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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

es wolle, nicht blos das Recht, sondern auch die Pflicht Alles vorzunehmen, was zur Einleitung oder Fortführung der Untersuchung auf der Stelle, für den ersten Angriff, wie wir es nennen, erforderlich ist. Sie haben mir eingeräumt, Herr von Föhrenbach, daß Sie wegen Ermordung des Fleischers in Untersuchung waren. Mir ist bekannt, daß Sie vorläufig freigesprochen sind – oder wollen Sie es leugnen?“

Er antwortete nicht.

„Wohl,“ sagte ich. „Sie sind also von jenem Morde nur vorläufig freigesprochen. Neue Indicien habe ich heute hier gesammelt. Sie sind mein Gefangener, Herr von Föhrenbach.“

Wie ihn der Schlag traf, sah ich nicht und durfte mich auch nicht mehr nach ihm umsehen. Ich mußte das, was ich einmal angefangen hatte, ohne den geringsten Aufenthalt fortführen. Ich hatte in meinem Rechte gehandelt, aber im Grunde mehr in einem formellen, als materiellen Rechte. Ich hatte Indicien gesammelt, aber sie waren nur psychologische. Ich hatte die Hoffnung, ihnen jeden Augenblick einen auch äußerlich greifbaren Grund geben zu können. Wenn ich sofort gegen den Herrn Bertossa einschritt, hier, in diesem Augenblicke – ich hätte ein schlechter Inquirent sein müssen, hätte ich nicht, falls auch nicht ein volles Geständniß der That, doch Geständnisse von Thatsachen erhalten, die von der größten Erheblichkeit waren. Allein ich konnte das nur hoffen, und ich hatte jedenfalls ein Spiel begonnen, dessen Ausgang ich nicht mit Sicherheit voraussehen konnte. Die vollste Sicherheit des Benehmens that mir da zunächst Noth.

Freilich lag noch das zweite Verbrechen, der Mord an der Grenze, vor, und für ihn hatte ich mehr als blos innerliche Vermuthungen, hatte ich erhebliche thatsächliche Verdachtsgründe, die unter allen Umständen weiter verfolgt werden mußten, und deren Verfolgung eben so große Eile, wie Vorsicht erforderte. Hier mußte der Zweck ein, wenn auch nur formell, doch immer rechtlich begründetes Mittel um so mehr heiligen, als ich es unzweifelhaft mit einem Verbrecher zu thun hatte, der seine frühere Freisprechung nur seiner ungewöhnlichen Frechheit und Verschlagenheit verdankte. So konnte ich denn, wie mein juristisches, auch mein menschliches Gewissen beruhigen. Ich ging rasch zur Thür, öffnete sie und sprach hinaus:

„Georg, draußen wartet ein Gensd’arm. Führen Sie ihn her.“

„Zu Befehl, Herr,“ sagte der Kutscher.

Dann wandte ich mich wieder um, zu dem Herrn von Föhrenbach. Ich wußte ja seinen wahren Namen noch nicht. Er stand mit blassem Gesichte da. Er hatte seine Lage erkannt, und war noch nicht mit sich einig, was er thun solle, wie er sich zu verhalten habe. Er blickte bald zweifelhaft nach mir hin, bald unschlüssig vor sich nieder. Ich ging still, schweigend, langsam in dem Zimmer umher. Ich durfte ihm nichts mehr sagen. War noch etwas von ihm heraus zu bekommen, so mußte er selbst und von selbst damit hervortreten. Und wie ich die Menschen, die verbrecherischen – von ihnen nur spricht ja ein Criminalrichter – kannte, mußte ich erwarten, daß er so hervortreten werde. Ich wartete darauf.

Ich machte mir unterdeß meinen Plan weiter fertig. Er war und wurde einfach folgender: Der Herr von Föhrenbach blieb mein Gefangener. Meinen Gefangenen konnte ich, einen Gefangenen wie ihn mußte ich, bis ich ihn in die Gefängnisse des Criminalgerichts ablieferte, unter meiner fortwährenden, unmittelbaren Aufsicht behalten. Ich konnte, ich mußte ihn also auch mit mir nach der russischen Grenze nehmen, wo mir die Leiche des Ermordeten herausgegeben werden sollte. Ich konnte unterdeß in der Nachbarschaft Erkundigungen einziehen lassen, ob Föhrenbach in der Nacht vom Sonntag zum Montag dort gewesen sei, und konnte ferner unterdeß Joes Lubatis zur Grenze bestellen lassen.

Ueber einen Punkt war ich noch zweifelhaft: was und wie sollte ich mit dem Herrn Bertossa beginnen? Der Herr von Föhrenbach unterbrach mich in meinen Gedanken darüber. Er trat an mich heran. Seine Miene war eine entschlossene.

