wird höchstens so angelegt, daß ihm ein dicker Baumast darüber einigermaßen zur Decke dient, d. h. dem brütenden Vogel der Tag ein paar Minuten lang Schatten gewährt. Gleichwohl liebt die Mutter ihre Brut so außerordentlich, daß sie sich beim Nest manchmal mit den Händen greifen läßt, und es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß auch für unseren Ziegenmelker die schöne Beobachtung eines amerikanischen Forschers gilt, nach welcher eine Art des dort lebenden Nachtschattens ihre Eier in den weiten Schlund nimmt und nach einer andern Stelle schafft. Die Jungen, welche nach achtzehn- bis zwanzigtägiger Bebrütung dem Ei entschlüpfen, sind mit einem langen, grauen, hier und da schwarzfleckigen Flaume bedeckt. Man findet sie nicht immer zu Zwei im Neste, denn gar oft kommt das eine Ei gar nicht auf, und die Eltern haben dann nur für einen Sprößling zu sorgen. Wenn dieser bereits im Juni vollkommen flügge und zum eigenen Nahrungserwerb geschickt genug ist, machen die Alten wohl auch zur zweiten Brut Anstalt, und dieser gehören dann die Jungen an, welche wir noch im August zuweilen finden. Sie ziehen gewöhnlich nicht mit den Alten im September, sondern erst im October von uns weg, auf gut Glück dem nahrungsreichen Süden entgegen.

Unter allen Eigenschaften des Ziegenmelkers ist seine Neugierde besonders hervorzuheben. Sie zeigt sich auf eine sehr auffallende Art. Sobald unser Vogel etwas Ungewöhnliches bemerkt, beginnt er zu rütteln, d. h. sich durch schnellen Flügelschlag oder durch eine fast zitternde Bewegung der Schwingen auf einer Stelle zu halten, um den ihm fremden Gegenstand recht in’s Auge zu fassen. Erst, wenn er seine Neubegier hinlänglich befriedigt hat, fliegt er weiter. Zuweilen wird ihm diese sonderbare Sucht verderblich. Ein schlechter Schütz z. B. dem der Ziegenmelker zu sehr Nachtschatten ist, braucht nur den einen Lauf seines Gewehrs auf ihn abzuschießen, um ihn zu veranlassen, sich zur bequemsten Zielscheibe selbst des ärgsten Sonntagsschützen zu stellen. Nach dem Schuß beginnt der Vogel sofort zu rütteln und kann dann auch ohne jede Kunstfertigkeit herabgedonnert werden. Nur ein erfahrener Ziegenmelker widersteht der Versuchung, nach einem Schusse durch Rütteln seiner Neugierde Genüge zu leisten.

Von dieser sonderbaren Leidenschaft des Ziegenmelkers erhielt ich vorigen Sommer einen mir besonders erfreulichen Beweis. Im Anfang des Juli ging ich Abends von dem benachbarten Karlsdorf nach Renthendorf zurück. Der Weg führte durch einen etwa dreißig Minuten breiten Nadelwald. Ich war kaum eingetreten, da flog ein Ziegenmelker über meinen Weg, erblickte mich, rüttelte, besah mich ganz genau, setzte sich dann auf eine wenig entfernte Kiefer nieder und begann zu spinnen. Ich mochte noch nicht hundert Schritte weiter gegangen sein, da erschien mein lieber Freund schon wieder, schwebte neuerdings über mir herum, besah mich noch einmal und flog auf einen andern Baum, wo er sein Spinnen wieder aufnahm. Ich setzte meinen Weg fort und mochte, während der Ziegenmelker unverdrossen fortspann, um 500 Schritte weiter gegangen sein. Da erschien der Vogel zum dritten Male und begleitete mich wieder ein Stückchen. Der Weg hatte mich jetzt tief in das Thal hinabgeführt und der dichte Wald meinen neugierigen Beobachter entzogen. Als ich aber den gegenseitigen Hügel heraufgestiegen und dahin gekommen war, wo der Weg wieder frei wurde, erschien auch der Ziegenmelker abermals und flog längere Zeit als gewöhnlich über mir herum, gerade, als wolle er mir sagen: „Hier ist meines Reiches Grenze, an dieser will ich Abschied nehmen.“ Er that dies denn auch und kehrte über das Thal nach seinem Brutorte zurück, wie ich aus seinem von rückwärts zu mir hertönenden Geschnurre erkannte. Im Ganzen hatte er mich über eine Viertelstunde weit begleitet.

Bald darauf sprach ich mit dem auf alle Naturerscheinungen sehr aufmerksamen Herrn Förster Spittel in Mäusebach über dieses sonderbare Betragen des mir so lieben Vogels. Herr Spittel versicherte mir zu meiner großen Freude, daß er dieselbe Beobachtung schon mehrmals gemacht und bereits schon einige Mal mit Vergnügen gesehen habe, daß ein Ziegenmelker ihm Abends das Heimgeleite gab.

Zum Schluß noch eine Bitte. Jeder Leser, welcher mit dem gezeichneten Vogel in Berührung kommen sollte, möge ihn schonen. Er ist ein außerordentlich nützliches Geschöpf, denn er verzehrt bei seiner regen Eßlust eine große Menge schädlicher Kerbthiere, besonders Käfer, Abendfalter und Nachtschmetterlinge. Seine weite Speiseröhre gestattet ihm, Kerfe von bedeutender Größe herabzuschlingen, welche die meisten andern Insectenfresser fliegen lassen müssen, weil sie dieselben nicht bewältigen können. Wenn man nun bedenken will, daß während der Nachtzeit gerade die schlimmsten Feinde unseres Waldes fliegen und außer am Ziegenmelker nur noch an den Fledermäusen verfolgungsfähige Feinde haben, wird man die Wichtigkeit jenes Vogels kaum unterschätzen.

Einer, welchen ich kurz nach Sonnenuntergang erlegte, hatte, obwohl er höchstens drei Minuten geflogen, doch schon vier Maikäfer gefangen, und bei anderen fand ich den großen Magen von diesem schädlichen Gewürm und anderen Baumvertilgern dick aufgetrieben. Der Ziegenmelker richtet unter den Abend- und Nachtschmetterlingen große Niederlagen an und verdient die Schonung, welche ihm gegenwärtig von allen einsichtsvollen Forstfreunden wird.

Merkwürdig ist, daß der Vogel die lebenskräftigen Käfer herunterschlingt, wie sie ihm vor den Rachen kommen. Ich habe einen erlegt, welcher eine noch sehr muntere Nonne in seinem Rachen hatte.

Zahm gehalten macht der Ziegenmelker dem Besitzer wenig Freude, weil er fast immer mit dem Vorderkörper auf dem Boden des Käfigs liegt und wegen seines schlechten Ganges nicht herumspaziert. Wenn man ihn zum Zorn reizt, sperrt er den Rachen auf und pfaucht wie eine Schleiereule. Er hält sich auch bei dem besten Futter, welches man ihm nur mit größter Mühe beibringt, in der Gefangenschaft selten länger als eine oder zwei Wochen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_458.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)