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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Polterabend.
Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung. )

Nach einer kurzen Pause fuhr der Inspector Holm in seiner Erzählung fort: „Ulrich sagte mir, daß er auf dem Wege zum Kornmarkt sei und am Montage auf seinem Rückwege wieder bei mir vorsprechen werde. Der Kornmarkt war schon am Freitag zu Ende, und ich fragte ihn, warum er da erst am Montag zurückkehre. Er wollte anfangs mit der Sprache nicht heraus. Zuletzt gestand er, er wolle – Sie müssen Alles wissen, gnädige Frau – zu der Henriette.“

„Mein Gott!“ sagte die Frau schmerzlich. „Aber erzählen Sie weiter.“

„Ich machte ihm Vorstellungen,“ erzählte Holm weiter. „Ich durfte und mußte es als Freund. Ich erinnerte ihn an seine Ehre, an seine Eltern, an seine Schwester. Es war vergeblich. Er sagte, er könne nun einmal nicht anders. Ich ließ ihn. Aber ich hatte meinen Entschluß gefaßt. Am Freitag Abend war ich in Szubin, wo die Henriette bei ihrer Mutter wohnt. So wie Ulrich kam, wollte ich ihn wieder mit mir nehmen. Ich quartierte mich in den Krug ein; auch er mußte, wenigstens zuerst, in diesem einkehren. In dem Kruge erkundigte ich mich nach der Familie des Mädchens. Sie stand nicht im besten Rufe. Die Mutter ist die Wittwe eines Grenzaufsehers, der dort stationirt gewesen war. Sie hatte schon zu Lebzeiten ihres Mannes ein leichtsinniges Leben geführt. Nach dem Tode ihres Mannes, als ihre Töchter herangewachsen und hübsch, sehr hübsch geworden waren, war ihr Haus der Sammelplatz der jungen, nichtsnutzigen Männer der Umgegend geworden, der jüngeren Grenz- und Steuerbeamten, Oekonomie- und Forsteleven, der Söhne von Gutsbesitzern etc. Die jungen Leute wurden von der verschmitzten Frau ausgeplündert; sie mußten die Familie ernähren, und die Familie lebte gut; namentlich war der Aufwand und Putz der Töchter ein großer. Die Frau hat drei Töchter. Henriette ist die jüngste und hübscheste. Ein Bekannter der Familie hatte auch einen besseren Grund in ihr zu finden gemeint. Er hatte daher die Mutter vermocht, sie aus dem Hause zu geben, und so war sie hierher, zu Ihnen, gnädige Frau, als Kammerjungfer gekommen. Aber sie war nicht besser als ihre Mutter, als ihre Schwestern. Sie suchte schon nach wenigen Monaten Ulrich in ihre Netze zu ziehen. Es gelang ihr, bei seinem eben so gutmüthigen, wie leider auch schwachen Charakter. Sie mußte fort und kehrte zu ihrer Mutter zurück. Wir hatten geglaubt, er habe sie aufgegeben, gar vergessen. Da jenes Geständniß gegen mich! Nach jenen Nachrichten, die ich im Kruge erhielt, hoffte ich, ihn um so leichter von dem Hause und der Person fernhalten zu können. Ich glaubte es um so mehr zu müssen, da ich wußte, daß er von dem Marke viel Geld mitbrachte. Aber er kam nicht, weder am Freitag Abend, noch am Sonnabend, noch am Sonntag. So lange hatte ich im Kruge gewartet. Ich ging geradezu in das Haus der Wittwe und ließ Henriette zu mir bitten. Sie kam, und ich fragte sie, ob Ulrich nicht dagewesen sei. Sie verneinte es, sie wollte nichts von ihm wissen. Ich glaubte ihr. Sie war sofort zu mir herein gekommen, sie war unbefangen, sie konnte mir klar in die Augen sehen. Auch ihre Mutter, die mich empfangen hatte, war nicht verlegen gewesen. Endlich hatte kein Mensch im Dorfe einen jungen Mann von dem Aeußeren Ulrichs gesehen. Er war also nicht da gewesen. Ich mußte jetzt um so mehr Gewißheit haben, und eilte hierher nach Kalwellen. Auch hier war er nicht gewesen und in der Marktstadt, wohin ich sofort mich fahren ließ, erfuhr ich nur, daß er seit Sonnabend, nachdem er gute Geschäfte gemacht und viel Geld eingenommen, zu Fuße weiter gereist sei. Alle meine Nachforschungen, ob er mit verdächtigen Personen verkehrt, wurden verneint. Ulrich konnte nur zwei Wege genommen haben, nach Szubin, zu Henrietten, oder nach Kalwellen, nach Hause zurück. Ich reiste zurück, frug vergebens nach ihm und folgte dem Wege nach Szubin. Man wußte hier eben so wenig von ihm. Ich ging noch einmal in die Wohnung Henriettens. Ich fragte das Mädchen wiederholt nach ihm. Es war heute Vormittag. Sie wollte ärgerlich über meine Zudringlichkeit werden. Da erzählte ich ihr, wie Ulrich zu ihr gewollt, und ich ihn nun seit sechs Tagen vergeblich suche. Auf einmal wurde sie unruhig, blaß. „Was ist Ihnen?“ fragte ich sie. „Wissen. Sie etwas?“

Der Erzähler unterbrach sich.

„Gnädige Frau, sie theilte mir eine Nachricht mit, die mich im ersten Augenblick tief erschreckte, die ich damit aber, als ich darüber nachsann, für völlig unglaublich halten mußte. Dennoch darf ich sie ihnen nicht vorenthalten.“

„Theilen Sie sie mit,“ sagte die Frau Bertossa. Die arme Frau konnte vor Angst die Worte kaum hervorpressen. Holm fuhr fort:

„Mein Gott.“ rief das Mädchen; „wenn er das wäre!“

„Wer?“ fragte ich.

„Aber es ist nicht möglich!“ sagte sie. „Wie sollte er dahin kommen?“

„Erzählen Sie, Henriette.“

„Hören Sie. Aber Ulrich kann es nicht sein. Heute war ein Grenzbeamter hier, der in der Nacht mit einem russischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_465.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)