„Mein Herr, ist es Ihr Ernst, daß Sie mich verhaften lassen wollen?“

„Gewiß. Sie sind bereits mein Gefangener.“

„Oho, mein Herr, ich glaube doch, ich bin der Stärkere von uns Beiden.“

Das war er in der That. Groß und stark gebaut, schien er nicht unbedeutende Körperkraft zu besitzen, und – es fiel mir zugleich jetzt auf – eine nicht unbedeutende Körperkraft hatte dazu gehört, den Ermordeten, der nicht an der Erde geschleppt war, von dem preußischen Gebiete in das russische hinüber zu tragen.

„Es käme darauf an, mein Herr,“ antwortete ich ihm indeß ruhig. „Uebrigens stehen mir hier gegen Sie hundert Arme zu Gebote, und für alle Fälle –“

Ich zog ein Doppelterzerol hervor, das ich auf meinen Reisen an der Grenze immer bei mir zu tragen pflegte. Auch er blieb ruhig.

„Darf ich fragen, was Sie weiter mit mir machen würden?“ fragte er.

„Würden?“ erwiderte ich. „Ich werde Sie in die Criminalgefängnisse bringen lassen.“

„Heute?“

„Sie werden noch heute Nacht die Reise antreten.“

„Es wäre eine eigenthümliche Unterbrechung des Festes.“

„Ja, so wird es sein.“

„Und, mein Herr – erlauben Sie mir noch die Frage – was wird mit dem Herrn – dem Herrn Bertossa – oder, da Sie ja auch seinen Namen kennen werden, dem Baron Grafenberg?“

Grafenberg! Baron Grafenberg! da hatte ich auf einmal den Namen, den so lange verlorenen und so angelegentlich gesuchten Namen jenes Gutsbesitzers wieder, der in der Untersuchung über den Mord des Viehhändlers als Zeuge vernommen und als Mörder verdächtig war. Und in demselben Momente hatte ich endlich auch den noch angelegentlicher, fast schmerzlich gesuchten Namen des Mannes, der als Baron Föhrenbach vor mir stand. Theobald von Freising hieß er. Ihn durfte ich nur noch nicht aussprechen, bis er selbst ihn mir nannte. Ich hatte es ihm einmal gesagt. Indeß –

„Richtig, mein Herr,“ sagte ich, „das ist der eigentliche Name des Herrn Bertossa. Würden Sie mir vielleicht jetzt auch Ihren eigentlichen Namen sagen?“

„Warum, da Sie ihn kennen?“ erwiderte er. „Wenn Ihnen jedoch ein Gefallen damit geschieht – ich heiße von Freising.“

„Auch richtig, mein Herr.“ sagte ich. „Theobald von Freising. Und nun, was Ihre Frage betrifft, so werden Sie einsehen, daß ein Inquirent auf dergleichen Fragen eben nicht antworten darf.“

„So könnte ich selbst Ihnen die Antwort geben,“ rief er rasch.

„Es würde überflüssig sein.“

„Vielleicht nicht. Mein Herr, wenn Sie mich arretiren, so müssen Sie auch den Herrn von Grafenberg verhaften.“

„Und dann?“

„Und dann, mein Herr –?“

Er hatte sich besonnen. Ein Entschluß, wie der Verzweiflung, war in ihm aufgetaucht gewesen. Er hatte ihn zurückgedrängt.

„Das Weitere wird sich finden,“ sagte er kalt.

Ich erwiderte ihm nichts. Der Gensd’arm trat ein, den ich durch den Kutscher hatte rufen lassen.

„Gensd’arm. Sie bewachen diesen Herrn. Er ist Ihr Gefangener. Sie stehen mit Ihrem Kopfe für ihn ein.“

„Zu Befehl.“

Ich verließ das Zimmer. Draußen stand der Kutscher.

„Georg, bei dem Gensd’arm fanden Sie den Herrn Holm?“

„Die Beiden standen beisammen.“

„Bringen Sie ihn sofort zu mir, unten an die Haustür. Sodann, Georg, von Allem, was Sie hier gesehen und gehört haben, erfährt kein Mensch etwas.“

„Kein Mensch, Herr!“

Er eilte fort. Ich ging ihm langsam nach, bis zur Hausthür. Nach drei Minuten war er dort mit Holm bei mir. Ich hatte zuerst für den alten Mann wieder einen Auftrag.

„Bitten Sie den Herrn Steuerrath hierher.“

Er eilte wieder fort. Dann wandte ich mich an Holm.

„Herr Holm, Joes Lubatis muß morgen früh mit dem Aufgange der Sonne in Miszlauken sein.“ So hieß das Dorf an der Grenze, in dem ich die Beamten des Criminalgerichts zurückgelassen hatte.

„Ich werde auf der Stelle zu ihm reiten, Herr Kreisjustizrath.“

„Ich wollte Sie darum bitten.“

Er war schon fort. Gleich darauf kam der Steuerrath.

„Freund, stellst Du mir Deinen Wagen zur Disposition?“

„Wohin?“

„Nach Miszlauken, wo wir uns trafen.“

„Ohne mich?“

„Für Dich habe ich eine Mission.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_482.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)