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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Die Fahnenweihe von Covington.
Aus dem deutschen Turnerleben in Amerika vor Ausbruch des Kriegs.

Motto: „Rühmend darf’s der Deutsche sagen,
Höher darf das Herz ihm schlagen,
Selbst erschuf er sich den Werth.“
          Schiller.

Wir deutschen Turner in Cincinnati führten mitten im Strudel des amerikanischen Treibens ein schönes, echt deutsches Leben, worin sich Ernst und Gemüthlichkeit paarten. Unsere Turngemeinde, in der alle Gauen des deutschen Vaterlandes vertreten waren, hatte sich in der freien Sonne Amerika’s rasch zu großer Blüthe entfaltet. Eine herrliche, wohleingerichtete Turnhalle vereinigte jeden Abend die jungen strebsamen Deutschen Cincinnati’s zu gemeinsamer Ausbildung. Dort war der Mittelpunkt des deutschen Lebens dieser großen Stadt, des Turners eigentliche Heimath, wohin er beim Schlag der Feierstunde aus Werkstätten und Comptoirs eilte, um in männlichen Uebungen Geist und Körper zu erfrischen, oder in gemüthlicher Unterhaltung bei Sang und Becherklang sich in das liebe Vaterland zurück zu versetzen. Wir betrachteten das Turnen nicht blos als physische Kraftübung, sondern vielmehr als eine den ganzen Menschen umfassende Bildungsschule, wodurch alle höheren Kräfte, alles Schöne, Edle und Menschliche geweckt und entwickelt werden sollte. Daher besaß unsere Anstalt neben den gewöhnlichen Räumlichkeiten, welche den eigentlichen Turn-, Fecht- und Schießübungen gewidmet waren, auch noch andere für gesellige und geistige Bedürfnisse, namentlich ein Spiel- und Gesellschaftslocal, ein Zeitungs- und Lesezimmer, eine schöne Bibliothek und einen größeren Sprechsaal für allgemeine Versammlungen, Reden und wissenschaftliche Vorträge von allgemein bildendem Inhalt, welch letztere zwei Mal wöchentlich durch unsere gelehrteren Landsleute, deren in Cincinnati nicht wenige sind, abgehalten wurden. Alle Mitglieder – im Ganzen etwa 600 Mann – waren verbunden an jedem Abend pünktlich auf dem Platze zu sein; denn die Zeit für die verschiedenen Uebungen, für leibliches und geistiges Turnen, wie wir uns ausdrückten, war wohlgeordnet und eingetheilt, so daß eigentliches Turnen und Fechten, Unterhaltung und Belehrung, Gesang und Spiel stets in richtiger Harmonie mit einander abwechselten. Besteht doch nach den großen Meistern der Gymnastik, den alten Griechen und dem Philosophen Plato, welcher anders als unsere jetzigen Stubengelehrten selbst bei den olympischen Spielen mitkämpfte, gerade das Wesen dieser edlen Kunst in der allseitigen harmonischen Ausbildung aller Kräfte, wodurch die Schäden individueller Einseitigkeit und verrotteter Ideen und Gewohnheiten gehoben und das richtige Ebenmaß im Menschen, ein erweiterter Sinn und besonnene Kraft, Frische und Freiheit des Geistes und Körpers, Frohsinn und Frömmigkeit des Herzens nach des Turners schönem Wahlspruch zur Wahrheit werden mögen.

Dabei vergaßen wir aber nicht, daß wir in dem praktischen Amerika waren, und legten daher namentlich auch den Uebungen in den Waffen einen großen Werth bei. Unsere Turngemeinde zählte eine eigene Abtheilung Schützen, worin die gewandtesten, lebhaftesten Leute eingereiht waren, welche sich das militärische Exercitium besonders angelegen sein ließen. Diese Einrichtung war für uns Deutsche keineswegs ein so überflüssiges Spiel, wie es vielleicht scheinen möchte, wenn man sich unsere Lage mitten in fremdem Land unter einer feindlichen Bevölkerung, ohne den mindesten Schutz von Seite unserer Regierung, wie sich dessen Franzosen und Engländer erfreuen, in Erinnerung bringt. Denn gerade damals stand das Unwesen der „Knownothings“, d. h. einer allgemeinen Verschwörung gegen die Deutschen, in schönster Blüthe, und so geschah es gar leicht, daß der friedliche, fleißige deutsche Emigrant, den vielleicht nur die harte Noth auf den freien Boden Amerika’s getrieben hatte, sich hier vielfach den schreiendsten Beleidigungen, den empörendsten Mißhandlungen preisgegeben sah, wogegen ihn die Gesetze der Republik leider so wenig, als sein politisch darniederliegendes Vaterland schützen konnten oder wollten. Was Wunder, wenn uns da die Noth zuletzt auf eigene Kraft bauen lehrte, wenn wir uns in thatkräftige Vereine zusammenthaten und uns mit dem achtunggebietenden Nimbus der Waffen umgaben, deren bloßer Anblick seine abkühlende Wirkung auf wälschen Uebermuth nicht verfehlte! Wo wir Turner daher in so großer Anzahl wie in Cincinnati beisammen waren, daß wir uns stellen konnten, da lachten wir der Mißgunst der Yankees, frei und offen zeigten wir bei jeder Gelegenheit unsere Farbe und sangen unsere schönen deutschen Lieder, daß man es überall hören konnte.

