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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

gewahrt werden können, als unter dem feudal-büreaukratischen Regiment, welches von Neuem die Zügel ergriffen hatte. Da endlich, in dem gemeinsamen wirthschaftlichen und politischen Bedürfniß, in der auf Allen gleich schwerlastenden bedrohlichen Lage des Vaterlandes nach innen wie nach außen, fand man sich zu gemeinsamem Handeln wieder zusammen, und verständigte sich über die Ziele des Kampfes, über Mittel und Wege einer offenen und energischen Agitation mit gesetzlichen Mitteln für das verfassungsmäßige Recht, als Basis jeder weiteren Entwickelung. Obschon verkürzt um manches Recht von 1848, traten die Arbeiter rückhaltlos in die Reihen der liberalen Kämpfer und bewiesen durch ihr Feststehen gegen das Werben der Rückschrittsmänner, daß die Erfahrungen von 1848 und 1849 für sie nicht verloren seien.

Aber damit nicht genug. Mit dieser klaren Position auf politischem Gebiete wurde zugleich der Grund zu gesunden socialen Bestrebungen, zur dauernden Hebung der betheiligten zahlreichen Bevölkerungsschichten in ihrer materiellen Lage wie in ihrer ganzen gesellschaftlichen Stellung gelegt. Mit einem unsäglichen Eifer ergriffen die Arbeiter, zunächst in den größeren Städten, die ihnen von Männern der gebildeten Stände, von Vertretern der Wissenschaft, dargebotenen Hände, ihre Kenntnisse, ihre Bildung für Beruf und Leben zu erweitern. Zugleich wurden praktische Organisationen mannigfacher Art geschaffen, die materiellen Fragen in Beschaffung der Arbeits- und Unterhaltungsmittel, in Gewährung von Baarschaft und Credit, in Ermöglichung der gewerblichen Selbstständigkeit, zum Besten der Leute zu lösen. Eine Unzahl von Vereinen entstand und ist täglich im Wachsen. Während die Arbeiter, die Handwerker, die Gewerbe- und volkswirthschaftlichen Vereine die Fortbildung in technischer, gewerblicher und humaner Hinsicht vermitteln, befassen sich die Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften in der angedeuteten Art mit der Hebung der materiellen Lage ihrer Mitglieder. Eine Regsamkeit, ein rüstiges Erfassen, ein freudiges Schaffen herrschen überall, wie sie erforderlich waren, in kurzer Zeit, vor Ablauf eines Jahrzehnts, bedeutende Resultate hervorzubringen. Sicher kann die Zahl der Vereine nach jeder der beiden Hauptrichtungen hin mindestens auf tausend in Deutschland angeschlagen werden, und ihre Mitglieder auf zusammen einige hunderttausend. Während sich mehrere Bildungsvereine – wir nennen namentlich den großen Handwerkerverein zu Berlin und den Arbeiterfortbildungsverein zu Hamburg – zu wahren Arbeiterakademien emporgeschwungen haben, eigene großartige Locale, Bibliotheken und die besten Lehrkräfte und Lehrmittel jeder Art besitzen, haben die Genossenschaften – Vorschuß- und Creditvereine, Rohstoff-, Magazin- und Productivgenossenschaften, Consumvereine u. a. – im Jahre 1862 bereits für mehr als 30 Millionen Thaler Geschäfte gemacht und darunter gegen 25 Millionen baar unter ihren Mitgliedern in Umlauf gesetzt, auch durch allmähliche geringe Einlagen und Zuschreibung von Gewinnantheilen an eigenem, den Mitgliedern gehörigem Fond mehr als 1½ Millionen Thaler aufgesammelt, obschon die meisten dieser Vereine erst seit 2 bis 3 Jahren bestehen. Und bei allen diesen Bestrebungen – dies heben wir besonders als dasjenige Moment hervor, welches ihnen erst ihren rechten Werth giebt – stehn die Arbeiter durchaus und völlig auf dem Boden der Selbsthülfe!