Das verdroß denn die Yankees gewaltig. Sahen sie ohnehin schon mit geheimem Neid und verletztem Stolz, wie die mißachteten Fremdlinge mitten unter ihnen ein so fröhliches gemüthliches Leben führten und sich dabei so sehr wenig nach ihnen umsahen, so kam noch der verbissene Ingrimm hinzu, diese Deutschen wegen ihrer imponirenden Haltung nicht, wie sie doch sonst gewohnt waren, nach Herzenslust mit Füßen treten zu können. So wird man es erklärlich finden, daß sich gegen unsere deutschen Turngemeinden allmählich eine gereizte Stimmung entwickelt hatte, die früher oder später bei günstiger Gelegenheit einmal zum Ausbruch kommen mußte.

Diese Gelegenheit hätte denn auch in der That kaum passender eintreffen können, als am Pfingstmontag 1856 bei der Fahnenweihe der neugegründeten deutschen Turngemeinde von Covington, wobei sich die 2 Turngemeinden von Cincinnati und den beiden über dem Ohio gerade gegenüber liegenden Städten Newport und Covington zu einem großen deutschen Turnfest zusammenfanden. Geboten die obwaltenden Verhältnisse ohnedies Vorsicht, so galt es diesmal doppelt und dreifach auf der Hut zu sein, da die Stadt Covington, wo wir zusammenkommen wollten, schon zu dem Sclavenstaat Kentucky gehört, wo die Sitten wegen der Sklaverei roher und die Bewohner den Deutschen und noch dazu deutschen Turnern – diesen Antipoden der Sclaverei noch abholder sind als in den freien Staaten. Als wir deshalb mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen über den Ohio zogen, durften wir uns wohl schon auf einen Strauß mit dem Straßengesindel eines Sclavenstaates gefaßt halten.

Das Verbrüderungsfest der 3 deutschen Turngemeinden von Cincinnati, Newport und Covington verlief in schönster Harmonie. Man kann sich leichter denken, als beschreiben, wie herzlich und freudig da Gruß und Händedruck, Fragen und Antworten flogen, wie sich so manche alte Bekanntschaft aus der lieben Heimath erneuerte und neue Bande zwischen den deutschen Brüdern sich knüpften, welche ein gemeinsames Schicksal aus allen Gauen Deutschlands hierher zusammengeschneit hatte. Ganz Deutschland war hier vertreten, hier gab es keine Oesterreicher und Preußen, keinen Süden und Norden, keine Katholiken und Protestanten, und man durfte, wie neuerdings auf dem berühmten Frankfurter Schützenfest, mit Recht sagen: das stolze Wort „deutsche Einheit“ war hier wenigstens im Kleinen zur vollen Wahrheit geworden. Begeisterte Reden wurden gehalten, die Becher kreisten, und in vollen Klängen rauschte der deutsche Gesang an den fernen Ufern des Ohio so frisch und froh wie daheim an dem grünen Rheine.

Aber während wir Deutsche noch so fröhlich beisammen waren, da umdrängten uns auch schon die finsteren Gestalten der Yankees, denen der helle Neid aus den Augen schaute, daß wir ein so schönes Fest feierten, wie sie selber es nun und nimmer im Stande sind; denn solche Feste können ja doch überhaupt nur Deutschen gelingen.

Als nun endlich der Abend herniedersank und wir uns schon von den Turnern von Covington verabschiedet hatten, schlugen wir, statt direct über den Ohio zu gehen, mit den Newporter Turnern den gemeinschaftlichen Rückweg über Newport ein, welches, von Covington nur durch den Licking getrennt, noch auf derselben Seite des Ohio ebenfalls im Staat Kentucky liegt. Während wir nun in geschlossenem Zug, Fahnen und Musik voran, durch die Straßen von Covington marschirten, drängten sich plötzlich etliche Polizisten in unsere Schaar ein, welche unter dem Vorhaben, wir hätten ein Kind geschlagen, einzelne Turner, ohne Unterschied der Person, herauszugreifen suchten. Unsere Leute gaben ihnen zu verstehen, „sie seien amerikanische Bürger, die sich nicht ohne Weiteres arretiren ließen, man möchte sich, wenn man Etwas von uns wolle, wenigstens zuvörderst an den Commandanten des Zuges wenden“ u. dgl. Da aber die Polizisten dessenungeachtet sofort Gewalt anwenden wollten und sogar die Revolvers anlegten, so erhielt der Eine von Seite der Unsrigen, die schnell zuvorkamen, einen Schuß in den Arm, ein Anderer einen Hieb mit dem Faschinenmesser über den Kopf. Dies war das Signal zu allgemeinem Aufstand. In einem Augenblick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_478.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)