Welche Freude, welches erhebende Gefühl, sein Vorwärtskommen in Bildung und Wohlstand, seine materielle Existenz, seine gesellschaftliche Stellung der eigenen Kraft zu danken, sich sein Geschick selbst gemacht zu haben, alle Unterstützung, jede Gönnerschaft mit der von beiden unzertrennlichen Einmischung und Beaufsichtigung, von sich abweisen zu können! Nur wer auf eigenen Füßen steht, wer sich selbst zu helfen weiß, ist ein freier Mann – und daß die Arbeiter dies recht wohl vermögen, wenn sie es nur recht angreifen, das zeigt sich alle Tage, und das giebt ihnen eben den frischen Muth, den nachhaltigen Eifer in allen diesen anstrengenden Mühen, diesen schweren Anfängen, die ihnen nicht erspart werden können, wenn sie sich dauernd emporringen wollen. „Der Mensch hat von Natur Bedürfnisse, an deren Befriedigung die Möglichkeit wie die Würdigkeit seines Daseins geknüpft ist; aber er hat zugleich von der Natur die Kräfte erhalten, deren Ausbildung und richtiger Gebrauch ihn zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gelangen läßt,“ – dies die einfache unbestreitbare Wahrheit, aus welcher für jeden von uns die Pflicht der socialen Selbstsorge, der Selbstverantwortlichkeit für die eigene Existenz abgeleitet werden muß. Wer viel bedarf, muß viel leisten; jedenfalls sorge Jeder, daß seine Bedürfnisse nicht seine thätigen Kräfte überwuchern, sonst stimmt es nicht im Haushalt des Einzelnen, wie in dem ganzer Nationen. Mit sich muß jeder anfangen, wenn es gut, wenn es besser mit ihm werden soll. Seine Kräfte und Anlagen ausbilden und recht gebrauchen, das ist es, was den Einzelnen fördert, was ganze Gesellschaftsclassen, die ja doch eben nur aus vielen Einzelnen bestehn, einzig in die Höhe bringt. Hier durch ein Zusammenwirken Vieler die mancherlei äußeren Hindernisse wegräumen, welche dem Arbeiterstande bei solchen Bestrebungen entgegenstehen, die äußeren Bedingungen des Gelingens in Erwerb und Wirthschaft ergänzen, die sich dem einzelnen Arbeiter versagen, – z. B. die Beschaffung von Capital und Credit u. dergl. – das ist die Aufgabe. Zusammenwirken, die zersplitterten schwachen Kräfte der Einzelnen zu einer Großkraft im Dienste Aller vereinigen – dadurch wird etwas geleistet, das zeigen die Genossenschaften in der überraschendsten Weise. Aber freilich, die innere sittliche und geistige Tüchtigkeit, die technische und geschäftliche Befähigung, die müssen die Einzelnen in die Vereinigung mitbringen, die müssen sie Jeder in sich selbst ausbilden, das kann ihnen die Genossenschaft nicht sparen. Diesen Fond von Tüchtigkeit setzt sie vielmehr bei ihren Mitgliedern voraus, und nicht ihn zu ersetzen, sondern nur ihm die äußeren Mittel zuzugesellen, darin besteht die Aufgabe, die sie zu lösen vermag. Eine Genossenschaft von Untüchtigen wird niemals Erfolg haben, so wenig als eine Anzahl Nullen eine Summe giebt, weil ein untüchtiger Mensch durch den bloßen Zusammentritt mit anderen noch nicht tüchtig wird.

Dies Alles haben die deutschen Arbeiter trefflich begriffen, und den wahren Grund bei sich selbst gelegt, mit Sparen und Lernen. Deßhalb hat sich denn auch der Schreiber dieser Zeilen nicht einen Augenblick über den Verlauf der ganzen Bewegung getäuscht, als er den Verleitungen der Gegner vom Wege der Selbsthülfe bei seinen Vorträgen im Berliner Arbeiterverein[1] das Wort entgegensetzte: „Die deutschen Arbeiter wissen es Niemandem Dank, der ihnen die Garantie ihrer Existenz von außenher – anders als durch die eigene Kraft – entgegenbringt, weil er in der Aufhebung der Selbstverantwortlichkeit und Selbsthülfe die Grundlage ihrer sittlichen Würde, ihrer bürgerlichen Gleichberechtigung, wie ihrer wirthschaftlichen Selbstständigkeit antastet, Dinge, ohne welche von einer wirklichen Hebung der arbeitenden Classen doch wirklich nicht im Ernste die Rede sein kann.“ (S. 142 des unten citirten Buches.)

In der That hätte die den Arbeitern als bequemes Heilmittel für Alles angepriesene Staatshülfe, ohne jenen tüchtigen Sinn und jene ernste, ehrliche Arbeit von Jahren, wohl Aussicht gehabt, wenigstens augenblicklich einen Theil von ihnen für sich einzunehmen. Wenn man gegen die Lockungen der Reaction von Haus aus voreingenommen war und sie wenig beachtete, bis auf einige unverbesserliche Zünftler, so war die Sache diesmal im demokratischen Gewande den Gefühlen und Anschauungen der Menge ungleich zusagender und näher gerückt. In einer Zeit tiefgreifender politischer Aufregung mußte die Agitation für das allgemeine gleiche Wahlrecht, welches die Reactionsperiode den Arbeitern entzogen hatte, eine anziehende Kraft ausüben, und die Aufforderung, sich durch dasselbe ausschließlich der Staatsleitung zu bemächtigen und diese zum Vortheil der Arbeiter auszunutzen, mußte für Leute ohne politische Bildung und ohne wirthschaftliche Einsicht – und dafür hielt man die Arbeiter – wirklich verführerisch sein. Mit den Geldmitteln und dem Credit des Staats sollten sämmtliche Fabriken in das Eigenthum der Arbeiter gebracht und diese sämmtlich zu Unternehmern gemacht werden u. s. w. Allein man hatte die Bildung und Einsicht der Arbeiter bedeutend unterschätzt, und jene schwindelhaften Vorspiegelungen fanden kein gläubiges Publicum. Vielmehr wurden sie im Großen und Ganzen nur belacht, da man soweit vorgeschritten war, das Unmögliche derselben in jeder Hinsicht recht wohl einzusehen. Da hatten die Leute denn doch die eigenen Augen zu offen, um sich einreden zu lassen, sie allein

  1. Dieselben sind im Verlage von E. Keil in Leipzig unter dem Titel: „Capitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus, 6 Vorträge im Berliner Arbeiterverein,“ erschienen und bei directen Bezügen von mehr als 25 Exemplaren bei der Verlagshandlung zu 5 Sgr. = ⅙ Thlr. oder 17½ Xr. rhein. zu haben. Möge ihre Gesammtbeziehung hiermit allen Arbeiter,- Handwerker- und Gewerbevereinen empfohlen sein!
    Sch.-D.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_505.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)